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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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uns wird auf einmal ganz anders; die Coquette
verschwindet, und ein liebes, eben so vernünf-
tiges als drolligtes Mädchen steht vor uns; So-
limann höret auf, uns verächtlich zu scheinen,
denn diese bessere Roxelane ist seiner Liebe wür-
dig; wir fangen sogar in dem Augenblicke an zu
fürchten, er möchte die nicht genug lieben, die
er uns zuvor viel zu sehr zu lieben schien, er
möchte sie bey ihrem Worte fassen, der Liebha-
ber möchte den Despoten wieder annehmen, so-
bald sich die Liebhaberinn in die Sklavinn
schickt, eine kalte Danksagung, daß sie ihn noch
zu rechter Zeit von einem so bedenklichen Schritte
zurück halten wollen, möchte anstatt einer feu-
rigen Bestätigung seines Entschlusses erfolgen,
das gute Kind möchte durch ihre Großmuth
wieder auf einmal verlieren, was sie durch muth-
willige Vermessenheiten so mühsam gewonnen:
doch diese Furcht ist vergebens, und das Stück
schließt sich zu unserer völligen Zufriedenheit.

Und
Tant de vertus excitent mes transports.
A ton tour, tu vas me connoitre:
Je t'aime, Soliman; mes tu l'as merite.
Reprends tes droits, reprends ma liberte;
Sois mon Sultan, mon Heros & mon
Maitre.
Tu me soupconnerois d'injuste vanite.
Va, ne fais rien, que ta loi n'autorise;
Il est des prejuges qu'on ne doit point trahir,
Et je veux un Amant, qui n'ai point a rougir:
Tu vois dans Roxelane une Esclave soumise.

uns wird auf einmal ganz anders; die Coquette
verſchwindet, und ein liebes, eben ſo vernuͤnf-
tiges als drolligtes Maͤdchen ſteht vor uns; So-
limann hoͤret auf, uns veraͤchtlich zu ſcheinen,
denn dieſe beſſere Roxelane iſt ſeiner Liebe wuͤr-
dig; wir fangen ſogar in dem Augenblicke an zu
fuͤrchten, er moͤchte die nicht genug lieben, die
er uns zuvor viel zu ſehr zu lieben ſchien, er
moͤchte ſie bey ihrem Worte faſſen, der Liebha-
ber moͤchte den Deſpoten wieder annehmen, ſo-
bald ſich die Liebhaberinn in die Sklavinn
ſchickt, eine kalte Dankſagung, daß ſie ihn noch
zu rechter Zeit von einem ſo bedenklichen Schritte
zuruͤck halten wollen, moͤchte anſtatt einer feu-
rigen Beſtaͤtigung ſeines Entſchluſſes erfolgen,
das gute Kind moͤchte durch ihre Großmuth
wieder auf einmal verlieren, was ſie durch muth-
willige Vermeſſenheiten ſo muͤhſam gewonnen:
doch dieſe Furcht iſt vergebens, und das Stuͤck
ſchließt ſich zu unſerer voͤlligen Zufriedenheit.

Und
Tant de vertus excitent mes tranſports.
A ton tour, tu vas me connoitre:
Je t’aime, Soliman; mes tu l’as mérité.
Reprends tes droits, reprends ma liberté;
Sois mon Sultan, mon Heros & mon
Maitre.
Tu me ſoupçonnerois d’injuſte vanité.
Va, ne fais rien, que ta loi n’autoriſe;
Il eſt des préjugés qu’on ne doit point trahir,
Et je veux un Amant, qui n’ai point à rougir:
Tu vois dans Roxelane une Eſclave ſoumiſe.
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[276/0290] uns wird auf einmal ganz anders; die Coquette verſchwindet, und ein liebes, eben ſo vernuͤnf- tiges als drolligtes Maͤdchen ſteht vor uns; So- limann hoͤret auf, uns veraͤchtlich zu ſcheinen, denn dieſe beſſere Roxelane iſt ſeiner Liebe wuͤr- dig; wir fangen ſogar in dem Augenblicke an zu fuͤrchten, er moͤchte die nicht genug lieben, die er uns zuvor viel zu ſehr zu lieben ſchien, er moͤchte ſie bey ihrem Worte faſſen, der Liebha- ber moͤchte den Deſpoten wieder annehmen, ſo- bald ſich die Liebhaberinn in die Sklavinn ſchickt, eine kalte Dankſagung, daß ſie ihn noch zu rechter Zeit von einem ſo bedenklichen Schritte zuruͤck halten wollen, moͤchte anſtatt einer feu- rigen Beſtaͤtigung ſeines Entſchluſſes erfolgen, das gute Kind moͤchte durch ihre Großmuth wieder auf einmal verlieren, was ſie durch muth- willige Vermeſſenheiten ſo muͤhſam gewonnen: doch dieſe Furcht iſt vergebens, und das Stuͤck ſchließt ſich zu unſerer voͤlligen Zufriedenheit. Und (*) (*) Tant de vertus excitent mes tranſports. A ton tour, tu vas me connoitre: Je t’aime, Soliman; mes tu l’as mérité. Reprends tes droits, reprends ma liberté; Sois mon Sultan, mon Heros & mon Maitre. Tu me ſoupçonnerois d’injuſte vanité. Va, ne fais rien, que ta loi n’autoriſe; Il eſt des préjugés qu’on ne doit point trahir, Et je veux un Amant, qui n’ai point à rougir: Tu vois dans Roxelane une Eſclave ſoumiſe.

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/290>, abgerufen am 22.11.2024.