Sohn gemeiner Aeltern hält, und in dem Lande auf Abentheuer ganz allein herumschweift, nach- dem er einen Mord verübt, dem ohngeachtet nicht soll für einen Räuber gehalten werden dür- fen, weil es voraus sieht, daß er der Held des Stückes werden müsse; (*) wenn es beleidiget wird, daß man einen solchem Menschen keinen kostbarem Ring zutrauen will, da doch kein Fähndrich in des Königs Armee sey, der nicht de belles Nippes besitze. Das Pariser Par- terr, sage ich, hat in diesen und ähnlichen Fäl- len Unrecht: aber warum muß Voltairen auch in andern Fällen, wo es gewiß nicht Unrecht hat, dennoch lieber ihm, als dem Maffei Unrecht zu geben scheinen wollen? Wenn die französische Höflichkeit gegen Ausländer darinn besteht, daß man ihnen auch in solchen Stücken Recht giebt, wo sie sich schämen müßten, Recht zu haben, so weiß ich nicht, was beleidigender und einem freyen Menschen unanständiger seyn kann, als diese französische Höflichkeit. Das Geschwätz, welches Maffei seinem alten Polydor von lusti- gen Hochzeiten, von prächtigen Krönungen, de- nen er vor diesen beygewohnt, in den Mund legt, und zu einer Zeit in den Mund legt, wenn das Interesse aufs höchste gestiegen und die Einbil-
dungs-
(*)Je n'oserais hazarder de faire prendre un heros pour un voleur, quoique la circon- stance ou il se trouve autorise cette meprise.
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Sohn gemeiner Aeltern haͤlt, und in dem Lande auf Abentheuer ganz allein herumſchweift, nach- dem er einen Mord veruͤbt, dem ohngeachtet nicht ſoll fuͤr einen Raͤuber gehalten werden duͤr- fen, weil es voraus ſieht, daß er der Held des Stuͤckes werden muͤſſe; (*) wenn es beleidiget wird, daß man einen ſolchem Menſchen keinen koſtbarem Ring zutrauen will, da doch kein Faͤhndrich in des Koͤnigs Armee ſey, der nicht de belles Nippes beſitze. Das Pariſer Par- terr, ſage ich, hat in dieſen und aͤhnlichen Faͤl- len Unrecht: aber warum muß Voltairen auch in andern Faͤllen, wo es gewiß nicht Unrecht hat, dennoch lieber ihm, als dem Maffei Unrecht zu geben ſcheinen wollen? Wenn die franzoͤſiſche Hoͤflichkeit gegen Auslaͤnder darinn beſteht, daß man ihnen auch in ſolchen Stuͤcken Recht giebt, wo ſie ſich ſchaͤmen muͤßten, Recht zu haben, ſo weiß ich nicht, was beleidigender und einem freyen Menſchen unanſtaͤndiger ſeyn kann, als dieſe franzoͤſiſche Hoͤflichkeit. Das Geſchwaͤtz, welches Maffei ſeinem alten Polydor von luſti- gen Hochzeiten, von praͤchtigen Kroͤnungen, de- nen er vor dieſen beygewohnt, in den Mund legt, und zu einer Zeit in den Mund legt, wenn das Intereſſe aufs hoͤchſte geſtiegen und die Einbil-
dungs-
(*)Je n’oſerais hazarder de faire prendre un heros pour un voleur, quoique la circon- ſtance ou il ſe trouve autoriſe cette mepriſe.
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Sohn gemeiner Aeltern haͤlt, und in dem Lande
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nicht ſoll fuͤr einen Raͤuber gehalten werden duͤr-
fen, weil es voraus ſieht, daß er der Held des
Stuͤckes werden muͤſſe; (*) wenn es beleidiget
wird, daß man einen ſolchem Menſchen keinen
koſtbarem Ring zutrauen will, da doch kein
Faͤhndrich in des Koͤnigs Armee ſey, der nicht
de belles Nippes beſitze. Das Pariſer Par-
terr, ſage ich, hat in dieſen und aͤhnlichen Faͤl-
len Unrecht: aber warum muß Voltairen auch
in andern Faͤllen, wo es gewiß nicht Unrecht hat,
dennoch lieber ihm, als dem Maffei Unrecht zu
geben ſcheinen wollen? Wenn die franzoͤſiſche
Hoͤflichkeit gegen Auslaͤnder darinn beſteht, daß
man ihnen auch in ſolchen Stuͤcken Recht giebt,
wo ſie ſich ſchaͤmen muͤßten, Recht zu haben, ſo
weiß ich nicht, was beleidigender und einem
freyen Menſchen unanſtaͤndiger ſeyn kann, als
dieſe franzoͤſiſche Hoͤflichkeit. Das Geſchwaͤtz,
welches Maffei ſeinem alten Polydor von luſti-
gen Hochzeiten, von praͤchtigen Kroͤnungen, de-
nen er vor dieſen beygewohnt, in den Mund legt,
und zu einer Zeit in den Mund legt, wenn das
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/339>, abgerufen am 22.11.2024.
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