"gemacht haben. Noch fand sich aber auch eine "andere Ursache, die das hohe Pathetische von "unserer Scene zurückhielt, und die Handlung "wirklich tragisch zu machen verhinderte: und "diese war, das enge schlechte Theater mit sei- "nen armseligen Verzierungen. -- Was ließ "sich auf einem Paar Dutzend Brettern, die "noch dazu mit Zuschauern angefüllt waren, "machen? Mit welchem Pomp, mit welchen "Zurüstungen konnte man da die Augen der Zu- "schauer bestechen, fesseln, täuschen? Welche "große tragische Action ließ sich da aufführen? "Welche Freyheit konnte die Einbildungskraft "des Dichters da haben? Die Stücke mußten "aus langen Erzehlungen bestehen, und so wur- "den sie mehr Gespräche als Spiele. Jeder "Akteur wollte in einer langen Monologe glän- "zen, und ein Stück, das dergleichen nicht "hatte, ward verworfen. -- Bey dieser Form "fiel alle theatralische Handlung weg; fielen "alle die großen Ausdrücke der Leidenschaften, "alle die kräftigen Gemählde der menschlichen "Unglücksfälle, alle die schrecklichen bis in das "Jnnerste der Seele dringende Züge weg; man "rührte das Herz nur kaum, anstatt es zu zer- "reissen."
Mit der ersten Ursache hat es seine gute Rich- tigkeit. Galanterie und Politik läßt immer kalt; und noch ist es keinem Dichter in der Welt
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„gemacht haben. Noch fand ſich aber auch eine „andere Urſache, die das hohe Pathetiſche von „unſerer Scene zurückhielt, und die Handlung „wirklich tragiſch zu machen verhinderte: und „dieſe war, das enge ſchlechte Theater mit ſei- „nen armſeligen Verzierungen. — Was ließ „ſich auf einem Paar Dutzend Brettern, die „noch dazu mit Zuſchauern angefüllt waren, „machen? Mit welchem Pomp, mit welchen „Zurüſtungen konnte man da die Augen der Zu- „ſchauer beſtechen, feſſeln, täuſchen? Welche „große tragiſche Action ließ ſich da aufführen? „Welche Freyheit konnte die Einbildungskraft „des Dichters da haben? Die Stücke mußten „aus langen Erzehlungen beſtehen, und ſo wur- „den ſie mehr Geſpräche als Spiele. Jeder „Akteur wollte in einer langen Monologe glän- „zen, und ein Stück, das dergleichen nicht „hatte, ward verworfen. — Bey dieſer Form „fiel alle theatraliſche Handlung weg; fielen „alle die großen Ausdrücke der Leidenſchaften, „alle die kräftigen Gemählde der menſchlichen „Unglücksfälle, alle die ſchrecklichen bis in das „Jnnerſte der Seele dringende Züge weg; man „rührte das Herz nur kaum, anſtatt es zu zer- „reiſſen.„
Mit der erſten Urſache hat es ſeine gute Rich- tigkeit. Galanterie und Politik läßt immer kalt; und noch iſt es keinem Dichter in der Welt
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„gemacht haben. Noch fand ſich aber auch eine
„andere Urſache, die das hohe Pathetiſche von
„unſerer Scene zurückhielt, und die Handlung
„wirklich tragiſch zu machen verhinderte: und
„dieſe war, das enge ſchlechte Theater mit ſei-
„nen armſeligen Verzierungen. — Was ließ
„ſich auf einem Paar Dutzend Brettern, die
„noch dazu mit Zuſchauern angefüllt waren,
„machen? Mit welchem Pomp, mit welchen
„Zurüſtungen konnte man da die Augen der Zu-
„ſchauer beſtechen, feſſeln, täuſchen? Welche
„große tragiſche Action ließ ſich da aufführen?
„Welche Freyheit konnte die Einbildungskraft
„des Dichters da haben? Die Stücke mußten
„aus langen Erzehlungen beſtehen, und ſo wur-
„den ſie mehr Geſpräche als Spiele. Jeder
„Akteur wollte in einer langen Monologe glän-
„zen, und ein Stück, das dergleichen nicht
„hatte, ward verworfen. — Bey dieſer Form
„fiel alle theatraliſche Handlung weg; fielen
„alle die großen Ausdrücke der Leidenſchaften,
„alle die kräftigen Gemählde der menſchlichen
„Unglücksfälle, alle die ſchrecklichen bis in das
„Jnnerſte der Seele dringende Züge weg; man
„rührte das Herz nur kaum, anſtatt es zu zer-
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Mit der erſten Urſache hat es ſeine gute Rich-
tigkeit. Galanterie und Politik läßt immer
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/227>, abgerufen am 18.12.2024.
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