"ten bemühte, die Täuschung dieses Fremden "einen Augenblick dauern könnte? Müssen Sie "nicht vielmehr gestehen, daß er, bey dem stei- "fen Gange der Akteurs, bey ihrer wunderli- "chen Tracht, bey ihren ausschweifenden Ge- "behrden, bey dem seltsamen Nachdrucke ihrer "gereimten, abgemessenen Sprache, bey tau- "send andern Ungereimtheiten, die ihm auf- "fallen würden, gleich in der ersten Scene mir "ins Gesicht lachen und gerade heraus sagen "würde, daß ich ihn entweder zum besten haben "wollte, oder daß der Fürst mit sammt seinem "Hofe nicht wohl bey Sinnen seyn müßten."
"Jch bekenne, sagte Selim, daß mich dieser "angenommene Fall verlegen macht; aber könnte "man Jhnen nicht zu bedenken geben, daß wir "in das Schauspiel gehen, mit der Ueberzeu- "gung, der Nachahmung einer Handlung, nicht "aber der Handlung selbst, beyzuwohnen."
"Und sollte denn diese Ueberzeugung verweh- "ren, erwiderte Mirzoza, die Handlung auf "die allernatürlichste Art vorzustellen?" --
Hier kömmt das Gespräch nach und nach auf andere Dinge, die uns nichts angehen. Wir wenden uns also wieder, zu sehen, was wir ge- lesen haben. Den klaren lautern Diderot! Aber alle diese Wahrheiten waren damals in den Wind gesagt. Sie erregten eher keine Em- pfindung in dem französischen Publico, als bis
sie
„ten bemühte, die Täuſchung dieſes Fremden „einen Augenblick dauern könnte? Müſſen Sie „nicht vielmehr geſtehen, daß er, bey dem ſtei- „fen Gange der Akteurs, bey ihrer wunderli- „chen Tracht, bey ihren ausſchweifenden Ge- „behrden, bey dem ſeltſamen Nachdrucke ihrer „gereimten, abgemeſſenen Sprache, bey tau- „ſend andern Ungereimtheiten, die ihm auf- „fallen würden, gleich in der erſten Scene mir „ins Geſicht lachen und gerade heraus ſagen „würde, daß ich ihn entweder zum beſten haben „wollte, oder daß der Fürſt mit ſammt ſeinem „Hofe nicht wohl bey Sinnen ſeyn müßten.„
„Jch bekenne, ſagte Selim, daß mich dieſer „angenommene Fall verlegen macht; aber könnte „man Jhnen nicht zu bedenken geben, daß wir „in das Schauſpiel gehen, mit der Ueberzeu- „gung, der Nachahmung einer Handlung, nicht „aber der Handlung ſelbſt, beyzuwohnen.„
„Und ſollte denn dieſe Ueberzeugung verweh- „ren, erwiderte Mirzoza, die Handlung auf „die allernatürlichſte Art vorzuſtellen?„ —
Hier kömmt das Geſpräch nach und nach auf andere Dinge, die uns nichts angehen. Wir wenden uns alſo wieder, zu ſehen, was wir ge- leſen haben. Den klaren lautern Diderot! Aber alle dieſe Wahrheiten waren damals in den Wind geſagt. Sie erregten eher keine Em- pfindung in dem franzöſiſchen Publico, als bis
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„ten bemühte, die Täuſchung dieſes Fremden
„einen Augenblick dauern könnte? Müſſen Sie
„nicht vielmehr geſtehen, daß er, bey dem ſtei-
„fen Gange der Akteurs, bey ihrer wunderli-
„chen Tracht, bey ihren ausſchweifenden Ge-
„behrden, bey dem ſeltſamen Nachdrucke ihrer
„gereimten, abgemeſſenen Sprache, bey tau-
„ſend andern Ungereimtheiten, die ihm auf-
„fallen würden, gleich in der erſten Scene mir
„ins Geſicht lachen und gerade heraus ſagen
„würde, daß ich ihn entweder zum beſten haben
„wollte, oder daß der Fürſt mit ſammt ſeinem
„Hofe nicht wohl bey Sinnen ſeyn müßten.„
„Jch bekenne, ſagte Selim, daß mich dieſer
„angenommene Fall verlegen macht; aber könnte
„man Jhnen nicht zu bedenken geben, daß wir
„in das Schauſpiel gehen, mit der Ueberzeu-
„gung, der Nachahmung einer Handlung, nicht
„aber der Handlung ſelbſt, beyzuwohnen.„
„Und ſollte denn dieſe Ueberzeugung verweh-
„ren, erwiderte Mirzoza, die Handlung auf
„die allernatürlichſte Art vorzuſtellen?„ —
Hier kömmt das Geſpräch nach und nach auf
andere Dinge, die uns nichts angehen. Wir
wenden uns alſo wieder, zu ſehen, was wir ge-
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Aber alle dieſe Wahrheiten waren damals in
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/268>, abgerufen am 21.11.2024.
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