Cleopatra, in der Geschichte, ermordet ihren Gemahl, erschießt den einen von ihren Söhnen, und will den andern mit Gift vergeben. Ohne Zweifel folgte ein Verbrechen aus dem andern, und sie hatten alle im Grunde nur eine und eben dieselbe Quelle. Wenigstens läßt es sich mit Wahrscheinlichkeit annehmen, daß die einzige Eifersucht ein wüthendes Ehe- weib zu einer eben so wüthenden Mutter machte. Sich eine zweyte Gemahlinn an die Seite gestel- let zu sehen, mit dieser die Liebe ihres Gatten und die Hoheit ihres Ranges zu theilen, brachte ein empfindliches und stolzes Herz leicht zu dem Entschlusse, das gar nicht zu besitzen, was es nicht allein besitzen konnte. Demetrius muß nicht leben, weil er für Cleopatra nicht allein leben will. Der schuldige Gemahl fällt; aber in ihm fällt auch ein Vater, der rächende Söhne
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Hamburgiſche Dramaturgie. Dreyßigſtes Stuͤck.
Den 11ten Auguſt, 1767.
Cleopatra, in der Geſchichte, ermordet ihren Gemahl, erſchießt den einen von ihren Soͤhnen, und will den andern mit Gift vergeben. Ohne Zweifel folgte ein Verbrechen aus dem andern, und ſie hatten alle im Grunde nur eine und eben dieſelbe Quelle. Wenigſtens laͤßt es ſich mit Wahrſcheinlichkeit annehmen, daß die einzige Eiferſucht ein wuͤthendes Ehe- weib zu einer eben ſo wuͤthenden Mutter machte. Sich eine zweyte Gemahlinn an die Seite geſtel- let zu ſehen, mit dieſer die Liebe ihres Gatten und die Hoheit ihres Ranges zu theilen, brachte ein empfindliches und ſtolzes Herz leicht zu dem Entſchluſſe, das gar nicht zu beſitzen, was es nicht allein beſitzen konnte. Demetrius muß nicht leben, weil er fuͤr Cleopatra nicht allein leben will. Der ſchuldige Gemahl faͤllt; aber in ihm faͤllt auch ein Vater, der raͤchende Soͤhne
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[[233]/0247]
Hamburgiſche
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Dreyßigſtes Stuͤck.
Den 11ten Auguſt, 1767.
Cleopatra, in der Geſchichte, ermordet ihren
Gemahl, erſchießt den einen von ihren
Soͤhnen, und will den andern mit Gift
vergeben. Ohne Zweifel folgte ein Verbrechen
aus dem andern, und ſie hatten alle im Grunde
nur eine und eben dieſelbe Quelle. Wenigſtens
laͤßt es ſich mit Wahrſcheinlichkeit annehmen,
daß die einzige Eiferſucht ein wuͤthendes Ehe-
weib zu einer eben ſo wuͤthenden Mutter machte.
Sich eine zweyte Gemahlinn an die Seite geſtel-
let zu ſehen, mit dieſer die Liebe ihres Gatten
und die Hoheit ihres Ranges zu theilen, brachte
ein empfindliches und ſtolzes Herz leicht zu dem
Entſchluſſe, das gar nicht zu beſitzen, was es
nicht allein beſitzen konnte. Demetrius muß
nicht leben, weil er fuͤr Cleopatra nicht allein
leben will. Der ſchuldige Gemahl faͤllt; aber
in ihm faͤllt auch ein Vater, der raͤchende Soͤhne
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. [233]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/247>, abgerufen am 24.11.2024.
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