Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

"sen, wie viel es oft kostet, die allerelendeste
"Jntrigue zu Stande zu bringen, und wie viel
"Zeit bey der kleinsten politischen Angelegenheit
"auf Einleitungen, auf Besprechungen und
"Berathschlagungen geht."

"Es ist wahr, Madame, antwortete Selim,
"unsere Stücke sind ein wenig überladen; aber
"das ist ein nothwendiges Uebel; ohne Hülfe
"der Episoden würden wir uns vor Frost nicht
"zu lassen wissen."

"Das ist: um der Nachahmung einer Hand-
"lung Feuer und Geist zu geben, muß man die
"Handlung weder so vorstellen, wie sie ist, noch
"so, wie sie seyn sollte. Kann etwas lächerli-
"cheres gedacht werden? Schwerlich wohl; es
"wäre denn etwa dieses, daß man die Geigen
"ein lebhaftes Stück, eine muntere Sonate spie-
"len läßt, während daß die Zuhörer um den
"Prinzen bekümmert seyn sollen, der auf dem
"Punkte ist, seine Geliebte, seinen Thron und
"sein Leben zu verlieren."

"Madame, sagte Mongogul, Sie haben
"vollkommen Recht; traurige Arien müßte man
"indeß spielen, und ich will Jhnen gleich einige
"bestellen gehen. Hiermit stand er auf, und
"gieng heraus, und Selim, Riccaric und die
"Favoritinn setzten die Unterredung unter sich
"fort."

"We-

„ſen, wie viel es oft koſtet, die allerelendeſte
„Jntrigue zu Stande zu bringen, und wie viel
„Zeit bey der kleinſten politiſchen Angelegenheit
„auf Einleitungen, auf Beſprechungen und
„Berathſchlagungen geht.„

„Es iſt wahr, Madame, antwortete Selim,
„unſere Stücke ſind ein wenig überladen; aber
„das iſt ein nothwendiges Uebel; ohne Hülfe
„der Epiſoden würden wir uns vor Froſt nicht
„zu laſſen wiſſen.„

„Das iſt: um der Nachahmung einer Hand-
„lung Feuer und Geiſt zu geben, muß man die
„Handlung weder ſo vorſtellen, wie ſie iſt, noch
„ſo, wie ſie ſeyn ſollte. Kann etwas lächerli-
„cheres gedacht werden? Schwerlich wohl; es
„wäre denn etwa dieſes, daß man die Geigen
„ein lebhaftes Stück, eine muntere Sonate ſpie-
„len läßt, während daß die Zuhörer um den
„Prinzen bekümmert ſeyn ſollen, der auf dem
„Punkte iſt, ſeine Geliebte, ſeinen Thron und
„ſein Leben zu verlieren.„

„Madame, ſagte Mongogul, Sie haben
„vollkommen Recht; traurige Arien müßte man
„indeß ſpielen, und ich will Jhnen gleich einige
„beſtellen gehen. Hiermit ſtand er auf, und
„gieng heraus, und Selim, Riccaric und die
„Favoritinn ſetzten die Unterredung unter ſich
„fort.„

„We-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0264" n="258"/>
&#x201E;&#x017F;en, wie viel es oft ko&#x017F;tet, die allerelende&#x017F;te<lb/>
&#x201E;Jntrigue zu Stande zu bringen, und wie viel<lb/>
&#x201E;Zeit bey der klein&#x017F;ten politi&#x017F;chen Angelegenheit<lb/>
&#x201E;auf Einleitungen, auf Be&#x017F;prechungen und<lb/>
&#x201E;Berath&#x017F;chlagungen geht.&#x201E;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es i&#x017F;t wahr, Madame, antwortete Selim,<lb/>
&#x201E;un&#x017F;ere Stücke &#x017F;ind ein wenig überladen; aber<lb/>
&#x201E;das i&#x017F;t ein nothwendiges Uebel; ohne Hülfe<lb/>
&#x201E;der Epi&#x017F;oden würden wir uns vor Fro&#x017F;t nicht<lb/>
&#x201E;zu la&#x017F;&#x017F;en wi&#x017F;&#x017F;en.&#x201E;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das i&#x017F;t: um der Nachahmung einer Hand-<lb/>
&#x201E;lung Feuer und Gei&#x017F;t zu geben, muß man die<lb/>
&#x201E;Handlung weder &#x017F;o vor&#x017F;tellen, wie &#x017F;ie i&#x017F;t, noch<lb/>
&#x201E;&#x017F;o, wie &#x017F;ie &#x017F;eyn &#x017F;ollte. Kann etwas lächerli-<lb/>
&#x201E;cheres gedacht werden? Schwerlich wohl; es<lb/>
&#x201E;wäre denn etwa die&#x017F;es, daß man die Geigen<lb/>
&#x201E;ein lebhaftes Stück, eine muntere Sonate &#x017F;pie-<lb/>
&#x201E;len läßt, während daß die Zuhörer um den<lb/>
&#x201E;Prinzen bekümmert &#x017F;eyn &#x017F;ollen, der auf dem<lb/>
&#x201E;Punkte i&#x017F;t, &#x017F;eine Geliebte, &#x017F;einen Thron und<lb/>
&#x201E;&#x017F;ein Leben zu verlieren.&#x201E;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Madame, &#x017F;agte Mongogul, Sie haben<lb/>
&#x201E;vollkommen Recht; traurige Arien müßte man<lb/>
&#x201E;indeß &#x017F;pielen, und ich will Jhnen gleich einige<lb/>
&#x201E;be&#x017F;tellen gehen. Hiermit &#x017F;tand er auf, und<lb/>
&#x201E;gieng heraus, und Selim, Riccaric und die<lb/>
&#x201E;Favoritinn &#x017F;etzten die Unterredung unter &#x017F;ich<lb/>
&#x201E;fort.&#x201E;</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">&#x201E;We-</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0264] „ſen, wie viel es oft koſtet, die allerelendeſte „Jntrigue zu Stande zu bringen, und wie viel „Zeit bey der kleinſten politiſchen Angelegenheit „auf Einleitungen, auf Beſprechungen und „Berathſchlagungen geht.„ „Es iſt wahr, Madame, antwortete Selim, „unſere Stücke ſind ein wenig überladen; aber „das iſt ein nothwendiges Uebel; ohne Hülfe „der Epiſoden würden wir uns vor Froſt nicht „zu laſſen wiſſen.„ „Das iſt: um der Nachahmung einer Hand- „lung Feuer und Geiſt zu geben, muß man die „Handlung weder ſo vorſtellen, wie ſie iſt, noch „ſo, wie ſie ſeyn ſollte. Kann etwas lächerli- „cheres gedacht werden? Schwerlich wohl; es „wäre denn etwa dieſes, daß man die Geigen „ein lebhaftes Stück, eine muntere Sonate ſpie- „len läßt, während daß die Zuhörer um den „Prinzen bekümmert ſeyn ſollen, der auf dem „Punkte iſt, ſeine Geliebte, ſeinen Thron und „ſein Leben zu verlieren.„ „Madame, ſagte Mongogul, Sie haben „vollkommen Recht; traurige Arien müßte man „indeß ſpielen, und ich will Jhnen gleich einige „beſtellen gehen. Hiermit ſtand er auf, und „gieng heraus, und Selim, Riccaric und die „Favoritinn ſetzten die Unterredung unter ſich „fort.„ „We-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/264
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/264>, abgerufen am 21.11.2024.