gesehen zu haben, eben so begierig ist?) so wohl scheinet sich doch die Eitelkeit der französischen Dichter dabey befunden zu haben. Denn da das Pariser Parterr sahe, wie leicht ein Vol- taire in diese Falle zu locken sey, wie zahm und geschmeidig so ein Mann durch zweydeutige Ca- ressen werden könne: so machte es sich dieses Vergnügen öftrer, und selten ward nachher ein neues Stück aufgeführt, dessen Verfasser nicht gleichfalls hervor mußte, und auch ganz gern hervor kam. Von Voltairen bis zum Marmon- tel, und vom Marmontel bis tief herab zum Cor- dier, haben fast alle an diesem Pranger gestan- den. Wie manches Armesündergesichte muß darunter gewesen seyn! Der Posse gieng endlich so weit, daß sich die Ernsthaftern von der Nation selbst darüber ärgerten. Der sinnreiche Einfall des weisen Polichinell ist bekannt. Und nur erst ganz neulich war ein junger Dichter kühn genug, das Parterr vergebens nach sich rufen zu lassen. Er erschien durchaus nicht; sein Stück war mit- telmäßig, aber dieses sein Betragen desto braver und rühmlicher. Ich wollte durch mein Bey- spiel einen solchen Uebelstand lieber abgeschaft, als durch zehn Meropen ihn veranlaßt haben.
Ham-
geſehen zu haben, eben ſo begierig iſt?) ſo wohl ſcheinet ſich doch die Eitelkeit der franzoͤſiſchen Dichter dabey befunden zu haben. Denn da das Pariſer Parterr ſahe, wie leicht ein Vol- taire in dieſe Falle zu locken ſey, wie zahm und geſchmeidig ſo ein Mann durch zweydeutige Ca- reſſen werden koͤnne: ſo machte es ſich dieſes Vergnuͤgen oͤftrer, und ſelten ward nachher ein neues Stuͤck aufgefuͤhrt, deſſen Verfaſſer nicht gleichfalls hervor mußte, und auch ganz gern hervor kam. Von Voltairen bis zum Marmon- tel, und vom Marmontel bis tief herab zum Cor- dier, haben faſt alle an dieſem Pranger geſtan- den. Wie manches Armeſuͤndergeſichte muß darunter geweſen ſeyn! Der Poſſe gieng endlich ſo weit, daß ſich die Ernſthaftern von der Nation ſelbſt daruͤber aͤrgerten. Der ſinnreiche Einfall des weiſen Polichinell iſt bekannt. Und nur erſt ganz neulich war ein junger Dichter kuͤhn genug, das Parterr vergebens nach ſich rufen zu laſſen. Er erſchien durchaus nicht; ſein Stuͤck war mit- telmaͤßig, aber dieſes ſein Betragen deſto braver und ruͤhmlicher. Ich wollte durch mein Bey- ſpiel einen ſolchen Uebelſtand lieber abgeſchaft, als durch zehn Meropen ihn veranlaßt haben.
Ham-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0302"n="288"/>
geſehen zu haben, eben ſo begierig iſt?) ſo wohl<lb/>ſcheinet ſich doch die Eitelkeit der franzoͤſiſchen<lb/>
Dichter dabey befunden zu haben. Denn da<lb/>
das Pariſer Parterr ſahe, wie leicht ein Vol-<lb/>
taire in dieſe Falle zu locken ſey, wie zahm und<lb/>
geſchmeidig ſo ein Mann durch zweydeutige Ca-<lb/>
reſſen werden koͤnne: ſo machte es ſich dieſes<lb/>
Vergnuͤgen oͤftrer, und ſelten ward nachher ein<lb/>
neues Stuͤck aufgefuͤhrt, deſſen Verfaſſer nicht<lb/>
gleichfalls hervor mußte, und auch ganz gern<lb/>
hervor kam. Von Voltairen bis zum Marmon-<lb/>
tel, und vom Marmontel bis tief herab zum Cor-<lb/>
dier, haben faſt alle an dieſem Pranger geſtan-<lb/>
den. Wie manches Armeſuͤndergeſichte muß<lb/>
darunter geweſen ſeyn! Der Poſſe gieng endlich<lb/>ſo weit, daß ſich die Ernſthaftern von der Nation<lb/>ſelbſt daruͤber aͤrgerten. Der ſinnreiche Einfall<lb/>
des weiſen Polichinell iſt bekannt. Und nur erſt<lb/>
ganz neulich war ein junger Dichter kuͤhn genug,<lb/>
das Parterr vergebens nach ſich rufen zu laſſen.<lb/>
Er erſchien durchaus nicht; ſein Stuͤck war mit-<lb/>
telmaͤßig, aber dieſes ſein Betragen deſto braver<lb/>
und ruͤhmlicher. Ich wollte durch mein Bey-<lb/>ſpiel einen ſolchen Uebelſtand lieber abgeſchaft,<lb/>
als durch zehn Meropen ihn veranlaßt haben.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#b">Ham-</hi></fw><lb/></body></text></TEI>
[288/0302]
geſehen zu haben, eben ſo begierig iſt?) ſo wohl
ſcheinet ſich doch die Eitelkeit der franzoͤſiſchen
Dichter dabey befunden zu haben. Denn da
das Pariſer Parterr ſahe, wie leicht ein Vol-
taire in dieſe Falle zu locken ſey, wie zahm und
geſchmeidig ſo ein Mann durch zweydeutige Ca-
reſſen werden koͤnne: ſo machte es ſich dieſes
Vergnuͤgen oͤftrer, und ſelten ward nachher ein
neues Stuͤck aufgefuͤhrt, deſſen Verfaſſer nicht
gleichfalls hervor mußte, und auch ganz gern
hervor kam. Von Voltairen bis zum Marmon-
tel, und vom Marmontel bis tief herab zum Cor-
dier, haben faſt alle an dieſem Pranger geſtan-
den. Wie manches Armeſuͤndergeſichte muß
darunter geweſen ſeyn! Der Poſſe gieng endlich
ſo weit, daß ſich die Ernſthaftern von der Nation
ſelbſt daruͤber aͤrgerten. Der ſinnreiche Einfall
des weiſen Polichinell iſt bekannt. Und nur erſt
ganz neulich war ein junger Dichter kuͤhn genug,
das Parterr vergebens nach ſich rufen zu laſſen.
Er erſchien durchaus nicht; ſein Stuͤck war mit-
telmaͤßig, aber dieſes ſein Betragen deſto braver
und ruͤhmlicher. Ich wollte durch mein Bey-
ſpiel einen ſolchen Uebelſtand lieber abgeſchaft,
als durch zehn Meropen ihn veranlaßt haben.
Ham-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/302>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.