soll. Er kömmt, und versucht es, seine Auf- führung zu vertheidigen. Doch die Gründe, die er desfalls beybringt, scheinen ihr viel zu schwach, als daß sie ihren Verstand von seiner Unschuld überzeugen sollten. Sie verzeihet ihm, um der geheimen Neigung, die sie für ihn hägt, ein Genüge zu thun; aber zugleich entsetzt sie ihn aller seiner Ehrenstellen, in Betrachtung dessen, was sie sich selbst, als Königinn, schuldig zu seyn glaubt. Und nun ist der Graf nicht län- ger vermögend, sich zu mäßigen; seine Unge- stümheit bricht los; er wirft den Stab zu ih- ren Füßen, und bedient sich verschiedner Aus- drücke, die zu sehr wie Vorwürfe klingen, als daß sie den Zorn der Königinn nicht aufs höchste treiben sollten. Auch antwortet sie ihm darauf, wie es Zornigen sehr natürlich ist; ohne sich um Anstand und Würde, ohne sich um die Folgen zu bekümmern: nehmlich, anstatt der Antwort, giebt sie ihm eine Ohrfeige. Der Graf greift nach dem Degen; und nur der einzige Gedanke, daß es seine Königinn, daß es nicht sein König ist, der ihn geschlagen, mit einem Worte, daß es eine Frau ist, von der er die Ohrfeige hat, hält ihn zurück, sich thätlich an ihr zu vergehen. Southampton beschwört ihn, sich zu fassen; aber er wiederholt seine ihr und dem Staate geleisteten Dienste nochmals, und wirft dem Burleigh und Raleigh ihren niederträchtigen
Neid,
ſoll. Er kömmt, und verſucht es, ſeine Auf- führung zu vertheidigen. Doch die Gründe, die er desfalls beybringt, ſcheinen ihr viel zu ſchwach, als daß ſie ihren Verſtand von ſeiner Unſchuld überzeugen ſollten. Sie verzeihet ihm, um der geheimen Neigung, die ſie für ihn hägt, ein Genüge zu thun; aber zugleich entſetzt ſie ihn aller ſeiner Ehrenſtellen, in Betrachtung deſſen, was ſie ſich ſelbſt, als Königinn, ſchuldig zu ſeyn glaubt. Und nun iſt der Graf nicht län- ger vermögend, ſich zu mäßigen; ſeine Unge- ſtümheit bricht los; er wirft den Stab zu ih- ren Füßen, und bedient ſich verſchiedner Aus- drücke, die zu ſehr wie Vorwürfe klingen, als daß ſie den Zorn der Königinn nicht aufs höchſte treiben ſollten. Auch antwortet ſie ihm darauf, wie es Zornigen ſehr natürlich iſt; ohne ſich um Anſtand und Würde, ohne ſich um die Folgen zu bekümmern: nehmlich, anſtatt der Antwort, giebt ſie ihm eine Ohrfeige. Der Graf greift nach dem Degen; und nur der einzige Gedanke, daß es ſeine Königinn, daß es nicht ſein König iſt, der ihn geſchlagen, mit einem Worte, daß es eine Frau iſt, von der er die Ohrfeige hat, hält ihn zurück, ſich thätlich an ihr zu vergehen. Southampton beſchwört ihn, ſich zu faſſen; aber er wiederholt ſeine ihr und dem Staate geleiſteten Dienſte nochmals, und wirft dem Burleigh und Raleigh ihren niederträchtigen
Neid,
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ſoll. Er kömmt, und verſucht es, ſeine Auf-
führung zu vertheidigen. Doch die Gründe,
die er desfalls beybringt, ſcheinen ihr viel zu
ſchwach, als daß ſie ihren Verſtand von ſeiner
Unſchuld überzeugen ſollten. Sie verzeihet ihm,
um der geheimen Neigung, die ſie für ihn hägt,
ein Genüge zu thun; aber zugleich entſetzt ſie ihn
aller ſeiner Ehrenſtellen, in Betrachtung deſſen,
was ſie ſich ſelbſt, als Königinn, ſchuldig zu
ſeyn glaubt. Und nun iſt der Graf nicht län-
ger vermögend, ſich zu mäßigen; ſeine Unge-
ſtümheit bricht los; er wirft den Stab zu ih-
ren Füßen, und bedient ſich verſchiedner Aus-
drücke, die zu ſehr wie Vorwürfe klingen, als
daß ſie den Zorn der Königinn nicht aufs höchſte
treiben ſollten. Auch antwortet ſie ihm darauf,
wie es Zornigen ſehr natürlich iſt; ohne ſich um
Anſtand und Würde, ohne ſich um die Folgen
zu bekümmern: nehmlich, anſtatt der Antwort,
giebt ſie ihm eine Ohrfeige. Der Graf greift
nach dem Degen; und nur der einzige Gedanke,
daß es ſeine Königinn, daß es nicht ſein König
iſt, der ihn geſchlagen, mit einem Worte, daß
es eine Frau iſt, von der er die Ohrfeige hat,
hält ihn zurück, ſich thätlich an ihr zu vergehen.
Southampton beſchwört ihn, ſich zu faſſen;
aber er wiederholt ſeine ihr und dem Staate
geleiſteten Dienſte nochmals, und wirft dem
Burleigh und Raleigh ihren niederträchtigen
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/21>, abgerufen am 21.11.2024.
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