Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

Hand vornehmlich auf den Thron verhelfen soll-
te; aber nun ist er König, und ist es geworden,
ohne sich auf den Titel ihres Gemahls zu grün-
den; er wiederhole seinen Antrag, und viel-
leicht giebt sie es näher; er lasse ihr Zeit, den
Abstand zu vergessen, der sich ehedem zwischen
ihnen befand, sich zu gewöhnen, ihn als ihres
gleichen zu betrachten, und vielleicht ist nur
kurze Zeit dazu nöthig. Wenn er sie nicht ge-
winnen kann, was hilft es ihn, sie zu zwingen?
Wird es ihren Anhängern unbekannt bleiben,
daß sie gezwungen worden? Werden sie ihn
nicht auch darum hassen zu müssen glauben?
Werden sie nicht auch darum dem Aegisth, so-
bald er sich zeigt, beyzutreten, und in seiner Sache
zugleich die Sache seiner Mutter zu betreiben,
sich für verbunden achten? Vergebens, daß das
Schicksal dem Tyrannen, der ganzer funfzehn
Jahr sonst so bedächtlich zu Werke gegangen,
diesen Aegisth nun selbst in die Hände liefert,
und ihm dadurch ein Mittel, den Thron ohne
alle Ansprüche zu besitzen, anbietet, das weit
kürzer, weit unfehlbarer ist, als die Verbin-
dung mit seiner Mutter: es soll und muß gehey-
rathet seyn, und noch heute, und noch diesen
Abend; der neue König will bey der alten Kö-
niginn noch diese Nacht schlafen, oder es geht
nicht gut. Kann man sich etwas komischeres
denken? In der Vorstellung, meine ich; denn

daß
Y y 2

Hand vornehmlich auf den Thron verhelfen ſoll-
te; aber nun iſt er Koͤnig, und iſt es geworden,
ohne ſich auf den Titel ihres Gemahls zu gruͤn-
den; er wiederhole ſeinen Antrag, und viel-
leicht giebt ſie es naͤher; er laſſe ihr Zeit, den
Abſtand zu vergeſſen, der ſich ehedem zwiſchen
ihnen befand, ſich zu gewoͤhnen, ihn als ihres
gleichen zu betrachten, und vielleicht iſt nur
kurze Zeit dazu noͤthig. Wenn er ſie nicht ge-
winnen kann, was hilft es ihn, ſie zu zwingen?
Wird es ihren Anhaͤngern unbekannt bleiben,
daß ſie gezwungen worden? Werden ſie ihn
nicht auch darum haſſen zu muͤſſen glauben?
Werden ſie nicht auch darum dem Aegisth, ſo-
bald er ſich zeigt, beyzutreten, und in ſeiner Sache
zugleich die Sache ſeiner Mutter zu betreiben,
ſich fuͤr verbunden achten? Vergebens, daß das
Schickſal dem Tyrannen, der ganzer funfzehn
Jahr ſonſt ſo bedaͤchtlich zu Werke gegangen,
dieſen Aegisth nun ſelbſt in die Haͤnde liefert,
und ihm dadurch ein Mittel, den Thron ohne
alle Anſpruͤche zu beſitzen, anbietet, das weit
kuͤrzer, weit unfehlbarer iſt, als die Verbin-
dung mit ſeiner Mutter: es ſoll und muß gehey-
rathet ſeyn, und noch heute, und noch dieſen
Abend; der neue Koͤnig will bey der alten Koͤ-
niginn noch dieſe Nacht ſchlafen, oder es geht
nicht gut. Kann man ſich etwas komiſcheres
denken? In der Vorſtellung, meine ich; denn

