[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769]. Die Königinn. Würde ich sonst so viel ge- wagt haben, als ich wage? Essex. Wie sinnreich ist das Schicksal, das mich verfolgt! Es findet einen Weg, mich durch mein Glück selbst unglücklich zu machen. Jch scheine glücklich, weil die mich zu befreyen kömmt, die meinen Tod will: aber ich bin um so viel un- glücklicher, weil die meinen Tod will, die meine Freyheit mir anbiethet. -- (*) Die Königinn verstehet hieraus genugsam, daß sie Essex kennet. Er verweigert sich der Gnade, die sie ihm angetragen, gänzlich; aber er bittet, sie mit einer andern zu vertauschen. Die Königinn. Und mit welcher? Essex. Mit der, Madame, von der ich weiß, daß sie in Jhrem Vermögen steht, -- mit der Gna- de, mir das Angesicht meiner Königinn sehen zu lassen. Es ist die einzige, um die ich es nicht zu klein halte, Sie an das zu erinnern, was ich für Sie gethan habe. Bey dem Leben, das ich Jhnen ge- ret- (*) Ingeniosa mi fortuna P 2
Die Königinn. Würde ich ſonſt ſo viel ge- wagt haben, als ich wage? Eſſex. Wie ſinnreich iſt das Schickſal, das mich verfolgt! Es findet einen Weg, mich durch mein Glück ſelbſt unglücklich zu machen. Jch ſcheine glücklich, weil die mich zu befreyen kömmt, die meinen Tod will: aber ich bin um ſo viel un- glücklicher, weil die meinen Tod will, die meine Freyheit mir anbiethet. — (*) Die Königinn verſtehet hieraus genugſam, daß ſie Eſſex kennet. Er verweigert ſich der Gnade, die ſie ihm angetragen, gänzlich; aber er bittet, ſie mit einer andern zu vertauſchen. Die Königinn. Und mit welcher? Eſſex. Mit der, Madame, von der ich weiß, daß ſie in Jhrem Vermögen ſteht, — mit der Gna- de, mir das Angeſicht meiner Königinn ſehen zu laſſen. Es iſt die einzige, um die ich es nicht zu klein halte, Sie an das zu erinnern, was ich für Sie gethan habe. Bey dem Leben, das ich Jhnen ge- ret- (*) Ingenioſa mi fortuna P 2
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Die Königinn. Würde ich ſonſt ſo viel ge-
wagt haben, als ich wage?
Eſſex. Wie ſinnreich iſt das Schickſal, das
mich verfolgt! Es findet einen Weg, mich durch
mein Glück ſelbſt unglücklich zu machen. Jch
ſcheine glücklich, weil die mich zu befreyen kömmt,
die meinen Tod will: aber ich bin um ſo viel un-
glücklicher, weil die meinen Tod will, die meine
Freyheit mir anbiethet. — (*)
Die Königinn verſtehet hieraus genugſam,
daß ſie Eſſex kennet. Er verweigert ſich der
Gnade, die ſie ihm angetragen, gänzlich; aber
er bittet, ſie mit einer andern zu vertauſchen.
Die Königinn. Und mit welcher?
Eſſex. Mit der, Madame, von der ich weiß,
daß ſie in Jhrem Vermögen ſteht, — mit der Gna-
de, mir das Angeſicht meiner Königinn ſehen zu
laſſen. Es iſt die einzige, um die ich es nicht zu
klein halte, Sie an das zu erinnern, was ich für
Sie gethan habe. Bey dem Leben, das ich Jhnen ge-
ret-
(*) Ingenioſa mi fortuna
Hallò en la dicha mas nuevo
Modo de hacerme infeliz,
Pues quando dichoſo veo,
Que me libra quien me mata,
Tambien deſdichado advierto,
Que me mata quien me libra.
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