"glückliche verfällt; denn eine dergleichen Be- "gebenheit kann zwar Philanthropie, aber weder "Mitleid noch Furcht erwecken." Jch kenne nichts kahleres und abgeschmackteres, als die ge- wöhnlichen Uebersetzungen dieses Wortes Phi- lanthropie. Sie geben nehmlich das Adjectivum davon im Lateinischen durch hominibus gra- tum; im Französischen durch ce que peut faire quelque plaisir; und im Deutschen durch "was Vergnügen machen kann." Der einzige Goulston, so viel ich finde, scheinet den Sinn des Philosophen nicht verfehlt zu haben; indem er das philanthropon durch quod huma- nitatis sensu tangat übersetzt. Denn aller- dings ist unter dieser Philanthropie, auf welche das Unglück auch eines Bösewichts Anspruch macht, nicht die Freude über seine verdiente Bestrafung, sondern das sympathetische Gefühl der Menschlichkeit zu verstehen, welches, Trotz der Vorstellung, daß sein Leiden nichts als Ver- dienst sey, dennoch in dem Augenblicke des Lei- dens, in uns sich für ihn reget. Herr Curtius will zwar diese mitleidige Regungen für einen unglücklichen Bösewicht, nur auf eine gewisse Gattung der ihn treffenden Uebel einschränken. "Solche Zufälle des Lasterhaften, sagt er, die "weder Schrecken noch Mitleid in uns wirken, "müssen Folgen seines Lasters seyn: denn treffen "sie ihm zufällig, oder wohl gar unschuldig, so
"behält
„glückliche verfällt; denn eine dergleichen Be- „gebenheit kann zwar Philanthropie, aber weder „Mitleid noch Furcht erwecken.„ Jch kenne nichts kahleres und abgeſchmackteres, als die ge- wöhnlichen Ueberſetzungen dieſes Wortes Phi- lanthropie. Sie geben nehmlich das Adjectivum davon im Lateiniſchen durch hominibus gra- tum; im Franzöſiſchen durch ce que peut faire quelque plaiſir; und im Deutſchen durch „was Vergnügen machen kann.„ Der einzige Goulſton, ſo viel ich finde, ſcheinet den Sinn des Philoſophen nicht verfehlt zu haben; indem er das φιλανϑϱωπον durch quod huma- nitatis ſenſu tangat überſetzt. Denn aller- dings iſt unter dieſer Philanthropie, auf welche das Unglück auch eines Böſewichts Anſpruch macht, nicht die Freude über ſeine verdiente Beſtrafung, ſondern das ſympathetiſche Gefühl der Menſchlichkeit zu verſtehen, welches, Trotz der Vorſtellung, daß ſein Leiden nichts als Ver- dienſt ſey, dennoch in dem Augenblicke des Lei- dens, in uns ſich für ihn reget. Herr Curtius will zwar dieſe mitleidige Regungen für einen unglücklichen Böſewicht, nur auf eine gewiſſe Gattung der ihn treffenden Uebel einſchränken. „Solche Zufälle des Laſterhaften, ſagt er, die „weder Schrecken noch Mitleid in uns wirken, „müſſen Folgen ſeines Laſters ſeyn: denn treffen „ſie ihm zufällig, oder wohl gar unſchuldig, ſo
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„glückliche verfällt; denn eine dergleichen Be-
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„Mitleid noch Furcht erwecken.„ Jch kenne
nichts kahleres und abgeſchmackteres, als die ge-
wöhnlichen Ueberſetzungen dieſes Wortes Phi-
lanthropie. Sie geben nehmlich das Adjectivum
davon im Lateiniſchen durch hominibus gra-
tum; im Franzöſiſchen durch ce que peut
faire quelque plaiſir; und im Deutſchen
durch „was Vergnügen machen kann.„ Der
einzige Goulſton, ſo viel ich finde, ſcheinet den
Sinn des Philoſophen nicht verfehlt zu haben;
indem er das φιλανϑϱωπον durch quod huma-
nitatis ſenſu tangat überſetzt. Denn aller-
dings iſt unter dieſer Philanthropie, auf welche
das Unglück auch eines Böſewichts Anſpruch
macht, nicht die Freude über ſeine verdiente
Beſtrafung, ſondern das ſympathetiſche Gefühl
der Menſchlichkeit zu verſtehen, welches, Trotz
der Vorſtellung, daß ſein Leiden nichts als Ver-
dienſt ſey, dennoch in dem Augenblicke des Lei-
dens, in uns ſich für ihn reget. Herr Curtius
will zwar dieſe mitleidige Regungen für einen
unglücklichen Böſewicht, nur auf eine gewiſſe
Gattung der ihn treffenden Uebel einſchränken.
„Solche Zufälle des Laſterhaften, ſagt er, die
„weder Schrecken noch Mitleid in uns wirken,
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/196>, abgerufen am 24.11.2024.
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