daß
Y y 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0369" n="355"/>
Hand vornehmlich auf den Thron verhelfen &#x017F;oll-<lb/>
te; aber nun i&#x017F;t er Ko&#x0364;nig, und i&#x017F;t es geworden,<lb/>
ohne &#x017F;ich auf den Titel ihres Gemahls zu gru&#x0364;n-<lb/>
den; er wiederhole &#x017F;einen Antrag, und viel-<lb/>
leicht giebt &#x017F;ie es na&#x0364;her; er la&#x017F;&#x017F;e ihr Zeit, den<lb/>
Ab&#x017F;tand zu verge&#x017F;&#x017F;en, der &#x017F;ich ehedem zwi&#x017F;chen<lb/>
ihnen befand, &#x017F;ich zu gewo&#x0364;hnen, ihn als ihres<lb/>
gleichen zu betrachten, und vielleicht i&#x017F;t nur<lb/>
kurze Zeit dazu no&#x0364;thig. Wenn er &#x017F;ie nicht ge-<lb/>
winnen kann, was hilft es ihn, &#x017F;ie zu zwingen?<lb/>
Wird es ihren Anha&#x0364;ngern unbekannt bleiben,<lb/>
daß &#x017F;ie gezwungen worden? Werden &#x017F;ie ihn<lb/>
nicht auch darum ha&#x017F;&#x017F;en zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en glauben?<lb/>
Werden &#x017F;ie nicht auch darum dem Aegisth, &#x017F;o-<lb/>
bald er &#x017F;ich zeigt, beyzutreten, und in &#x017F;einer Sache<lb/>
zugleich die Sache &#x017F;einer Mutter zu betreiben,<lb/>
&#x017F;ich fu&#x0364;r verbunden achten? Vergebens, daß das<lb/>
Schick&#x017F;al dem Tyrannen, der ganzer funfzehn<lb/>
Jahr &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o beda&#x0364;chtlich zu Werke gegangen,<lb/>
die&#x017F;en Aegisth nun &#x017F;elb&#x017F;t in die Ha&#x0364;nde liefert,<lb/>
und ihm dadurch ein Mittel, den Thron ohne<lb/>
alle An&#x017F;pru&#x0364;che zu be&#x017F;itzen, anbietet, das weit<lb/>
ku&#x0364;rzer, weit unfehlbarer i&#x017F;t, als die Verbin-<lb/>
dung mit &#x017F;einer Mutter: es &#x017F;oll und muß gehey-<lb/>
rathet &#x017F;eyn, und noch heute, und noch die&#x017F;en<lb/>
Abend; der neue Ko&#x0364;nig will bey der alten Ko&#x0364;-<lb/>
niginn noch die&#x017F;e Nacht &#x017F;chlafen, oder es geht<lb/>
nicht gut. Kann man &#x017F;ich etwas komi&#x017F;cheres<lb/>
denken? In der Vor&#x017F;tellung, meine ich; denn<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Y y 2</fw><fw place="bottom" type="catch">daß</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[355/0369] Hand vornehmlich auf den Thron verhelfen ſoll- te; aber nun iſt er Koͤnig, und iſt es geworden, ohne ſich auf den Titel ihres Gemahls zu gruͤn- den; er wiederhole ſeinen Antrag, und viel- leicht giebt ſie es naͤher; er laſſe ihr Zeit, den Abſtand zu vergeſſen, der ſich ehedem zwiſchen ihnen befand, ſich zu gewoͤhnen, ihn als ihres gleichen zu betrachten, und vielleicht iſt nur kurze Zeit dazu noͤthig. Wenn er ſie nicht ge- winnen kann, was hilft es ihn, ſie zu zwingen? Wird es ihren Anhaͤngern unbekannt bleiben, daß ſie gezwungen worden? Werden ſie ihn nicht auch darum haſſen zu muͤſſen glauben? Werden ſie nicht auch darum dem Aegisth, ſo- bald er ſich zeigt, beyzutreten, und in ſeiner Sache zugleich die Sache ſeiner Mutter zu betreiben, ſich fuͤr verbunden achten? Vergebens, daß das Schickſal dem Tyrannen, der ganzer funfzehn Jahr ſonſt ſo bedaͤchtlich zu Werke gegangen, dieſen Aegisth nun ſelbſt in die Haͤnde liefert, und ihm dadurch ein Mittel, den Thron ohne alle Anſpruͤche zu beſitzen, anbietet, das weit kuͤrzer, weit unfehlbarer iſt, als die Verbin- dung mit ſeiner Mutter: es ſoll und muß gehey- rathet ſeyn, und noch heute, und noch dieſen Abend; der neue Koͤnig will bey der alten Koͤ- niginn noch dieſe Nacht ſchlafen, oder es geht nicht gut. Kann man ſich etwas komiſcheres denken? In der Vorſtellung, meine ich; denn daß Y y 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/369
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/369>, abgerufen am 22.11.2024.