streitig, daß der Akteur darinn zu weit gehen kann. Besteht aber das Feuer in der Geschwin- digkeit und Lebhaftigkeit, mit welcher alle Stücke, die den Akteur ausmachen, das ihrige dazu bey- tragen, um seinem Spiele den Schein der Wahr- heit zu geben: so müßten wir diesen Schein der Wahrheit nicht bis zur äußersten Illusion getrie- ben zu sehen wünschen, wenn es möglich wäre, daß der Schauspieler allzuviel Feuer in diesem Verstande anwenden könnte. Es kann also auch nicht dieses Feuer seyn, dessen Mäßigung Shake- spear, selbst in dem Strome, in dem Sturme, in dem Wirbelwinde der Leidenschaft verlangt: er muß blos jene Heftigkeit der Stimme und der Bewegungen meynen; und der Grund ist leicht zu finden, warum auch da, wo der Dichter nicht die geringste Mäßigung beobachtet hat, dennoch der Schauspieler sich in beiden Stücken mäßigen müsse. Es giebt wenig Stimmen, die in ihrer äußersten Anstrengung nicht widerwärtig wür- den; und allzu schnelle, allzu stürmische Bewe- gungen werden selten edel seyn. Gleichwohl sollen weder unsere Augen und unsere Ohren beleidiget werden; und nur alsdenn, wenn man bey Aeus- serung der heftigen Leidenschaften alles vermei- det, was diesen oder jenen unangenehm seyn könnte, haben sie das Glatte und Geschmeidige, welches ein Hamlet auch noch da von ihnen ver- langt, wenn sie den höchsten Eindruck machen,
und
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ſtreitig, daß der Akteur darinn zu weit gehen kann. Beſteht aber das Feuer in der Geſchwin- digkeit und Lebhaftigkeit, mit welcher alle Stuͤcke, die den Akteur ausmachen, das ihrige dazu bey- tragen, um ſeinem Spiele den Schein der Wahr- heit zu geben: ſo muͤßten wir dieſen Schein der Wahrheit nicht bis zur aͤußerſten Illuſion getrie- ben zu ſehen wuͤnſchen, wenn es moͤglich waͤre, daß der Schauſpieler allzuviel Feuer in dieſem Verſtande anwenden koͤnnte. Es kann alſo auch nicht dieſes Feuer ſeyn, deſſen Maͤßigung Shake- ſpear, ſelbſt in dem Strome, in dem Sturme, in dem Wirbelwinde der Leidenſchaft verlangt: er muß blos jene Heftigkeit der Stimme und der Bewegungen meynen; und der Grund iſt leicht zu finden, warum auch da, wo der Dichter nicht die geringſte Maͤßigung beobachtet hat, dennoch der Schauſpieler ſich in beiden Stuͤcken maͤßigen muͤſſe. Es giebt wenig Stimmen, die in ihrer aͤußerſten Anſtrengung nicht widerwaͤrtig wuͤr- den; und allzu ſchnelle, allzu ſtuͤrmiſche Bewe- gungen werden ſelten edel ſeyn. Gleichwohl ſollen weder unſere Augen und unſere Ohren beleidiget werden; und nur alsdenn, wenn man bey Aeuſ- ſerung der heftigen Leidenſchaften alles vermei- det, was dieſen oder jenen unangenehm ſeyn koͤnnte, haben ſie das Glatte und Geſchmeidige, welches ein Hamlet auch noch da von ihnen ver- langt, wenn ſie den hoͤchſten Eindruck machen,
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[37/0051]
ſtreitig, daß der Akteur darinn zu weit gehen
kann. Beſteht aber das Feuer in der Geſchwin-
digkeit und Lebhaftigkeit, mit welcher alle Stuͤcke,
die den Akteur ausmachen, das ihrige dazu bey-
tragen, um ſeinem Spiele den Schein der Wahr-
heit zu geben: ſo muͤßten wir dieſen Schein der
Wahrheit nicht bis zur aͤußerſten Illuſion getrie-
ben zu ſehen wuͤnſchen, wenn es moͤglich waͤre,
daß der Schauſpieler allzuviel Feuer in dieſem
Verſtande anwenden koͤnnte. Es kann alſo auch
nicht dieſes Feuer ſeyn, deſſen Maͤßigung Shake-
ſpear, ſelbſt in dem Strome, in dem Sturme,
in dem Wirbelwinde der Leidenſchaft verlangt:
er muß blos jene Heftigkeit der Stimme und der
Bewegungen meynen; und der Grund iſt leicht
zu finden, warum auch da, wo der Dichter nicht die
geringſte Maͤßigung beobachtet hat, dennoch der
Schauſpieler ſich in beiden Stuͤcken maͤßigen
muͤſſe. Es giebt wenig Stimmen, die in ihrer
aͤußerſten Anſtrengung nicht widerwaͤrtig wuͤr-
den; und allzu ſchnelle, allzu ſtuͤrmiſche Bewe-
gungen werden ſelten edel ſeyn. Gleichwohl ſollen
weder unſere Augen und unſere Ohren beleidiget
werden; und nur alsdenn, wenn man bey Aeuſ-
ſerung der heftigen Leidenſchaften alles vermei-
det, was dieſen oder jenen unangenehm ſeyn
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/51>, abgerufen am 21.11.2024.
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