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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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"sage immerhin, daß Saint-Evremont der Ver-
"fasser der elenden Komödie Sir Politik Would-
"be, und noch einer andern eben so elenden, die
"Opern genannt, ist; daß seine kleinen gesell-
"schaftlichen Gedichte das kahlste und gemeinste
"sind, was wir in dieser Gattung haben; daß
"er nichts als ein Phrasesdrechsler war: man
"kann keinen Funken Genie haben, und gleich-
"wohl viel Witz und Geschmack besitzen. Sein
"Geschmack aber war unstreitig sehr fein, da er
"die Ursache, warum die meisten von unsern
"Stücken so matt und kalt sind, so genau traf.
"Es hat uns immer an einem Grade von Wär-
"me gefehlt: das andere hatten wir alles."

Das ist: wir hatten alles, nur nicht das,
was wir haben sollten; unsere Tragödien waren
vortrefflich, nur daß es keine Tragödien waren.
Und woher kam es, daß sie das nicht waren?

"Diese Kälte aber, fährt er fort, diese ein-
"förmige Mattigkeit, entsprang zum Theil von
"dem kleinen Geiste der Galanterie, der damals
"unter unsern Hofleuten und Damen so herrschte,
"und die Tragödie in eine Folge von verliebten
"Gesprächen verwandelte, nach dem Geschmacke
"des Cyrus und der Clelie. Was für Stücke
"sich hiervon noch etwa ausnahmen, die bestan-
"den aus langen politischen Raisonnements, der-
"gleichen den Sertorius so verdorben, den Otho
"so kalt, und den Surena und Attila so elend

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„ſage immerhin, daß Saint-Evremont der Ver-
„faſſer der elenden Komödie Sir Politik Would-
„be, und noch einer andern eben ſo elenden, die
„Opern genannt, iſt; daß ſeine kleinen geſell-
„ſchaftlichen Gedichte das kahlſte und gemeinſte
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„er nichts als ein Phraſesdrechsler war: man
„kann keinen Funken Genie haben, und gleich-
„wohl viel Witz und Geſchmack beſitzen. Sein
„Geſchmack aber war unſtreitig ſehr fein, da er
„die Urſache, warum die meiſten von unſern
„Stücken ſo matt und kalt ſind, ſo genau traf.
„Es hat uns immer an einem Grade von Wär-
„me gefehlt: das andere hatten wir alles.„

Das iſt: wir hatten alles, nur nicht das,
was wir haben ſollten; unſere Tragödien waren
vortrefflich, nur daß es keine Tragödien waren.
Und woher kam es, daß ſie das nicht waren?

„Dieſe Kälte aber, fährt er fort, dieſe ein-
„förmige Mattigkeit, entſprang zum Theil von
„dem kleinen Geiſte der Galanterie, der damals
„unter unſern Hofleuten und Damen ſo herrſchte,
„und die Tragödie in eine Folge von verliebten
„Geſprächen verwandelte, nach dem Geſchmacke
„des Cyrus und der Clelie. Was für Stücke
„ſich hiervon noch etwa ausnahmen, die beſtan-
„den aus langen politiſchen Raiſonnements, der-
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[220/0226] „ſage immerhin, daß Saint-Evremont der Ver- „faſſer der elenden Komödie Sir Politik Would- „be, und noch einer andern eben ſo elenden, die „Opern genannt, iſt; daß ſeine kleinen geſell- „ſchaftlichen Gedichte das kahlſte und gemeinſte „ſind, was wir in dieſer Gattung haben; daß „er nichts als ein Phraſesdrechsler war: man „kann keinen Funken Genie haben, und gleich- „wohl viel Witz und Geſchmack beſitzen. Sein „Geſchmack aber war unſtreitig ſehr fein, da er „die Urſache, warum die meiſten von unſern „Stücken ſo matt und kalt ſind, ſo genau traf. „Es hat uns immer an einem Grade von Wär- „me gefehlt: das andere hatten wir alles.„ Das iſt: wir hatten alles, nur nicht das, was wir haben ſollten; unſere Tragödien waren vortrefflich, nur daß es keine Tragödien waren. Und woher kam es, daß ſie das nicht waren? „Dieſe Kälte aber, fährt er fort, dieſe ein- „förmige Mattigkeit, entſprang zum Theil von „dem kleinen Geiſte der Galanterie, der damals „unter unſern Hofleuten und Damen ſo herrſchte, „und die Tragödie in eine Folge von verliebten „Geſprächen verwandelte, nach dem Geſchmacke „des Cyrus und der Clelie. Was für Stücke „ſich hiervon noch etwa ausnahmen, die beſtan- „den aus langen politiſchen Raiſonnements, der- „gleichen den Sertorius ſo verdorben, den Otho „ſo kalt, und den Surena und Attila ſo elend „ge-

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/226>, abgerufen am 18.12.2024.