Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

läuft. In jener Schule giebt es eine Menge
ernsthafte Betrachtungen anzustellen; in dieser
setzt es mehr zu lachen. Die eine ist der Pen-
dant der andern; und ich glaube, es müßte für
Kenner ein Vergnügen mehr seyn, beide an ei-
nem Abende hinter einander besuchen zu können.
Sie haben hierzu auch alle äußerliche Schicklich-
keit; das erste Stück ist von fünf Akten, das
andere von einem.

Den sieben und zwanzigsten Abend (Montags,
den 1sten Junius,) ward die Nanine des Herrn
von Voltaire gespielt.

Nanine? fragten sogenannte Kunstrichter,
als dieses Lustspiel im Jahre 1749 zuerst er-
schien. Was ist das für ein Titel? Was denkt
man dabey? -- Nicht mehr und nicht weniger,
als man bey einem Titel denken soll. Ein Titel
muß kein Küchenzettel seyn. Je weniger er von
dem Inhalte verräth, desto besser ist er. Dich-
ter und Zuschauer finden ihre Rechnung dabey,
und die Alten haben ihren Komödien selten andere,
als nichtsbedeutende Titel gegeben. Ich kenne
kaum drey oder viere, die den Hauptcharakter
anzeigten, oder etwas von der Intrigue verrie-
then. Hierunter gehöret des Plautus Miles
gloriosus.
Wie kömmt es, daß man noch nicht
angemerket, daß dieser Titel dem Plautus nur
zur Hälfte gehören kann? Plautus nannte sein

Stück

laͤuft. In jener Schule giebt es eine Menge
ernſthafte Betrachtungen anzuſtellen; in dieſer
ſetzt es mehr zu lachen. Die eine iſt der Pen-
dant der andern; und ich glaube, es muͤßte fuͤr
Kenner ein Vergnuͤgen mehr ſeyn, beide an ei-
nem Abende hinter einander beſuchen zu koͤnnen.
Sie haben hierzu auch alle aͤußerliche Schicklich-
keit; das erſte Stuͤck iſt von fuͤnf Akten, das
andere von einem.

Den ſieben und zwanzigſten Abend (Montags,
den 1ſten Junius,) ward die Nanine des Herrn
von Voltaire geſpielt.

Nanine? fragten ſogenannte Kunſtrichter,
als dieſes Luſtſpiel im Jahre 1749 zuerſt er-
ſchien. Was iſt das fuͤr ein Titel? Was denkt
man dabey? — Nicht mehr und nicht weniger,
als man bey einem Titel denken ſoll. Ein Titel
muß kein Kuͤchenzettel ſeyn. Je weniger er von
dem Inhalte verraͤth, deſto beſſer iſt er. Dich-
ter und Zuſchauer finden ihre Rechnung dabey,
und die Alten haben ihren Komoͤdien ſelten andere,
als nichtsbedeutende Titel gegeben. Ich kenne
kaum drey oder viere, die den Hauptcharakter
anzeigten, oder etwas von der Intrigue verrie-
then. Hierunter gehoͤret des Plautus Miles
glorioſus.
Wie koͤmmt es, daß man noch nicht
angemerket, daß dieſer Titel dem Plautus nur
zur Haͤlfte gehoͤren kann? Plautus nannte ſein

