eines Gottes vorher erfahren, als gar nicht? Was will man endlich mit der Vermischung der Gattungen überhaupt? In den Lehrbüchern sondre man sie so genau von einander ab, als möglich: aber wenn ein Genie, höherer Absich- ten wegen, mehrere derselben in einem und eben demselben Werke zusammenfliessen läßt, so ver- gesse man das Lehrbuch, und untersuche blos, ob es diese höhere Absichten erreicht hat. Was geht mich es an, ob so ein Stück des Euripides weder ganz Erzehlung, noch ganz Drama ist? Nennt es immerhin einen Zwitter; genug, daß mich dieser Zwitter mehr vergnügt, mehr er- bauet, als die gesetzmäßigsten Geburten eurer correkten Racinen, oder wie sie sonst heissen. Weil der Maulesel weder Pferd noch Esel ist, ist er darum weniger eines von nutzbarsten last- tragenden Thieren? --
Ham-
eines Gottes vorher erfahren, als gar nicht? Was will man endlich mit der Vermiſchung der Gattungen uͤberhaupt? In den Lehrbuͤchern ſondre man ſie ſo genau von einander ab, als moͤglich: aber wenn ein Genie, hoͤherer Abſich- ten wegen, mehrere derſelben in einem und eben demſelben Werke zuſammenflieſſen laͤßt, ſo ver- geſſe man das Lehrbuch, und unterſuche blos, ob es dieſe hoͤhere Abſichten erreicht hat. Was geht mich es an, ob ſo ein Stuͤck des Euripides weder ganz Erzehlung, noch ganz Drama iſt? Nennt es immerhin einen Zwitter; genug, daß mich dieſer Zwitter mehr vergnuͤgt, mehr er- bauet, als die geſetzmaͤßigſten Geburten eurer correkten Racinen, oder wie ſie ſonſt heiſſen. Weil der Mauleſel weder Pferd noch Eſel iſt, iſt er darum weniger eines von nutzbarſten laſt- tragenden Thieren? —
Ham-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0398"n="384"/>
eines Gottes vorher erfahren, als gar nicht?<lb/>
Was will man endlich mit der Vermiſchung der<lb/>
Gattungen uͤberhaupt? In den Lehrbuͤchern<lb/>ſondre man ſie ſo genau von einander ab, als<lb/>
moͤglich: aber wenn ein Genie, hoͤherer Abſich-<lb/>
ten wegen, mehrere derſelben in einem und eben<lb/>
demſelben Werke zuſammenflieſſen laͤßt, ſo ver-<lb/>
geſſe man das Lehrbuch, und unterſuche blos,<lb/>
ob es dieſe hoͤhere Abſichten erreicht hat. Was<lb/>
geht mich es an, ob ſo ein Stuͤck des Euripides<lb/>
weder ganz Erzehlung, noch ganz Drama iſt?<lb/>
Nennt es immerhin einen Zwitter; genug, daß<lb/>
mich dieſer Zwitter mehr vergnuͤgt, mehr er-<lb/>
bauet, als die geſetzmaͤßigſten Geburten eurer<lb/>
correkten Racinen, oder wie ſie ſonſt heiſſen.<lb/>
Weil der Mauleſel weder Pferd noch Eſel iſt,<lb/>
iſt er darum weniger eines von nutzbarſten laſt-<lb/>
tragenden Thieren? —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#b">Ham-</hi></fw><lb/></body></text></TEI>
[384/0398]
eines Gottes vorher erfahren, als gar nicht?
Was will man endlich mit der Vermiſchung der
Gattungen uͤberhaupt? In den Lehrbuͤchern
ſondre man ſie ſo genau von einander ab, als
moͤglich: aber wenn ein Genie, hoͤherer Abſich-
ten wegen, mehrere derſelben in einem und eben
demſelben Werke zuſammenflieſſen laͤßt, ſo ver-
geſſe man das Lehrbuch, und unterſuche blos,
ob es dieſe hoͤhere Abſichten erreicht hat. Was
geht mich es an, ob ſo ein Stuͤck des Euripides
weder ganz Erzehlung, noch ganz Drama iſt?
Nennt es immerhin einen Zwitter; genug, daß
mich dieſer Zwitter mehr vergnuͤgt, mehr er-
bauet, als die geſetzmaͤßigſten Geburten eurer
correkten Racinen, oder wie ſie ſonſt heiſſen.
Weil der Mauleſel weder Pferd noch Eſel iſt,
iſt er darum weniger eines von nutzbarſten laſt-
tragenden Thieren? —
Ham-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/398>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.