ten, welcher den Olint antrieb, das Bild aus der Moschee wieder zu entwenden. Es entschul- diget den Dichter nicht, daß es Zeiten gegeben, wo ein solcher Aberglaube allgemein war, und bey vielen guten Eigenschaften bestehen konnte; daß es noch Länder giebt, wo er der frommen Einfalt nichts befremdendes haben würde. Denn er schrieb sein Trauerspiel eben so wenig für jene Zeiten, als er es bestimmte, in Böh- men oder Spanien gespielt zu werden. Der gute Schriftsteller, er sey von welcher Gattung er wolle, wenn er nicht blos schreibet, seinen Witz, seine Gelehrsamkeit zu zeigen, hat immer die Erleuchtesten und Besten seiner Zeit und sei- nes Landes in Augen, und nur was diesen ge- fallen, was diese rühren kann, würdiget er zu schreiben. Selbst der dramatische, wenn er sich zu dem Pöbel herabläßt, läßt sich nur darum zu ihm herab, um ihn zu erleuchten und zu bessern; nicht aber ihn in seinen Vorurtheilen, ihn in seiner unedeln Denkungsart zu bestärken.
Ham-
ten, welcher den Olint antrieb, das Bild aus der Moſchee wieder zu entwenden. Es entſchul- diget den Dichter nicht, daß es Zeiten gegeben, wo ein ſolcher Aberglaube allgemein war, und bey vielen guten Eigenſchaften beſtehen konnte; daß es noch Laͤnder giebt, wo er der frommen Einfalt nichts befremdendes haben wuͤrde. Denn er ſchrieb ſein Trauerſpiel eben ſo wenig fuͤr jene Zeiten, als er es beſtimmte, in Boͤh- men oder Spanien geſpielt zu werden. Der gute Schriftſteller, er ſey von welcher Gattung er wolle, wenn er nicht blos ſchreibet, ſeinen Witz, ſeine Gelehrſamkeit zu zeigen, hat immer die Erleuchteſten und Beſten ſeiner Zeit und ſei- nes Landes in Augen, und nur was dieſen ge- fallen, was dieſe ruͤhren kann, wuͤrdiget er zu ſchreiben. Selbſt der dramatiſche, wenn er ſich zu dem Poͤbel herablaͤßt, laͤßt ſich nur darum zu ihm herab, um ihn zu erleuchten und zu beſſern; nicht aber ihn in ſeinen Vorurtheilen, ihn in ſeiner unedeln Denkungsart zu beſtaͤrken.
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ten, welcher den Olint antrieb, das Bild aus
der Moſchee wieder zu entwenden. Es entſchul-
diget den Dichter nicht, daß es Zeiten gegeben,
wo ein ſolcher Aberglaube allgemein war, und
bey vielen guten Eigenſchaften beſtehen konnte;
daß es noch Laͤnder giebt, wo er der frommen
Einfalt nichts befremdendes haben wuͤrde.
Denn er ſchrieb ſein Trauerſpiel eben ſo wenig
fuͤr jene Zeiten, als er es beſtimmte, in Boͤh-
men oder Spanien geſpielt zu werden. Der
gute Schriftſteller, er ſey von welcher Gattung
er wolle, wenn er nicht blos ſchreibet, ſeinen
Witz, ſeine Gelehrſamkeit zu zeigen, hat immer
die Erleuchteſten und Beſten ſeiner Zeit und ſei-
nes Landes in Augen, und nur was dieſen ge-
fallen, was dieſe ruͤhren kann, wuͤrdiget er zu
ſchreiben. Selbſt der dramatiſche, wenn er ſich
zu dem Poͤbel herablaͤßt, laͤßt ſich nur darum zu
ihm herab, um ihn zu erleuchten und zu beſſern;
nicht aber ihn in ſeinen Vorurtheilen, ihn in
ſeiner unedeln Denkungsart zu beſtaͤrken.
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/22>, abgerufen am 21.11.2024.
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