Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

Jn dieser Stelle, die ich nach meiner eigenen
Uebersetzung anführe, mit welcher ich so genau
bey den Worten geblieben bin, als möglich,
sind verschiedene Dinge, welche von den Aus-
legern, die ich noch zu Rathe ziehen können,
entweder gar nicht oder falsch verstanden worden.
Was davon hier zur Sache gehört, muß ich
mitnehmen.

Das ist unwidersprechlich, daß Aristoteles
schlechterdings keinen Unterschied zwischen den
Personen der Tragödie und Komödie, in Anse-
hung ihrer Allgemeinheit, macht. Die einen
sowohl als die andern, und selbst die Personen
der Epopee nicht ausgeschlossen, alle Personen
der poetischen Nachahmung ohne Unterschied,
sollen sprechen und handeln, nicht wie es ihnen
einzig und allein zukommen könnte, sondern so
wie ein jeder von ihrer Beschaffenheit in den
nehmlichen Umständen sprechen oder handeln
würde und müßte. Jn diesem katholou, in die-
ser Allgemeinheit liegt allein der Grund, warum
die Poesie philosophischer und folglich lehrreicher
ist, als die Geschichte; und wenn es wahr ist,
daß derjenige komische Dichter, welcher seinen
Personen so eigene Physiognomien geben wollte,
daß ihnen nur ein einziges Jndividuum in der
Welt ähnlich wäre, die Komödie, wie Diderot
sagt, wiederum in ihre Kindheit zurücksetzen und
in Satyre verkehren würde: so ist es auch eben

so

Jn dieſer Stelle, die ich nach meiner eigenen
Ueberſetzung anführe, mit welcher ich ſo genau
bey den Worten geblieben bin, als möglich,
ſind verſchiedene Dinge, welche von den Aus-
legern, die ich noch zu Rathe ziehen können,
entweder gar nicht oder falſch verſtanden worden.
Was davon hier zur Sache gehört, muß ich
mitnehmen.

Das iſt unwiderſprechlich, daß Ariſtoteles
ſchlechterdings keinen Unterſchied zwiſchen den
Perſonen der Tragödie und Komödie, in Anſe-
hung ihrer Allgemeinheit, macht. Die einen
ſowohl als die andern, und ſelbſt die Perſonen
der Epopee nicht ausgeſchloſſen, alle Perſonen
der poetiſchen Nachahmung ohne Unterſchied,
ſollen ſprechen und handeln, nicht wie es ihnen
einzig und allein zukommen könnte, ſondern ſo
wie ein jeder von ihrer Beſchaffenheit in den
nehmlichen Umſtänden ſprechen oder handeln
würde und müßte. Jn dieſem ϰαϑολου, in die-
ſer Allgemeinheit liegt allein der Grund, warum
die Poeſie philoſophiſcher und folglich lehrreicher
iſt, als die Geſchichte; und wenn es wahr iſt,
daß derjenige komiſche Dichter, welcher ſeinen
Perſonen ſo eigene Phyſiognomien geben wollte,
daß ihnen nur ein einziges Jndividuum in der
Welt ähnlich wäre, die Komödie, wie Diderot
ſagt, wiederum in ihre Kindheit zurückſetzen und
in Satyre verkehren würde: ſo iſt es auch eben

ſo
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0298" n="292"/>
        <p>Jn die&#x017F;er Stelle, die ich nach meiner eigenen<lb/>
Ueber&#x017F;etzung anführe, mit welcher ich &#x017F;o genau<lb/>
bey den Worten geblieben bin, als möglich,<lb/>
&#x017F;ind ver&#x017F;chiedene Dinge, welche von den Aus-<lb/>
legern, die ich noch zu Rathe ziehen können,<lb/>
entweder gar nicht oder fal&#x017F;ch ver&#x017F;tanden worden.<lb/>
Was davon hier zur Sache gehört, muß ich<lb/>
mitnehmen.</p><lb/>
        <p>Das i&#x017F;t unwider&#x017F;prechlich, daß Ari&#x017F;toteles<lb/>
&#x017F;chlechterdings keinen Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen den<lb/>
Per&#x017F;onen der Tragödie und Komödie, in An&#x017F;e-<lb/>
hung ihrer Allgemeinheit, macht. Die einen<lb/>
&#x017F;owohl als die andern, und &#x017F;elb&#x017F;t die Per&#x017F;onen<lb/>
der Epopee nicht ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, alle Per&#x017F;onen<lb/>
der poeti&#x017F;chen Nachahmung ohne Unter&#x017F;chied,<lb/>
&#x017F;ollen &#x017F;prechen und handeln, nicht wie es ihnen<lb/>
einzig und allein zukommen könnte, &#x017F;ondern &#x017F;o<lb/>
wie ein jeder von ihrer Be&#x017F;chaffenheit in den<lb/>
nehmlichen Um&#x017F;tänden &#x017F;prechen oder handeln<lb/>
würde und müßte. Jn die&#x017F;em &#x03F0;&#x03B1;&#x03D1;&#x03BF;&#x03BB;&#x03BF;&#x03C5;, in die-<lb/>
&#x017F;er Allgemeinheit liegt allein der Grund, warum<lb/>
die Poe&#x017F;ie philo&#x017F;ophi&#x017F;cher und folglich lehrreicher<lb/>
i&#x017F;t, als die Ge&#x017F;chichte; und wenn es wahr i&#x017F;t,<lb/>
daß derjenige komi&#x017F;che Dichter, welcher &#x017F;einen<lb/>
Per&#x017F;onen &#x017F;o eigene Phy&#x017F;iognomien geben wollte,<lb/>
daß ihnen nur ein einziges Jndividuum in der<lb/>
Welt ähnlich wäre, die Komödie, wie Diderot<lb/>
&#x017F;agt, wiederum in ihre Kindheit zurück&#x017F;etzen und<lb/>
in Satyre verkehren würde: &#x017F;o i&#x017F;t es auch eben<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;o</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[292/0298] Jn dieſer Stelle, die ich nach meiner eigenen Ueberſetzung anführe, mit welcher ich ſo genau bey den Worten geblieben bin, als möglich, ſind verſchiedene Dinge, welche von den Aus- legern, die ich noch zu Rathe ziehen können, entweder gar nicht oder falſch verſtanden worden. Was davon hier zur Sache gehört, muß ich mitnehmen. Das iſt unwiderſprechlich, daß Ariſtoteles ſchlechterdings keinen Unterſchied zwiſchen den Perſonen der Tragödie und Komödie, in Anſe- hung ihrer Allgemeinheit, macht. Die einen ſowohl als die andern, und ſelbſt die Perſonen der Epopee nicht ausgeſchloſſen, alle Perſonen der poetiſchen Nachahmung ohne Unterſchied, ſollen ſprechen und handeln, nicht wie es ihnen einzig und allein zukommen könnte, ſondern ſo wie ein jeder von ihrer Beſchaffenheit in den nehmlichen Umſtänden ſprechen oder handeln würde und müßte. Jn dieſem ϰαϑολου, in die- ſer Allgemeinheit liegt allein der Grund, warum die Poeſie philoſophiſcher und folglich lehrreicher iſt, als die Geſchichte; und wenn es wahr iſt, daß derjenige komiſche Dichter, welcher ſeinen Perſonen ſo eigene Phyſiognomien geben wollte, daß ihnen nur ein einziges Jndividuum in der Welt ähnlich wäre, die Komödie, wie Diderot ſagt, wiederum in ihre Kindheit zurückſetzen und in Satyre verkehren würde: ſo iſt es auch eben ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/298
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/298>, abgerufen am 21.11.2024.