Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

Denn Richard der Dritte, so wie ihn Herr
Weiß geschildert hat, ist unstreitig das größte,
abscheulichste Ungeheuer, das jemals die Bühne
getragen. Jch sage, die Bühne: daß es die
Erde wirklich getragen habe, daran zweifle ich.

Was für Mitleid kann der Untergang dieses
Ungeheuers erwecken? Doch, das soll er auch
nicht; der Dichter hat es darauf nicht angelegt;
und es sind ganz andere Personen in seinem
Werke, die er zu Gegenständen unsers Mit-
leids gemacht hat.

Aber Schrecken? -- Sollte dieser Bösewicht,
der die Kluft, die sich zwischen ihm und dem
Throne befunden, mit lauter Leichen gefüllet,
mit den Leichen derer, die ihm das Liebste in der
Welt hätten seyn müssen; sollte dieser blut-
dürstige, seines Blutdurstes sich rühmende, über
seine Verbrechen sich kitzelnde Teufel, nicht
Schrecken in vollem Maaße erwecken?

Wohl erweckt er Schrecken: wenn unter
Schrecken das Erstaunen über unbegreifliche
Missethaten, das Entsetzen über Bosheiten, die
unsern Begriff übersteigen, wenn darunter der
Schauder zu verstehen ist, der uns bey Er-
blickung vorsetzlicher Greuel, die mit Lust be-
gangen werden, überfällt. Von diesem Schrecken
hat mich Richard der Dritte mein gutes Theil
empfinden lassen.

Aber

Denn Richard der Dritte, ſo wie ihn Herr
Weiß geſchildert hat, iſt unſtreitig das größte,
abſcheulichſte Ungeheuer, das jemals die Bühne
getragen. Jch ſage, die Bühne: daß es die
Erde wirklich getragen habe, daran zweifle ich.

Was für Mitleid kann der Untergang dieſes
Ungeheuers erwecken? Doch, das ſoll er auch
nicht; der Dichter hat es darauf nicht angelegt;
und es ſind ganz andere Perſonen in ſeinem
Werke, die er zu Gegenſtänden unſers Mit-
leids gemacht hat.

Aber Schrecken? — Sollte dieſer Böſewicht,
der die Kluft, die ſich zwiſchen ihm und dem
Throne befunden, mit lauter Leichen gefüllet,
mit den Leichen derer, die ihm das Liebſte in der
Welt hätten ſeyn müſſen; ſollte dieſer blut-
dürſtige, ſeines Blutdurſtes ſich rühmende, über
ſeine Verbrechen ſich kitzelnde Teufel, nicht
Schrecken in vollem Maaße erwecken?

Wohl erweckt er Schrecken: wenn unter
Schrecken das Erſtaunen über unbegreifliche
Miſſethaten, das Entſetzen über Bosheiten, die
unſern Begriff überſteigen, wenn darunter der
Schauder zu verſtehen iſt, der uns bey Er-
blickung vorſetzlicher Greuel, die mit Luſt be-
gangen werden, überfällt. Von dieſem Schrecken
hat mich Richard der Dritte mein gutes Theil
empfinden laſſen.

Aber
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0176" n="170"/>
        <p>Denn Richard der Dritte, &#x017F;o wie ihn Herr<lb/>
Weiß ge&#x017F;childert hat, i&#x017F;t un&#x017F;treitig das größte,<lb/>
ab&#x017F;cheulich&#x017F;te Ungeheuer, das jemals die Bühne<lb/>
getragen. Jch &#x017F;age, die Bühne: daß es die<lb/>
Erde wirklich getragen habe, daran zweifle ich.</p><lb/>
        <p>Was für Mitleid kann der Untergang die&#x017F;es<lb/>
Ungeheuers erwecken? Doch, das &#x017F;oll er auch<lb/>
nicht; der Dichter hat es darauf nicht angelegt;<lb/>
und es &#x017F;ind ganz andere Per&#x017F;onen in &#x017F;einem<lb/>
Werke, die er zu Gegen&#x017F;tänden un&#x017F;ers Mit-<lb/>
leids gemacht hat.</p><lb/>
        <p>Aber Schrecken? &#x2014; Sollte die&#x017F;er Bö&#x017F;ewicht,<lb/>
der die Kluft, die &#x017F;ich zwi&#x017F;chen ihm und dem<lb/>
Throne befunden, mit lauter Leichen gefüllet,<lb/>
mit den Leichen derer, die ihm das Lieb&#x017F;te in der<lb/>
Welt hätten &#x017F;eyn mü&#x017F;&#x017F;en; &#x017F;ollte die&#x017F;er blut-<lb/>
dür&#x017F;tige, &#x017F;eines Blutdur&#x017F;tes &#x017F;ich rühmende, über<lb/>
&#x017F;eine Verbrechen &#x017F;ich kitzelnde Teufel, nicht<lb/>
Schrecken in vollem Maaße erwecken?</p><lb/>
        <p>Wohl erweckt er Schrecken: wenn unter<lb/>
Schrecken das Er&#x017F;taunen über unbegreifliche<lb/>
Mi&#x017F;&#x017F;ethaten, das Ent&#x017F;etzen über Bosheiten, die<lb/>
un&#x017F;ern Begriff über&#x017F;teigen, wenn darunter der<lb/>
Schauder zu ver&#x017F;tehen i&#x017F;t, der uns bey Er-<lb/>
blickung vor&#x017F;etzlicher Greuel, die mit Lu&#x017F;t be-<lb/>
gangen werden, überfällt. Von die&#x017F;em Schrecken<lb/>
hat mich Richard der Dritte mein gutes Theil<lb/>
empfinden la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Aber</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0176] Denn Richard der Dritte, ſo wie ihn Herr Weiß geſchildert hat, iſt unſtreitig das größte, abſcheulichſte Ungeheuer, das jemals die Bühne getragen. Jch ſage, die Bühne: daß es die Erde wirklich getragen habe, daran zweifle ich. Was für Mitleid kann der Untergang dieſes Ungeheuers erwecken? Doch, das ſoll er auch nicht; der Dichter hat es darauf nicht angelegt; und es ſind ganz andere Perſonen in ſeinem Werke, die er zu Gegenſtänden unſers Mit- leids gemacht hat. Aber Schrecken? — Sollte dieſer Böſewicht, der die Kluft, die ſich zwiſchen ihm und dem Throne befunden, mit lauter Leichen gefüllet, mit den Leichen derer, die ihm das Liebſte in der Welt hätten ſeyn müſſen; ſollte dieſer blut- dürſtige, ſeines Blutdurſtes ſich rühmende, über ſeine Verbrechen ſich kitzelnde Teufel, nicht Schrecken in vollem Maaße erwecken? Wohl erweckt er Schrecken: wenn unter Schrecken das Erſtaunen über unbegreifliche Miſſethaten, das Entſetzen über Bosheiten, die unſern Begriff überſteigen, wenn darunter der Schauder zu verſtehen iſt, der uns bey Er- blickung vorſetzlicher Greuel, die mit Luſt be- gangen werden, überfällt. Von dieſem Schrecken hat mich Richard der Dritte mein gutes Theil empfinden laſſen. Aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/176
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/176>, abgerufen am 21.11.2024.