Stuͤck
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0176" n="162"/>
la&#x0364;uft. In jener Schule giebt es eine Menge<lb/>
ern&#x017F;thafte Betrachtungen anzu&#x017F;tellen; in die&#x017F;er<lb/>
&#x017F;etzt es mehr zu lachen. Die eine i&#x017F;t der Pen-<lb/>
dant der andern; und ich glaube, es mu&#x0364;ßte fu&#x0364;r<lb/>
Kenner ein Vergnu&#x0364;gen mehr &#x017F;eyn, beide an ei-<lb/>
nem Abende hinter einander be&#x017F;uchen zu ko&#x0364;nnen.<lb/>
Sie haben hierzu auch alle a&#x0364;ußerliche Schicklich-<lb/>
keit; das er&#x017F;te Stu&#x0364;ck i&#x017F;t von fu&#x0364;nf Akten, das<lb/>
andere von einem.</p><lb/>
        <p>Den &#x017F;ieben und zwanzig&#x017F;ten Abend (Montags,<lb/>
den 1&#x017F;ten Junius,) ward die Nanine des Herrn<lb/>
von Voltaire ge&#x017F;pielt.</p><lb/>
        <p>Nanine? fragten &#x017F;ogenannte Kun&#x017F;trichter,<lb/>
als die&#x017F;es Lu&#x017F;t&#x017F;piel im Jahre 1749 zuer&#x017F;t er-<lb/>
&#x017F;chien. Was i&#x017F;t das fu&#x0364;r ein Titel? Was denkt<lb/>
man dabey? &#x2014; Nicht mehr und nicht weniger,<lb/>
als man bey einem Titel denken &#x017F;oll. Ein Titel<lb/>
muß kein Ku&#x0364;chenzettel &#x017F;eyn. Je weniger er von<lb/>
dem Inhalte verra&#x0364;th, de&#x017F;to be&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t er. Dich-<lb/>
ter und Zu&#x017F;chauer finden ihre Rechnung dabey,<lb/>
und die Alten haben ihren Komo&#x0364;dien &#x017F;elten andere,<lb/>
als nichtsbedeutende Titel gegeben. Ich kenne<lb/>
kaum drey oder viere, die den Hauptcharakter<lb/>
anzeigten, oder etwas von der Intrigue verrie-<lb/>
then. Hierunter geho&#x0364;ret des Plautus <hi rendition="#aq">Miles<lb/>
glorio&#x017F;us.</hi> Wie ko&#x0364;mmt es, daß man noch nicht<lb/>
angemerket, daß die&#x017F;er Titel dem Plautus nur<lb/>
zur Ha&#x0364;lfte geho&#x0364;ren kann? Plautus nannte &#x017F;ein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Stu&#x0364;ck</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0176] laͤuft. In jener Schule giebt es eine Menge ernſthafte Betrachtungen anzuſtellen; in dieſer ſetzt es mehr zu lachen. Die eine iſt der Pen- dant der andern; und ich glaube, es muͤßte fuͤr Kenner ein Vergnuͤgen mehr ſeyn, beide an ei- nem Abende hinter einander beſuchen zu koͤnnen. Sie haben hierzu auch alle aͤußerliche Schicklich- keit; das erſte Stuͤck iſt von fuͤnf Akten, das andere von einem. Den ſieben und zwanzigſten Abend (Montags, den 1ſten Junius,) ward die Nanine des Herrn von Voltaire geſpielt. Nanine? fragten ſogenannte Kunſtrichter, als dieſes Luſtſpiel im Jahre 1749 zuerſt er- ſchien. Was iſt das fuͤr ein Titel? Was denkt man dabey? — Nicht mehr und nicht weniger, als man bey einem Titel denken ſoll. Ein Titel muß kein Kuͤchenzettel ſeyn. Je weniger er von dem Inhalte verraͤth, deſto beſſer iſt er. Dich- ter und Zuſchauer finden ihre Rechnung dabey, und die Alten haben ihren Komoͤdien ſelten andere, als nichtsbedeutende Titel gegeben. Ich kenne kaum drey oder viere, die den Hauptcharakter anzeigten, oder etwas von der Intrigue verrie- then. Hierunter gehoͤret des Plautus Miles glorioſus. Wie koͤmmt es, daß man noch nicht angemerket, daß dieſer Titel dem Plautus nur zur Haͤlfte gehoͤren kann? Plautus nannte ſein Stuͤck

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/176
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/176>, abgerufen am 21.11.2024.