geht, ob er seinen Rücken dahin oder dorthin kehret, gründen müssen. Mit dem Billet des Azor hat es die nehmliche Bewandtniß: brachte es der Soldat im zweyten Akte gleich mit, so wie er es hätte mitbringen sollen, so war der Tyrann entlarvet, und das Stück hatte ein Ende."
Die Uebersetzung der Zelmire ist nur in Prosa. Aber wer wird nicht lieber eine körnichte, wohl- klingende Prosa hören wollen, als matte, gera- debrechte Verse? Unter allen unsern gereimten Uebersetzungen werden kaum ein halbes Dutzend seyn, die erträglich sind. Und daß man mich ja nicht bey dem Worte nehme, sie zu nennen! Ich würde eher wissen, wo ich aufhören, als wo ich anfangen sollte. Die beste ist an vielen Stellen dunkel und zweydeutig; der Franzose war schon nicht der größte Versifikateur, fondern stüm- perte und flickte; der Deutsche war es noch we- niger, und indem er sich bemühte, die glücklichen und unglücklichen Zeilen seines Originals gleich treu zu übersetzen, so ist es natürlich, daß öf- ters, was dort nur Lückenbüsserey, oder Tavto- logie, war, hier zu förmlichem Unsinne werden mußte. Der Ausdruck ist dabey meistens so niedrig, und die Konstruction so verworfen, daß der Schauspieler allen seinen Adel nöthig hat, jenen aufzuhelfen, und allen seinen Verstand
brau-
T 3
geht, ob er ſeinen Ruͤcken dahin oder dorthin kehret, gruͤnden muͤſſen. Mit dem Billet des Azor hat es die nehmliche Bewandtniß: brachte es der Soldat im zweyten Akte gleich mit, ſo wie er es haͤtte mitbringen ſollen, ſo war der Tyrann entlarvet, und das Stuͤck hatte ein Ende.„
Die Ueberſetzung der Zelmire iſt nur in Proſa. Aber wer wird nicht lieber eine koͤrnichte, wohl- klingende Proſa hoͤren wollen, als matte, gera- debrechte Verſe? Unter allen unſern gereimten Ueberſetzungen werden kaum ein halbes Dutzend ſeyn, die ertraͤglich ſind. Und daß man mich ja nicht bey dem Worte nehme, ſie zu nennen! Ich wuͤrde eher wiſſen, wo ich aufhoͤren, als wo ich anfangen ſollte. Die beſte iſt an vielen Stellen dunkel und zweydeutig; der Franzoſe war ſchon nicht der groͤßte Verſifikateur, fondern ſtuͤm- perte und flickte; der Deutſche war es noch we- niger, und indem er ſich bemuͤhte, die gluͤcklichen und ungluͤcklichen Zeilen ſeines Originals gleich treu zu uͤberſetzen, ſo iſt es natuͤrlich, daß oͤf- ters, was dort nur Luͤckenbuͤſſerey, oder Tavto- logie, war, hier zu foͤrmlichem Unſinne werden mußte. Der Ausdruck iſt dabey meiſtens ſo niedrig, und die Konſtruction ſo verworfen, daß der Schauſpieler allen ſeinen Adel noͤthig hat, jenen aufzuhelfen, und allen ſeinen Verſtand
brau-
T 3
<TEI><text><body><divn="1"><p><cit><quote><pbfacs="#f0163"n="149"/>
geht, ob er ſeinen Ruͤcken dahin oder dorthin<lb/>
kehret, gruͤnden muͤſſen. Mit dem Billet des<lb/>
Azor hat es die nehmliche Bewandtniß: brachte<lb/>
es der Soldat im zweyten Akte gleich mit, ſo<lb/>
wie er es haͤtte mitbringen ſollen, ſo war der<lb/>
Tyrann entlarvet, und das Stuͤck hatte ein<lb/>
Ende.„</quote></cit></p><lb/><p>Die Ueberſetzung der Zelmire iſt nur in Proſa.<lb/>
Aber wer wird nicht lieber eine koͤrnichte, wohl-<lb/>
klingende Proſa hoͤren wollen, als matte, gera-<lb/>
debrechte Verſe? Unter allen unſern gereimten<lb/>
Ueberſetzungen werden kaum ein halbes Dutzend<lb/>ſeyn, die ertraͤglich ſind. Und daß man mich ja<lb/>
nicht bey dem Worte nehme, ſie zu nennen! Ich<lb/>
wuͤrde eher wiſſen, wo ich aufhoͤren, als wo ich<lb/>
anfangen ſollte. Die beſte iſt an vielen Stellen<lb/>
dunkel und zweydeutig; der Franzoſe war ſchon<lb/>
nicht der groͤßte Verſifikateur, fondern ſtuͤm-<lb/>
perte und flickte; der Deutſche war es noch we-<lb/>
niger, und indem er ſich bemuͤhte, die gluͤcklichen<lb/>
und ungluͤcklichen Zeilen ſeines Originals gleich<lb/>
treu zu uͤberſetzen, ſo iſt es natuͤrlich, daß oͤf-<lb/>
ters, was dort nur Luͤckenbuͤſſerey, oder Tavto-<lb/>
logie, war, hier zu foͤrmlichem Unſinne werden<lb/>
mußte. Der Ausdruck iſt dabey meiſtens ſo<lb/>
niedrig, und die Konſtruction ſo verworfen, daß<lb/>
der Schauſpieler allen ſeinen Adel noͤthig hat,<lb/>
jenen aufzuhelfen, und allen ſeinen Verſtand<lb/><fwplace="bottom"type="sig">T 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">brau-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[149/0163]
geht, ob er ſeinen Ruͤcken dahin oder dorthin
kehret, gruͤnden muͤſſen. Mit dem Billet des
Azor hat es die nehmliche Bewandtniß: brachte
es der Soldat im zweyten Akte gleich mit, ſo
wie er es haͤtte mitbringen ſollen, ſo war der
Tyrann entlarvet, und das Stuͤck hatte ein
Ende.„
Die Ueberſetzung der Zelmire iſt nur in Proſa.
Aber wer wird nicht lieber eine koͤrnichte, wohl-
klingende Proſa hoͤren wollen, als matte, gera-
debrechte Verſe? Unter allen unſern gereimten
Ueberſetzungen werden kaum ein halbes Dutzend
ſeyn, die ertraͤglich ſind. Und daß man mich ja
nicht bey dem Worte nehme, ſie zu nennen! Ich
wuͤrde eher wiſſen, wo ich aufhoͤren, als wo ich
anfangen ſollte. Die beſte iſt an vielen Stellen
dunkel und zweydeutig; der Franzoſe war ſchon
nicht der groͤßte Verſifikateur, fondern ſtuͤm-
perte und flickte; der Deutſche war es noch we-
niger, und indem er ſich bemuͤhte, die gluͤcklichen
und ungluͤcklichen Zeilen ſeines Originals gleich
treu zu uͤberſetzen, ſo iſt es natuͤrlich, daß oͤf-
ters, was dort nur Luͤckenbuͤſſerey, oder Tavto-
logie, war, hier zu foͤrmlichem Unſinne werden
mußte. Der Ausdruck iſt dabey meiſtens ſo
niedrig, und die Konſtruction ſo verworfen, daß
der Schauſpieler allen ſeinen Adel noͤthig hat,
jenen aufzuhelfen, und allen ſeinen Verſtand
brau-
T 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/163>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.