che, da ohne Zweifel noch keine Stadt dieses Namens gewesen, weil Homer keiner erwähne. Ein Dichter kann es mit solchen Kleinigkeiten halten, wie er will: nur verlangt man, daß er sich immer gleich bleibet, und daß er sich nicht einmal über etwas Bedenken macht, worüber er ein andermal kühnlich weggeht; wenn man nicht glauben soll, daß er den Anstoß vielmehr aus Unwissenheit nicht gesehen, als nicht sehen wollen. Ueberhaupt würden mir die angeführ- ten Zeilen nicht gefallen, wenn sie auch keinen Anachronismus enthielten. Der tragische Dich- ter sollte alles vermeiden, was die Zuschauer an ihre Illusion erinnern kann; denn sobald sie daran erinnert sind, so ist sie weg. Hier schei- net es zwar, als ob Maffei die Illusion eher noch bestärken wollen, indem er das Theater ausdrücklich außer dem Theater annehmen läßt; doch die bloßen Worte, Bühne und erdichten, sind der Sache schon nachtheilig, und bringen uns geraden Weges dahin, wovon sie uns ab- bringen sollen. Dem komischen Dichter ist es eher erlaubt, auf diese Weise seiner Vorstellung Vorstellungen entgegen zu setzen; denn unser Lachen zu erregen, braucht es des Grades der Täuschung nicht, den unser Mitleiden erfor- dert.
Ich habe schon gesagt, wie hart de la Lin- delle dem Maffei mitspielt. Nach seinem Ur-
theile
che, da ohne Zweifel noch keine Stadt dieſes Namens geweſen, weil Homer keiner erwaͤhne. Ein Dichter kann es mit ſolchen Kleinigkeiten halten, wie er will: nur verlangt man, daß er ſich immer gleich bleibet, und daß er ſich nicht einmal uͤber etwas Bedenken macht, woruͤber er ein andermal kuͤhnlich weggeht; wenn man nicht glauben ſoll, daß er den Anſtoß vielmehr aus Unwiſſenheit nicht geſehen, als nicht ſehen wollen. Ueberhaupt wuͤrden mir die angefuͤhr- ten Zeilen nicht gefallen, wenn ſie auch keinen Anachroniſmus enthielten. Der tragiſche Dich- ter ſollte alles vermeiden, was die Zuſchauer an ihre Illuſion erinnern kann; denn ſobald ſie daran erinnert ſind, ſo iſt ſie weg. Hier ſchei- net es zwar, als ob Maffei die Illuſion eher noch beſtaͤrken wollen, indem er das Theater ausdruͤcklich außer dem Theater annehmen laͤßt; doch die bloßen Worte, Buͤhne und erdichten, ſind der Sache ſchon nachtheilig, und bringen uns geraden Weges dahin, wovon ſie uns ab- bringen ſollen. Dem komiſchen Dichter iſt es eher erlaubt, auf dieſe Weiſe ſeiner Vorſtellung Vorſtellungen entgegen zu ſetzen; denn unſer Lachen zu erregen, braucht es des Grades der Taͤuſchung nicht, den unſer Mitleiden erfor- dert.
Ich habe ſchon geſagt, wie hart de la Lin- delle dem Maffei mitſpielt. Nach ſeinem Ur-
theile
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che, da ohne Zweifel noch keine Stadt dieſes
Namens geweſen, weil Homer keiner erwaͤhne.
Ein Dichter kann es mit ſolchen Kleinigkeiten
halten, wie er will: nur verlangt man, daß er
ſich immer gleich bleibet, und daß er ſich nicht
einmal uͤber etwas Bedenken macht, woruͤber
er ein andermal kuͤhnlich weggeht; wenn man
nicht glauben ſoll, daß er den Anſtoß vielmehr
aus Unwiſſenheit nicht geſehen, als nicht ſehen
wollen. Ueberhaupt wuͤrden mir die angefuͤhr-
ten Zeilen nicht gefallen, wenn ſie auch keinen
Anachroniſmus enthielten. Der tragiſche Dich-
ter ſollte alles vermeiden, was die Zuſchauer an
ihre Illuſion erinnern kann; denn ſobald ſie
daran erinnert ſind, ſo iſt ſie weg. Hier ſchei-
net es zwar, als ob Maffei die Illuſion eher
noch beſtaͤrken wollen, indem er das Theater
ausdruͤcklich außer dem Theater annehmen laͤßt;
doch die bloßen Worte, Buͤhne und erdichten,
ſind der Sache ſchon nachtheilig, und bringen
uns geraden Weges dahin, wovon ſie uns ab-
bringen ſollen. Dem komiſchen Dichter iſt es
eher erlaubt, auf dieſe Weiſe ſeiner Vorſtellung
Vorſtellungen entgegen zu ſetzen; denn unſer
Lachen zu erregen, braucht es des Grades der
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/348>, abgerufen am 22.11.2024.
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