uns wird auf einmal ganz anders; die Coquette verschwindet, und ein liebes, eben so vernünf- tiges als drolligtes Mädchen steht vor uns; So- limann höret auf, uns verächtlich zu scheinen, denn diese bessere Roxelane ist seiner Liebe wür- dig; wir fangen sogar in dem Augenblicke an zu fürchten, er möchte die nicht genug lieben, die er uns zuvor viel zu sehr zu lieben schien, er möchte sie bey ihrem Worte fassen, der Liebha- ber möchte den Despoten wieder annehmen, so- bald sich die Liebhaberinn in die Sklavinn schickt, eine kalte Danksagung, daß sie ihn noch zu rechter Zeit von einem so bedenklichen Schritte zurück halten wollen, möchte anstatt einer feu- rigen Bestätigung seines Entschlusses erfolgen, das gute Kind möchte durch ihre Großmuth wieder auf einmal verlieren, was sie durch muth- willige Vermessenheiten so mühsam gewonnen: doch diese Furcht ist vergebens, und das Stück schließt sich zu unserer völligen Zufriedenheit.
Und
Tant de vertus excitent mes transports. A ton tour, tu vas me connoitre: Je t'aime, Soliman; mes tu l'as merite. Reprends tes droits, reprends ma liberte; Sois mon Sultan, mon Heros & mon Maitre. Tu me soupconnerois d'injuste vanite. Va, ne fais rien, que ta loi n'autorise; Il est des prejuges qu'on ne doit point trahir, Et je veux un Amant, qui n'ai point a rougir: Tu vois dans Roxelane une Esclave soumise.
uns wird auf einmal ganz anders; die Coquette verſchwindet, und ein liebes, eben ſo vernuͤnf- tiges als drolligtes Maͤdchen ſteht vor uns; So- limann hoͤret auf, uns veraͤchtlich zu ſcheinen, denn dieſe beſſere Roxelane iſt ſeiner Liebe wuͤr- dig; wir fangen ſogar in dem Augenblicke an zu fuͤrchten, er moͤchte die nicht genug lieben, die er uns zuvor viel zu ſehr zu lieben ſchien, er moͤchte ſie bey ihrem Worte faſſen, der Liebha- ber moͤchte den Deſpoten wieder annehmen, ſo- bald ſich die Liebhaberinn in die Sklavinn ſchickt, eine kalte Dankſagung, daß ſie ihn noch zu rechter Zeit von einem ſo bedenklichen Schritte zuruͤck halten wollen, moͤchte anſtatt einer feu- rigen Beſtaͤtigung ſeines Entſchluſſes erfolgen, das gute Kind moͤchte durch ihre Großmuth wieder auf einmal verlieren, was ſie durch muth- willige Vermeſſenheiten ſo muͤhſam gewonnen: doch dieſe Furcht iſt vergebens, und das Stuͤck ſchließt ſich zu unſerer voͤlligen Zufriedenheit.
