Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite
ses; magst du mir doch alle die andern dafür neh-
men! Hier trat ein Mann, der eine von ihren
übrigen Töchtern geheyrathet hatte, näher zu ihr
hinzu, zupfte sie bey dem Aermel, und fragte:
Madame, auch die Schwiegersöhne? Das
kalte Blut, der komische Ton, mit denen er diese
Worte aussprach, machten einen solchen Ein-
druck auf die betrübte Dame, daß sie in vollem
Gelächter herauslaufen mußte; alles folgte ihr
und lachte; die Kranke selbst, als sie es hörte,
wäre vor Lachen fast erstickt."

"Homer,

sagt er an einem andern Orte,

läßt
sogar die Götter, indem sie das Schicksal der
Welt entscheiden, über den poßirlichen Anstand
des Vulkans lachen. Hektor lacht über die
Furcht seines kleinen Sohnes, indem Andro-
macha die heissesten Thränen vergießt. Es trift
sich wohl, daß mitten unter den Greueln einer
Schlacht, mitten in den Schrecken einer Feuers-
brunst, oder sonst eines traurigen Verhäng-
nisses, ein Einfall, eine ungefehre Posse, Trotz
aller Beängstigung, Trotz alles Mitleids, das
unbändigste Lachen erregt. Man befahl, in
der Schlacht bey Speyern, einem Regimente,
daß es keinen Pardon geben sollte. Ein deut-
scher Officier bat darum, und der Franzose, den
er darum bat, antwortete: Bitten Sie, mein
Herr, was Sie wollen; nur das Leben nicht;
da-
ſes; magſt du mir doch alle die andern dafuͤr neh-
men! Hier trat ein Mann, der eine von ihren
uͤbrigen Toͤchtern geheyrathet hatte, naͤher zu ihr
hinzu, zupfte ſie bey dem Aermel, und fragte:
Madame, auch die Schwiegerſoͤhne? Das
kalte Blut, der komiſche Ton, mit denen er dieſe
Worte ausſprach, machten einen ſolchen Ein-
druck auf die betruͤbte Dame, daß ſie in vollem
Gelaͤchter herauslaufen mußte; alles folgte ihr
und lachte; die Kranke ſelbſt, als ſie es hoͤrte,
waͤre vor Lachen faſt erſtickt.〟

