Diese Ausrufungen, dünkt mich, sind rheto- rischer, als gründlich. Vor allen Dingen wünschte ich, die Religion hier aus dem Spiele zu lassen. In Dingen des Geschmacks und der Kritik, sind Gründe, aus ihr genommen, recht gut, seinen Gegner zum Stillschweigen zu brin- gen, aber nicht so recht tauglich, ihn zu über- zeugen. Die Religion, als Religion, muß hier nichts entscheiden sollen; nur als eine Art von Ueberlieferung des Alterthums, gilt ihr Zeug- niß nicht mehr und nicht weniger, als andere Zeugnisse des Alterthums gelten. Und so nach hätten wir es auch hier, nur mit dem Alterthume zu thun.
Sehr wohl; das ganze Alterthum hat Ge- spenster geglaubt. Die dramatischen Dichter des Alterthums hatten also Recht, diesen Glau- ben zu nutzen; wenn wir bey einem von ihnen wiederkommende Todte aufgeführet finden, so wäre es unbillig, ihm nach unsern bessern Ein- sichten den Proceß zu machen. Aber hat darum der neue, diese unsere bessere Einsichten theilende dramatische Dichter, die nehmliche Befugniß? Gewiß nicht. -- Aber wenn er seine Geschichte in jene leichtgläubigere Zeiten zurücklegt? Auch alsdenn nicht. Denn der dramatische Dichter ist kein Geschichtschreiber; er erzehlt nicht, was man ehedem geglaubt, daß es geschehen, son-
dern
Dieſe Ausrufungen, duͤnkt mich, ſind rheto- riſcher, als gruͤndlich. Vor allen Dingen wuͤnſchte ich, die Religion hier aus dem Spiele zu laſſen. In Dingen des Geſchmacks und der Kritik, ſind Gruͤnde, aus ihr genommen, recht gut, ſeinen Gegner zum Stillſchweigen zu brin- gen, aber nicht ſo recht tauglich, ihn zu uͤber- zeugen. Die Religion, als Religion, muß hier nichts entſcheiden ſollen; nur als eine Art von Ueberlieferung des Alterthums, gilt ihr Zeug- niß nicht mehr und nicht weniger, als andere Zeugniſſe des Alterthums gelten. Und ſo nach haͤtten wir es auch hier, nur mit dem Alterthume zu thun.
Sehr wohl; das ganze Alterthum hat Ge- ſpenſter geglaubt. Die dramatiſchen Dichter des Alterthums hatten alſo Recht, dieſen Glau- ben zu nutzen; wenn wir bey einem von ihnen wiederkommende Todte aufgefuͤhret finden, ſo waͤre es unbillig, ihm nach unſern beſſern Ein- ſichten den Proceß zu machen. Aber hat darum der neue, dieſe unſere beſſere Einſichten theilende dramatiſche Dichter, die nehmliche Befugniß? Gewiß nicht. — Aber wenn er ſeine Geſchichte in jene leichtglaͤubigere Zeiten zuruͤcklegt? Auch alsdenn nicht. Denn der dramatiſche Dichter iſt kein Geſchichtſchreiber; er erzehlt nicht, was man ehedem geglaubt, daß es geſchehen, ſon-
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Dieſe Ausrufungen, duͤnkt mich, ſind rheto-
riſcher, als gruͤndlich. Vor allen Dingen
wuͤnſchte ich, die Religion hier aus dem Spiele
zu laſſen. In Dingen des Geſchmacks und der
Kritik, ſind Gruͤnde, aus ihr genommen, recht
gut, ſeinen Gegner zum Stillſchweigen zu brin-
gen, aber nicht ſo recht tauglich, ihn zu uͤber-
zeugen. Die Religion, als Religion, muß hier
nichts entſcheiden ſollen; nur als eine Art von
Ueberlieferung des Alterthums, gilt ihr Zeug-
niß nicht mehr und nicht weniger, als andere
Zeugniſſe des Alterthums gelten. Und ſo nach
haͤtten wir es auch hier, nur mit dem Alterthume
zu thun.
Sehr wohl; das ganze Alterthum hat Ge-
ſpenſter geglaubt. Die dramatiſchen Dichter
des Alterthums hatten alſo Recht, dieſen Glau-
ben zu nutzen; wenn wir bey einem von ihnen
wiederkommende Todte aufgefuͤhret finden, ſo
waͤre es unbillig, ihm nach unſern beſſern Ein-
ſichten den Proceß zu machen. Aber hat darum
der neue, dieſe unſere beſſere Einſichten theilende
dramatiſche Dichter, die nehmliche Befugniß?
Gewiß nicht. — Aber wenn er ſeine Geſchichte
in jene leichtglaͤubigere Zeiten zuruͤcklegt? Auch
alsdenn nicht. Denn der dramatiſche Dichter
iſt kein Geſchichtſchreiber; er erzehlt nicht, was
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/96>, abgerufen am 21.11.2024.
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