Und
Tant de vertus excitent mes tranſports. A ton tour, tu vas me connoitre: Je t’aime, Soliman; mes tu l’as mérité. Reprends tes droits, reprends ma liberté; Sois mon Sultan, mon Heros & mon Maitre. Tu me ſoupçonnerois d’injuſte vanité. Va, ne fais rien, que ta loi n’autoriſe; Il eſt des préjugés qu’on ne doit point trahir, Et je veux un Amant, qui n’ai point à rougir: Tu vois dans Roxelane une Eſclave ſoumiſe.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0290"n="276"/>
uns wird auf einmal ganz anders; die Coquette<lb/>
verſchwindet, und ein liebes, eben ſo vernuͤnf-<lb/>
tiges als drolligtes Maͤdchen ſteht vor uns; So-<lb/>
limann hoͤret auf, uns veraͤchtlich zu ſcheinen,<lb/>
denn dieſe beſſere Roxelane iſt ſeiner Liebe wuͤr-<lb/>
dig; wir fangen ſogar in dem Augenblicke an zu<lb/>
fuͤrchten, er moͤchte die nicht genug lieben, die<lb/>
er uns zuvor viel zu ſehr zu lieben ſchien, er<lb/>
moͤchte ſie bey ihrem Worte faſſen, der Liebha-<lb/>
ber moͤchte den Deſpoten wieder annehmen, ſo-<lb/>
bald ſich die Liebhaberinn in die Sklavinn<lb/>ſchickt, eine kalte Dankſagung, daß ſie ihn noch<lb/>
zu rechter Zeit von einem ſo bedenklichen Schritte<lb/>
zuruͤck halten wollen, moͤchte anſtatt einer feu-<lb/>
rigen Beſtaͤtigung ſeines Entſchluſſes erfolgen,<lb/>
das gute Kind moͤchte durch ihre Großmuth<lb/>
wieder auf einmal verlieren, was ſie durch muth-<lb/>
willige Vermeſſenheiten ſo muͤhſam gewonnen:<lb/>
doch dieſe Furcht iſt vergebens, und das Stuͤck<lb/>ſchließt ſich zu unſerer voͤlligen Zufriedenheit.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Und</fw><lb/><p><notexml:id="seg2pn_3_2"prev="#seg2pn_3_1"place="foot"n="(*)"><cit><quote><hirendition="#aq">Tant de vertus excitent mes tranſports.<lb/>
A ton tour, tu vas me connoitre:<lb/>
Je t’aime, Soliman; mes tu l’as mérité.<lb/>
Reprends tes droits, reprends ma liberté;<lb/>
Sois mon Sultan, mon Heros & mon<lb/>
Maitre.<lb/>
Tu me ſoupçonnerois d’injuſte vanité.<lb/>
Va, ne fais rien, que ta loi n’autoriſe;<lb/>
Il eſt des préjugés qu’on ne doit point trahir,<lb/>
Et je veux un Amant, qui n’ai point à rougir:<lb/>
Tu vois dans Roxelane une Eſclave ſoumiſe.</hi></quote></cit></note></p><lb/></div></body></text></TEI>
[276/0290]
uns wird auf einmal ganz anders; die Coquette
verſchwindet, und ein liebes, eben ſo vernuͤnf-
tiges als drolligtes Maͤdchen ſteht vor uns; So-
limann hoͤret auf, uns veraͤchtlich zu ſcheinen,
denn dieſe beſſere Roxelane iſt ſeiner Liebe wuͤr-
dig; wir fangen ſogar in dem Augenblicke an zu
fuͤrchten, er moͤchte die nicht genug lieben, die
er uns zuvor viel zu ſehr zu lieben ſchien, er
moͤchte ſie bey ihrem Worte faſſen, der Liebha-
ber moͤchte den Deſpoten wieder annehmen, ſo-
bald ſich die Liebhaberinn in die Sklavinn
ſchickt, eine kalte Dankſagung, daß ſie ihn noch
zu rechter Zeit von einem ſo bedenklichen Schritte
zuruͤck halten wollen, moͤchte anſtatt einer feu-
rigen Beſtaͤtigung ſeines Entſchluſſes erfolgen,
das gute Kind moͤchte durch ihre Großmuth
wieder auf einmal verlieren, was ſie durch muth-
willige Vermeſſenheiten ſo muͤhſam gewonnen:
doch dieſe Furcht iſt vergebens, und das Stuͤck
ſchließt ſich zu unſerer voͤlligen Zufriedenheit.
Und
(*)
(*) Tant de vertus excitent mes tranſports.
A ton tour, tu vas me connoitre:
Je t’aime, Soliman; mes tu l’as mérité.
Reprends tes droits, reprends ma liberté;
Sois mon Sultan, mon Heros & mon
Maitre.
Tu me ſoupçonnerois d’injuſte vanité.
Va, ne fais rien, que ta loi n’autoriſe;
Il eſt des préjugés qu’on ne doit point trahir,
Et je veux un Amant, qui n’ai point à rougir:
Tu vois dans Roxelane une Eſclave ſoumiſe.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/290>, abgerufen am 01.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.