〟Homer,

ſagt er an einem andern Orte,

laͤßt
ſogar die Goͤtter, indem ſie das Schickſal der
Welt entſcheiden, uͤber den poßirlichen Anſtand
des Vulkans lachen. Hektor lacht uͤber die
Furcht ſeines kleinen Sohnes, indem Andro-
macha die heiſſeſten Thraͤnen vergießt. Es trift
ſich wohl, daß mitten unter den Greueln einer
Schlacht, mitten in den Schrecken einer Feuers-
brunſt, oder ſonſt eines traurigen Verhaͤng-
niſſes, ein Einfall, eine ungefehre Poſſe, Trotz
aller Beaͤngſtigung, Trotz alles Mitleids, das
unbaͤndigſte Lachen erregt. Man befahl, in
der Schlacht bey Speyern, einem Regimente,
daß es keinen Pardon geben ſollte. Ein deut-
ſcher Officier bat darum, und der Franzoſe, den
er darum bat, antwortete: Bitten Sie, mein
Herr, was Sie wollen; nur das Leben nicht;
da-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <cit>
          <quote><pb facs="#f0181" n="167"/>
&#x017F;es; mag&#x017F;t du mir doch alle die andern dafu&#x0364;r neh-<lb/>
men! Hier trat ein Mann, der eine von ihren<lb/>
u&#x0364;brigen To&#x0364;chtern geheyrathet hatte, na&#x0364;her zu ihr<lb/>
hinzu, zupfte &#x017F;ie bey dem Aermel, und fragte:<lb/>
Madame, auch die Schwieger&#x017F;o&#x0364;hne? Das<lb/>
kalte Blut, der komi&#x017F;che Ton, mit denen er die&#x017F;e<lb/>
Worte aus&#x017F;prach, machten einen &#x017F;olchen Ein-<lb/>
druck auf die betru&#x0364;bte Dame, daß &#x017F;ie in vollem<lb/>
Gela&#x0364;chter herauslaufen mußte; alles folgte ihr<lb/>
und lachte; die Kranke &#x017F;elb&#x017F;t, als &#x017F;ie es ho&#x0364;rte,<lb/>
wa&#x0364;re vor Lachen fa&#x017F;t er&#x017F;tickt.&#x301F;</quote>
        </cit><lb/>
        <cit>
          <quote>&#x301F;Homer,</quote>
        </cit>
        <p>&#x017F;agt er an einem andern Orte,</p>
        <cit>
          <quote>la&#x0364;ßt<lb/>
&#x017F;ogar die Go&#x0364;tter, indem &#x017F;ie das Schick&#x017F;al der<lb/>
Welt ent&#x017F;cheiden, u&#x0364;ber den poßirlichen An&#x017F;tand<lb/>
des Vulkans lachen. Hektor lacht u&#x0364;ber die<lb/>
Furcht &#x017F;eines kleinen Sohnes, indem Andro-<lb/>
macha die hei&#x017F;&#x017F;e&#x017F;ten Thra&#x0364;nen vergießt. Es trift<lb/>
&#x017F;ich wohl, daß mitten unter den Greueln einer<lb/>
Schlacht, mitten in den Schrecken einer Feuers-<lb/>
brun&#x017F;t, oder &#x017F;on&#x017F;t eines traurigen Verha&#x0364;ng-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;es, ein Einfall, eine ungefehre Po&#x017F;&#x017F;e, Trotz<lb/>
aller Bea&#x0364;ng&#x017F;tigung, Trotz alles Mitleids, das<lb/>
unba&#x0364;ndig&#x017F;te Lachen erregt. Man befahl, in<lb/>
der Schlacht bey Speyern, einem Regimente,<lb/>
daß es keinen Pardon geben &#x017F;ollte. Ein deut-<lb/>
&#x017F;cher Officier bat darum, und der Franzo&#x017F;e, den<lb/>
er darum bat, antwortete: Bitten Sie, mein<lb/>
Herr, was Sie wollen; nur das Leben nicht;<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">da-</fw><lb/></quote>
        </cit>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0181] ſes; magſt du mir doch alle die andern dafuͤr neh- men! Hier trat ein Mann, der eine von ihren uͤbrigen Toͤchtern geheyrathet hatte, naͤher zu ihr hinzu, zupfte ſie bey dem Aermel, und fragte: Madame, auch die Schwiegerſoͤhne? Das kalte Blut, der komiſche Ton, mit denen er dieſe Worte ausſprach, machten einen ſolchen Ein- druck auf die betruͤbte Dame, daß ſie in vollem Gelaͤchter herauslaufen mußte; alles folgte ihr und lachte; die Kranke ſelbſt, als ſie es hoͤrte, waͤre vor Lachen faſt erſtickt.〟 〟Homer, ſagt er an einem andern Orte, laͤßt ſogar die Goͤtter, indem ſie das Schickſal der Welt entſcheiden, uͤber den poßirlichen Anſtand des Vulkans lachen. Hektor lacht uͤber die Furcht ſeines kleinen Sohnes, indem Andro- macha die heiſſeſten Thraͤnen vergießt. Es trift ſich wohl, daß mitten unter den Greueln einer Schlacht, mitten in den Schrecken einer Feuers- brunſt, oder ſonſt eines traurigen Verhaͤng- niſſes, ein Einfall, eine ungefehre Poſſe, Trotz aller Beaͤngſtigung, Trotz alles Mitleids, das unbaͤndigſte Lachen erregt. Man befahl, in der Schlacht bey Speyern, einem Regimente, daß es keinen Pardon geben ſollte. Ein deut- ſcher Officier bat darum, und der Franzoſe, den er darum bat, antwortete: Bitten Sie, mein Herr, was Sie wollen; nur das Leben nicht; da-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/181
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/181>, abgerufen am 27.05.2024.