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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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Weg seines Dialogs richten und schlingen müs-
sen. Welcher pedantische Zwang! Und wozu?
Sind es nicht diese Sittensprüche, womit man
seine Lücken füllet, so sind es andere.

Dem ohngeachtet möchten sich wiederum
Stellen finden, wo man wünschen dürfte, daß
sich der Litterator weniger vergessen hätte. Z. E.
Nachdem die Erkennung vorgegangen, und Me-
rope einsieht, in welcher Gefahr sie zweymal ge-
wesen sey, ihren eignen Sohn umzubringen, so
läßt er die Ismene, voller Erstaunen ausrufen:
"Welche wunderbare Begebenheit, wunderba-
"rer, als sie jemals auf einer Bühne erdichtet
"worden!"

Con cosi strani avvenimenti uom forse
Non vide mai favoleggiar le scene.

Maffei hat sich nicht erinnert, daß die Geschichte
seines Stücks in eine Zeit fällt, da noch an kein
Theater gedacht war; in die Zeit vor dem Ho-
mer, dessen Gedichte den ersten Saamen des
Drama ausstreuten. Ich würde diese Unacht-
samkeit niemanden als ihm aufmutzen, der sich
in der Vorrede entschuldigen zu müssen glaubte,
daß er den Namen Messene zu einer Zeit brau-

che,
qua, e la; avendone tradotti cinque versi
Cicerone, e recati tre passi Plutarco, e
due verfi Gellio, e alcuni trovandosene
ancora, se la memoria non m'inganna,
presso Stobeo.
T t 3

Weg ſeines Dialogs richten und ſchlingen muͤſ-
ſen. Welcher pedantiſche Zwang! Und wozu?
Sind es nicht dieſe Sittenſpruͤche, womit man
ſeine Luͤcken fuͤllet, ſo ſind es andere.

Dem ohngeachtet moͤchten ſich wiederum
Stellen finden, wo man wuͤnſchen duͤrfte, daß
ſich der Litterator weniger vergeſſen haͤtte. Z. E.
Nachdem die Erkennung vorgegangen, und Me-
rope einſieht, in welcher Gefahr ſie zweymal ge-
weſen ſey, ihren eignen Sohn umzubringen, ſo
laͤßt er die Iſmene, voller Erſtaunen ausrufen:
〟Welche wunderbare Begebenheit, wunderba-
〟rer, als ſie jemals auf einer Buͤhne erdichtet
〟worden!〟

Con così ſtrani avvenimenti uom forſe
Non vide mai favoleggiar le ſcene.

Maffei hat ſich nicht erinnert, daß die Geſchichte
ſeines Stuͤcks in eine Zeit faͤllt, da noch an kein
Theater gedacht war; in die Zeit vor dem Ho-
mer, deſſen Gedichte den erſten Saamen des
Drama ausſtreuten. Ich wuͤrde dieſe Unacht-
ſamkeit niemanden als ihm aufmutzen, der ſich
in der Vorrede entſchuldigen zu muͤſſen glaubte,
daß er den Namen Meſſene zu einer Zeit brau-

che,
qua, e là; avendone tradotti cinque verſi
Cicerone, e recati tre paſſi Plutarco, e
due verfi Gellio, e alcuni trovandoſene
ancora, ſe la memoria non m’inganna,
preſſo Stobeo.
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[333/0347] Weg ſeines Dialogs richten und ſchlingen muͤſ- ſen. Welcher pedantiſche Zwang! Und wozu? Sind es nicht dieſe Sittenſpruͤche, womit man ſeine Luͤcken fuͤllet, ſo ſind es andere. Dem ohngeachtet moͤchten ſich wiederum Stellen finden, wo man wuͤnſchen duͤrfte, daß ſich der Litterator weniger vergeſſen haͤtte. Z. E. Nachdem die Erkennung vorgegangen, und Me- rope einſieht, in welcher Gefahr ſie zweymal ge- weſen ſey, ihren eignen Sohn umzubringen, ſo laͤßt er die Iſmene, voller Erſtaunen ausrufen: 〟Welche wunderbare Begebenheit, wunderba- 〟rer, als ſie jemals auf einer Buͤhne erdichtet 〟worden!〟 Con così ſtrani avvenimenti uom forſe Non vide mai favoleggiar le ſcene. Maffei hat ſich nicht erinnert, daß die Geſchichte ſeines Stuͤcks in eine Zeit faͤllt, da noch an kein Theater gedacht war; in die Zeit vor dem Ho- mer, deſſen Gedichte den erſten Saamen des Drama ausſtreuten. Ich wuͤrde dieſe Unacht- ſamkeit niemanden als ihm aufmutzen, der ſich in der Vorrede entſchuldigen zu muͤſſen glaubte, daß er den Namen Meſſene zu einer Zeit brau- che, (*) (*) qua, e là; avendone tradotti cinque verſi Cicerone, e recati tre paſſi Plutarco, e due verfi Gellio, e alcuni trovandoſene ancora, ſe la memoria non m’inganna, preſſo Stobeo. T t 3

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/347>, abgerufen am 22.11.2024.