allgemeinen Betrachtungen eben so stürmisch her- aus, als das Uebrige; und in ruhigen, beten sie dieselben eben so gelassen her, als das Uebrige. Daher geschieht es denn aber auch, daß sich die Moral weder in den einen, noch in den andern bey ihnen ausnimmt; und daß wir sie in jenen eben so unnatürlich, als in diesen langweilig und kalt finden. Sie überlegten nie, daß die Stücke- rey von dem Grunde abstechen muß, und Gold auf Gold brodiren ein elender Geschmack ist.
Durch ihre Gestus verderben sie vollends alles. Sie wissen weder, wenn sie deren dabey machen sollen, noch was für welche. Sie machen gemeiniglich zu viele, und zu unbedeutende.
Wenn in einer heftigen Situation die Seele sich auf einmal zu sammeln scheinet, um einen überlegenden Blick auf sich, oder auf das, was sie umgiebt, zu werfen; so ist es natürlich, daß sie allen Bewegungen des Körpers, die von ih- rem bloßen Willen abhangen, gebieten wird. Nicht die Stimme allein wird gelassener; die Glieder alle gerathen in einen Stand der Ruhe, um die innere Ruhe auszudrücken, ohne die das Auge der Vernunft nicht wohl um sich schauen kann. Mit eins tritt der fortschreitende Fuß fest auf, die Arme sinken, der ganze Körper zieht sich in den wagrechten Stand; eine Pause -- und dann die Reflexion. Der Mann steht da, in einer feyerlichen Stille, als ob er sich nicht stöhren wollte, sich selbst zu hören. Die Reflexion ist aus, --
wie-
allgemeinen Betrachtungen eben ſo ſtuͤrmiſch her- aus, als das Uebrige; und in ruhigen, beten ſie dieſelben eben ſo gelaſſen her, als das Uebrige. Daher geſchieht es denn aber auch, daß ſich die Moral weder in den einen, noch in den andern bey ihnen ausnimmt; und daß wir ſie in jenen eben ſo unnatuͤrlich, als in dieſen langweilig und kalt finden. Sie uͤberlegten nie, daß die Stuͤcke- rey von dem Grunde abſtechen muß, und Gold auf Gold brodiren ein elender Geſchmack iſt.
Durch ihre Geſtus verderben ſie vollends alles. Sie wiſſen weder, wenn ſie deren dabey machen ſollen, noch was fuͤr welche. Sie machen gemeiniglich zu viele, und zu unbedeutende.
Wenn in einer heftigen Situation die Seele ſich auf einmal zu ſammeln ſcheinet, um einen uͤberlegenden Blick auf ſich, oder auf das, was ſie umgiebt, zu werfen; ſo iſt es natuͤrlich, daß ſie allen Bewegungen des Koͤrpers, die von ih- rem bloßen Willen abhangen, gebieten wird. Nicht die Stimme allein wird gelaſſener; die Glieder alle gerathen in einen Stand der Ruhe, um die innere Ruhe auszudruͤcken, ohne die das Auge der Vernunft nicht wohl um ſich ſchauen kann. Mit eins tritt der fortſchreitende Fuß feſt auf, die Arme ſinken, der ganze Koͤrper zieht ſich in den wagrechten Stand; eine Pauſe — und dann die Reflexion. Der Mann ſteht da, in einer feyerlichen Stille, als ob er ſich nicht ſtoͤhren wollte, ſich ſelbſt zu hoͤren. Die Reflexion iſt aus, —
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allgemeinen Betrachtungen eben ſo ſtuͤrmiſch her-
aus, als das Uebrige; und in ruhigen, beten ſie
dieſelben eben ſo gelaſſen her, als das Uebrige.
Daher geſchieht es denn aber auch, daß ſich die
Moral weder in den einen, noch in den andern
bey ihnen ausnimmt; und daß wir ſie in jenen
eben ſo unnatuͤrlich, als in dieſen langweilig und
kalt finden. Sie uͤberlegten nie, daß die Stuͤcke-
rey von dem Grunde abſtechen muß, und Gold
auf Gold brodiren ein elender Geſchmack iſt.
Durch ihre Geſtus verderben ſie vollends
alles. Sie wiſſen weder, wenn ſie deren dabey
machen ſollen, noch was fuͤr welche. Sie machen
gemeiniglich zu viele, und zu unbedeutende.
Wenn in einer heftigen Situation die Seele
ſich auf einmal zu ſammeln ſcheinet, um einen
uͤberlegenden Blick auf ſich, oder auf das, was
ſie umgiebt, zu werfen; ſo iſt es natuͤrlich, daß
ſie allen Bewegungen des Koͤrpers, die von ih-
rem bloßen Willen abhangen, gebieten wird.
Nicht die Stimme allein wird gelaſſener; die
Glieder alle gerathen in einen Stand der Ruhe,
um die innere Ruhe auszudruͤcken, ohne die das
Auge der Vernunft nicht wohl um ſich ſchauen
kann. Mit eins tritt der fortſchreitende Fuß
feſt auf, die Arme ſinken, der ganze Koͤrper zieht
ſich in den wagrechten Stand; eine Pauſe —
und dann die Reflexion. Der Mann ſteht da, in
einer feyerlichen Stille, als ob er ſich nicht ſtoͤhren
wollte, ſich ſelbſt zu hoͤren. Die Reflexion iſt aus, —
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/37>, abgerufen am 21.11.2024.
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