Ich darf es also nicht erst lange sagen, wie vor- trefflich ein Eckhof das machen muß, was auch der gleichgültigste Akteur nicht ganz verderben kann.
Mit der Rolle der Elisabeth ist es nicht völlig so; aber doch kann sie auch schwerlich ganz ver- unglücken. Elisabeth ist so zärtlich, als stolz; ich glaube ganz gern, daß ein weibliches Herz beides zugleich seyn kann; aber wie eine Aktrice beides gleich gut vorstellen könne, das begreife ich nicht recht. In der Natur selbst trauen wir einer stolzen Frau nicht viel Zärtlichkeit, und einer zärtlichen nicht viel Stolz zu. Wir trauen es ihr nicht zu, sage ich: denn die Kennzeichen des einen widersprechen den Kennzeichen des an- dern. Es ist ein Wunder, wenn ihr beide gleich geläufig sind; hat sie aber nur die einen vorzüg- lich in ihrer Gewalt, so kann sie die Leidenschaft, die sich durch die andern ausdrückt, zwar em- pfinden, aber schwerlich werden wir ihr glauben, daß sie dieselbe so lebhaft empfindet, als sie sagt. Wie kann eine Aktrice nun weiter gehen, als die Natur? Ist sie von einem majestätischen Wuchse, tönt ihre Stimme voller und männli- cher, ist ihr Blick dreist, ist ihre Bewegung schnell und herzhaft: so werden ihr die stolzen Stellen vortrefflich gelingen; aber wie steht es mit den zärtlichen? Ist ihre Figur hingegen weniger imponirend; herrscht in ihren Minen
Sanft-
Ich darf es alſo nicht erſt lange ſagen, wie vor- trefflich ein Eckhof das machen muß, was auch der gleichguͤltigſte Akteur nicht ganz verderben kann.
Mit der Rolle der Eliſabeth iſt es nicht voͤllig ſo; aber doch kann ſie auch ſchwerlich ganz ver- ungluͤcken. Eliſabeth iſt ſo zaͤrtlich, als ſtolz; ich glaube ganz gern, daß ein weibliches Herz beides zugleich ſeyn kann; aber wie eine Aktrice beides gleich gut vorſtellen koͤnne, das begreife ich nicht recht. In der Natur ſelbſt trauen wir einer ſtolzen Frau nicht viel Zaͤrtlichkeit, und einer zaͤrtlichen nicht viel Stolz zu. Wir trauen es ihr nicht zu, ſage ich: denn die Kennzeichen des einen widerſprechen den Kennzeichen des an- dern. Es iſt ein Wunder, wenn ihr beide gleich gelaͤufig ſind; hat ſie aber nur die einen vorzuͤg- lich in ihrer Gewalt, ſo kann ſie die Leidenſchaft, die ſich durch die andern ausdruͤckt, zwar em- pfinden, aber ſchwerlich werden wir ihr glauben, daß ſie dieſelbe ſo lebhaft empfindet, als ſie ſagt. Wie kann eine Aktrice nun weiter gehen, als die Natur? Iſt ſie von einem majeſtaͤtiſchen Wuchſe, toͤnt ihre Stimme voller und maͤnnli- cher, iſt ihr Blick dreiſt, iſt ihre Bewegung ſchnell und herzhaft: ſo werden ihr die ſtolzen Stellen vortrefflich gelingen; aber wie ſteht es mit den zaͤrtlichen? Iſt ihre Figur hingegen weniger imponirend; herrſcht in ihren Minen
Sanft-
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Ich darf es alſo nicht erſt lange ſagen, wie vor-
trefflich ein Eckhof das machen muß, was auch
der gleichguͤltigſte Akteur nicht ganz verderben
kann.
Mit der Rolle der Eliſabeth iſt es nicht voͤllig
ſo; aber doch kann ſie auch ſchwerlich ganz ver-
ungluͤcken. Eliſabeth iſt ſo zaͤrtlich, als ſtolz;
ich glaube ganz gern, daß ein weibliches Herz
beides zugleich ſeyn kann; aber wie eine Aktrice
beides gleich gut vorſtellen koͤnne, das begreife
ich nicht recht. In der Natur ſelbſt trauen wir
einer ſtolzen Frau nicht viel Zaͤrtlichkeit, und
einer zaͤrtlichen nicht viel Stolz zu. Wir trauen
es ihr nicht zu, ſage ich: denn die Kennzeichen
des einen widerſprechen den Kennzeichen des an-
dern. Es iſt ein Wunder, wenn ihr beide gleich
gelaͤufig ſind; hat ſie aber nur die einen vorzuͤg-
lich in ihrer Gewalt, ſo kann ſie die Leidenſchaft,
die ſich durch die andern ausdruͤckt, zwar em-
pfinden, aber ſchwerlich werden wir ihr glauben,
daß ſie dieſelbe ſo lebhaft empfindet, als ſie ſagt.
Wie kann eine Aktrice nun weiter gehen, als
die Natur? Iſt ſie von einem majeſtaͤtiſchen
Wuchſe, toͤnt ihre Stimme voller und maͤnnli-
cher, iſt ihr Blick dreiſt, iſt ihre Bewegung
ſchnell und herzhaft: ſo werden ihr die ſtolzen
Stellen vortrefflich gelingen; aber wie ſteht es
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/210>, abgerufen am 24.11.2024.
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