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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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tus seinen Amphitruo im Ernste so genannt hätte,
so wäre es doch nicht aus der Ursache geschehen, die
ihm Voltaire andichtet. Nicht weil der Antheil, den
Sosias an der Handlung nimmt, komisch, und der,
den Amphitruo daran nimmt, tragisch ist: nicht darum
hätte Plautus sein Stück lieber eine Tragikomödie
nennen wollen. Denn sein Stück ist ganz komisch, und
wir belustigen uns an der Verlegenheit des Amphitruo
eben so sehr, als an des Sosias seiner. Sondern dar-
um, weil diese komische Handlung größtentheils unter
höhern Personen vorgehet, als man in der Komödie zu
sehen gewohnt ist. Plautus selbst erklärt sich dar-
über deutlich genug:

Faciam ut commixta sit Tragico-comoedia:
Nam me perpetuo facere ut sit Comoedia
Reges quo veniant & di, non par arbitror.
Quid igitur? quoniam hic servus quoque partes
habet,
Faciam hanc, proinde ut dixi, Tragico-co-
moediam.

Ham-
Und dabey hätten es die Geschichtschreiber des
französischen Theaters auch nur sollen bewen-
den lassen. Aber sie machen die leichte Ver-
muthung des Hedelins zur Gewißheit, und
gratuliren ihrem Landsmanne zu einer so schö-
nen Erfindung. Voici la premiere Tragi-
Comedie, ou pour mieux dire le premier
poeme du Theatre qui a porte ce titre --
Garnier ne connoissoit pas assez les finesses
de l'art qu'il professoit; tenons-lui cepen-
dent compte d'avoir le premier, & sans le
secours des Anciens, ni de ses contempo-
rains, fait entrevoir une idee, qui n'a pas
ete inutile a beaucoup d'Auteurs du der-
nier siecle.
Garniers Bradamante ist von 1682,
und ich kenne eine Menge weit frühere spanische
und italienische Stücke, die diesen Titel führen.

tus ſeinen Amphitruo im Ernſte ſo genannt hätte,
ſo wäre es doch nicht aus der Urſache geſchehen, die
ihm Voltaire andichtet. Nicht weil der Antheil, den
Soſias an der Handlung nimmt, komiſch, und der,
den Amphitruo daran nimmt, tragiſch iſt: nicht darum
hätte Plautus ſein Stück lieber eine Tragikomödie
nennen wollen. Denn ſein Stück iſt ganz komiſch, und
wir beluſtigen uns an der Verlegenheit des Amphitruo
eben ſo ſehr, als an des Soſias ſeiner. Sondern dar-
um, weil dieſe komiſche Handlung größtentheils unter
höhern Perſonen vorgehet, als man in der Komödie zu
ſehen gewohnt iſt. Plautus ſelbſt erklärt ſich dar-
über deutlich genug:

Faciam ut commixta ſit Tragico-comœdia:
Nam me perpetuo facere ut ſit Comœdia
Reges quo veniant & di, non par arbitror.
Quid igitur? quoniam hic ſervus quoque partes
habet,
Faciam hanc, proinde ut dixi, Tragico-co-
mœdiam.

Ham-
Und dabey hätten es die Geſchichtſchreiber des
franzöſiſchen Theaters auch nur ſollen bewen-
den laſſen. Aber ſie machen die leichte Ver-
muthung des Hedelins zur Gewißheit, und
gratuliren ihrem Landsmanne zu einer ſo ſchö-
nen Erfindung. Voici la premiére Tragi-
Comedie, ou pour mieux dire le premier
poeme du Theatre qui a porté ce titre —
Garnier ne connoiſſoit pas aſſez les fineſſes
de l’art qu’il profeſſoit; tenons-lui cepen-
dent compte d’avoir le premier, & ſans le
ſecours des Anciens, ni de ſes contempo-
rains, fait entrevoir une idée, qui n’a pas
été inutile à beaucoup d’Auteurs du der-
nier ſiecle.
Garniers Bradamante iſt von 1682,
und ich kenne eine Menge weit frühere ſpaniſche
und italieniſche Stücke, die dieſen Titel führen.
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[24/0030] tus ſeinen Amphitruo im Ernſte ſo genannt hätte, ſo wäre es doch nicht aus der Urſache geſchehen, die ihm Voltaire andichtet. Nicht weil der Antheil, den Soſias an der Handlung nimmt, komiſch, und der, den Amphitruo daran nimmt, tragiſch iſt: nicht darum hätte Plautus ſein Stück lieber eine Tragikomödie nennen wollen. Denn ſein Stück iſt ganz komiſch, und wir beluſtigen uns an der Verlegenheit des Amphitruo eben ſo ſehr, als an des Soſias ſeiner. Sondern dar- um, weil dieſe komiſche Handlung größtentheils unter höhern Perſonen vorgehet, als man in der Komödie zu ſehen gewohnt iſt. Plautus ſelbſt erklärt ſich dar- über deutlich genug: Faciam ut commixta ſit Tragico-comœdia: Nam me perpetuo facere ut ſit Comœdia Reges quo veniant & di, non par arbitror. Quid igitur? quoniam hic ſervus quoque partes habet, Faciam hanc, proinde ut dixi, Tragico-co- mœdiam. Ham- (*) (*) Und dabey hätten es die Geſchichtſchreiber des franzöſiſchen Theaters auch nur ſollen bewen- den laſſen. Aber ſie machen die leichte Ver- muthung des Hedelins zur Gewißheit, und gratuliren ihrem Landsmanne zu einer ſo ſchö- nen Erfindung. Voici la premiére Tragi- Comedie, ou pour mieux dire le premier poeme du Theatre qui a porté ce titre — Garnier ne connoiſſoit pas aſſez les fineſſes de l’art qu’il profeſſoit; tenons-lui cepen- dent compte d’avoir le premier, & ſans le ſecours des Anciens, ni de ſes contempo- rains, fait entrevoir une idée, qui n’a pas été inutile à beaucoup d’Auteurs du der- nier ſiecle. Garniers Bradamante iſt von 1682, und ich kenne eine Menge weit frühere ſpaniſche und italieniſche Stücke, die dieſen Titel führen.

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/30>, abgerufen am 21.11.2024.