Hamburgische Dramaturgie. Neun und vierzigstes Stück.
Den 16ten October, 1767.
Mit einem Worte; wo die Tadler des Eu- ripides nichts als den Dichter zu sehen glauben, der sich aus Unvermögen, oder aus Gemächlichkeit, oder aus beiden Ursachen, seine Arbeit so leicht machte, als möglich; wo sie die dramatische Kunst in ihrer Wiege zu fin- den vermeinen: da glaube ich diese in ihrer Voll- kommenheit zu sehen, und bewundere in jenem den Meister, der im Grunde eben so regelmäßig ist, als sie ihn zu seyn verlangen, und es nur dadurch weniger zu seyn scheinet, weil er seinen Stücken eine Schönheit mehr ertheilen wollen, von der sie keinen Begriff haben.
Denn es ist klar, daß alle die Stücke, deren Prologe ihnen so viel Aergerniß machen, auch ohne diese Prologe, vollkommen ganz, und vollkommen verständlich sind. Streichet z. E. vor dem Jon den Prolog des Merkurs, vor der
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Hamburgiſche Dramaturgie. Neun und vierzigſtes Stuͤck.
Den 16ten October, 1767.
Mit einem Worte; wo die Tadler des Eu- ripides nichts als den Dichter zu ſehen glauben, der ſich aus Unvermoͤgen, oder aus Gemaͤchlichkeit, oder aus beiden Urſachen, ſeine Arbeit ſo leicht machte, als moͤglich; wo ſie die dramatiſche Kunſt in ihrer Wiege zu fin- den vermeinen: da glaube ich dieſe in ihrer Voll- kommenheit zu ſehen, und bewundere in jenem den Meiſter, der im Grunde eben ſo regelmaͤßig iſt, als ſie ihn zu ſeyn verlangen, und es nur dadurch weniger zu ſeyn ſcheinet, weil er ſeinen Stuͤcken eine Schoͤnheit mehr ertheilen wollen, von der ſie keinen Begriff haben.
Denn es iſt klar, daß alle die Stuͤcke, deren Prologe ihnen ſo viel Aergerniß machen, auch ohne dieſe Prologe, vollkommen ganz, und vollkommen verſtaͤndlich ſind. Streichet z. E. vor dem Jon den Prolog des Merkurs, vor der
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[[385]/0399]
Hamburgiſche
Dramaturgie.
Neun und vierzigſtes Stuͤck.
Den 16ten October, 1767.
Mit einem Worte; wo die Tadler des Eu-
ripides nichts als den Dichter zu ſehen
glauben, der ſich aus Unvermoͤgen, oder
aus Gemaͤchlichkeit, oder aus beiden Urſachen,
ſeine Arbeit ſo leicht machte, als moͤglich; wo
ſie die dramatiſche Kunſt in ihrer Wiege zu fin-
den vermeinen: da glaube ich dieſe in ihrer Voll-
kommenheit zu ſehen, und bewundere in jenem
den Meiſter, der im Grunde eben ſo regelmaͤßig
iſt, als ſie ihn zu ſeyn verlangen, und es nur dadurch
weniger zu ſeyn ſcheinet, weil er ſeinen Stuͤcken
eine Schoͤnheit mehr ertheilen wollen, von der
ſie keinen Begriff haben.
Denn es iſt klar, daß alle die Stuͤcke, deren
Prologe ihnen ſo viel Aergerniß machen, auch
ohne dieſe Prologe, vollkommen ganz, und
vollkommen verſtaͤndlich ſind. Streichet z. E.
vor dem Jon den Prolog des Merkurs, vor der
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. [385]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/399>, abgerufen am 22.11.2024.
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