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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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gekannt, oder vorausgesetzt, daß die tragische
Bühne seiner Nation allein diesen Namen ver-
diene. Unwissenheit verräth beides; und nur
das letztere noch mehr Eitelkeit, als Unwissen-
heit. Was er von dem Namen der Tragiko-
mödie hinzufügt, ist eben so unrichtig. Tragi-
komödie hieß die Vorstellung einer wichtigen
Handlung unter vornehmen Personen, die einen
vergnügten Ausgang hat; das ist der Cid, und
die Ohrfeige kam dabey gar nicht in Betrach-
tung; denn dieser Ohrfeige ungeachtet, nannte
Corneille hernach sein Stück eine Tragödie, so-
bald er das Vorurtheil abgelegt hatte, daß eine
Tragödie nothwendig eine unglückliche Kata-
strophe haben müsse. Plautus braucht zwar
das Wort Tragicocomoedia: aber er braucht
es blos im Scherze; und gar nicht, um eine be-
sondere Gattung damit zu bezeichnen. Auch
hat es ihm in diesem Verstande kein Mensch ab-
geborgt, bis es in dem sechszehnten Jahrhun-
derte den Spanischen und Italienischen Dichtern
einfiel, gewisse von ihren dramatischen Mißge-
burten so zu nennen. (*) Wenn aber auch Plau-

tus
(*) Ich weiß zwar nicht, wer diesen Namen ei-
gentlich zuerst gebraucht hat; aber das weiß
ich gewiß, daß es Garnier nicht ist. Hedelin
sagte: Je ne scai si Garnier fut le premier
qui s'en servit, mais il a fait porter ce titre
a sa Bradamante, ce que depuis plusieurs
ont imite. (Prat. du Th. liv. II. ch. 10.)

Und

gekannt, oder vorausgeſetzt, daß die tragiſche
Bühne ſeiner Nation allein dieſen Namen ver-
diene. Unwiſſenheit verräth beides; und nur
das letztere noch mehr Eitelkeit, als Unwiſſen-
heit. Was er von dem Namen der Tragiko-
mödie hinzufügt, iſt eben ſo unrichtig. Tragi-
komödie hieß die Vorſtellung einer wichtigen
Handlung unter vornehmen Perſonen, die einen
vergnügten Ausgang hat; das iſt der Cid, und
die Ohrfeige kam dabey gar nicht in Betrach-
tung; denn dieſer Ohrfeige ungeachtet, nannte
Corneille hernach ſein Stück eine Tragödie, ſo-
bald er das Vorurtheil abgelegt hatte, daß eine
Tragödie nothwendig eine unglückliche Kata-
ſtrophe haben müſſe. Plautus braucht zwar
das Wort Tragicocomœdia: aber er braucht
es blos im Scherze; und gar nicht, um eine be-
ſondere Gattung damit zu bezeichnen. Auch
hat es ihm in dieſem Verſtande kein Menſch ab-
geborgt, bis es in dem ſechszehnten Jahrhun-
derte den Spaniſchen und Italieniſchen Dichtern
einfiel, gewiſſe von ihren dramatiſchen Mißge-
burten ſo zu nennen. (*) Wenn aber auch Plau-

tus
(*) Ich weiß zwar nicht, wer dieſen Namen ei-
gentlich zuerſt gebraucht hat; aber das weiß
ich gewiß, daß es Garnier nicht iſt. Hedelin
ſagte: Je ne ſçai ſi Garnier fut le premier
qui ſ’en ſervit, mais il a fait porter ce titre
à ſa Bradamante, ce que depuis pluſieurs
ont imité. (Prat. du Th. liv. II. ch. 10.)

Und
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[23/0029] gekannt, oder vorausgeſetzt, daß die tragiſche Bühne ſeiner Nation allein dieſen Namen ver- diene. Unwiſſenheit verräth beides; und nur das letztere noch mehr Eitelkeit, als Unwiſſen- heit. Was er von dem Namen der Tragiko- mödie hinzufügt, iſt eben ſo unrichtig. Tragi- komödie hieß die Vorſtellung einer wichtigen Handlung unter vornehmen Perſonen, die einen vergnügten Ausgang hat; das iſt der Cid, und die Ohrfeige kam dabey gar nicht in Betrach- tung; denn dieſer Ohrfeige ungeachtet, nannte Corneille hernach ſein Stück eine Tragödie, ſo- bald er das Vorurtheil abgelegt hatte, daß eine Tragödie nothwendig eine unglückliche Kata- ſtrophe haben müſſe. Plautus braucht zwar das Wort Tragicocomœdia: aber er braucht es blos im Scherze; und gar nicht, um eine be- ſondere Gattung damit zu bezeichnen. Auch hat es ihm in dieſem Verſtande kein Menſch ab- geborgt, bis es in dem ſechszehnten Jahrhun- derte den Spaniſchen und Italieniſchen Dichtern einfiel, gewiſſe von ihren dramatiſchen Mißge- burten ſo zu nennen. (*) Wenn aber auch Plau- tus (*) Ich weiß zwar nicht, wer dieſen Namen ei- gentlich zuerſt gebraucht hat; aber das weiß ich gewiß, daß es Garnier nicht iſt. Hedelin ſagte: Je ne ſçai ſi Garnier fut le premier qui ſ’en ſervit, mais il a fait porter ce titre à ſa Bradamante, ce que depuis pluſieurs ont imité. (Prat. du Th. liv. II. ch. 10.) Und

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/29>, abgerufen am 21.11.2024.