Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

Jch will nur noch die Anwendung auf die
wahren Namen der Tragödie machen. So wie
der Aristophanische Sokrates nicht den einzeln
Mann dieses Namens vorstellte, noch vorstellen
sollte; so wie dieses personifirte Jdeal einer ei-
teln und gefährlichen Schulweisheit nur darum
den Namen Sokrates bekam, weil Sokrates
als ein solcher Täuscher und Verführer zum
Theil bekannt war, zum Theil noch bekannter
werden sollte; so wie blos der Begriff von
Stand und Charakter, den man mit dem Na-
men Sokrates verband und noch näher verbin-
den sollte, den Dichter in der Wahl des Na-
mens bestimmte: so ist auch blos der Begriff
des Charakters, den wir mit den Namen Re-

gulus,
zu machen, in seiner Republik einführen
wollte, (mete logo, mete eikoni, mete
thumo, mete aneu thumou, medamos me-
dena ton politon komoadein) ist in der
wirklichen Republik niemals darüber gehal-
ten worden. Jch will nicht anführen, daß
in den Stücken des Menander noch so man-
cher Cynische Philosoph, noch so manche
Buhlerinn mit Namen genennt ward: man
könnte antworten, daß dieser Abschaum von
Menschen nicht zu den Bürgern gehört.
Aber Ktesippus, der Sohn des Chabrias,
war doch gewiß Atheniensischer Bürger, so
gut wie einer: und man sehe, was Menan-
der von ihm sagte. (Menandri Fr. p. 137.
Edit. Cl.
)

Jch will nur noch die Anwendung auf die
wahren Namen der Tragödie machen. So wie
der Ariſtophaniſche Sokrates nicht den einzeln
Mann dieſes Namens vorſtellte, noch vorſtellen
ſollte; ſo wie dieſes perſonifirte Jdeal einer ei-
teln und gefährlichen Schulweisheit nur darum
den Namen Sokrates bekam, weil Sokrates
als ein ſolcher Täuſcher und Verführer zum
Theil bekannt war, zum Theil noch bekannter
werden ſollte; ſo wie blos der Begriff von
Stand und Charakter, den man mit dem Na-
men Sokrates verband und noch näher verbin-
den ſollte, den Dichter in der Wahl des Na-
mens beſtimmte: ſo iſt auch blos der Begriff
des Charakters, den wir mit den Namen Re-

gulus,
zu machen, in ſeiner Republik einführen
wollte, (μητε λογῳ, μητε εἰϰονι, μητε
ϑυμῳ, μητε ἀνευ ϑυμου, μηδαμως μη-
δενα των πολιτων ϰωμῳαδειν) iſt in der
wirklichen Republik niemals darüber gehal-
ten worden. Jch will nicht anführen, daß
in den Stücken des Menander noch ſo man-
cher Cyniſche Philoſoph, noch ſo manche
Buhlerinn mit Namen genennt ward: man
könnte antworten, daß dieſer Abſchaum von
Menſchen nicht zu den Bürgern gehört.
Aber Kteſippus, der Sohn des Chabrias,
war doch gewiß Athenienſiſcher Bürger, ſo
gut wie einer: und man ſehe, was Menan-
der von ihm ſagte. (Menandri Fr. p. 137.
Edit. Cl.
)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0316" n="310"/>
        <p>Jch will nur noch die Anwendung auf die<lb/>
wahren Namen der Tragödie machen. So wie<lb/>
der Ari&#x017F;tophani&#x017F;che Sokrates nicht den einzeln<lb/>
Mann die&#x017F;es Namens vor&#x017F;tellte, noch vor&#x017F;tellen<lb/>
&#x017F;ollte; &#x017F;o wie die&#x017F;es per&#x017F;onifirte Jdeal einer ei-<lb/>
teln und gefährlichen Schulweisheit nur darum<lb/>
den Namen Sokrates bekam, weil Sokrates<lb/>
als ein &#x017F;olcher Täu&#x017F;cher und Verführer zum<lb/>
Theil bekannt war, zum Theil noch bekannter<lb/>
werden &#x017F;ollte; &#x017F;o wie blos der Begriff von<lb/>
Stand und Charakter, den man mit dem Na-<lb/>
men Sokrates verband und noch näher verbin-<lb/>
den &#x017F;ollte, den Dichter in der Wahl des Na-<lb/>
mens be&#x017F;timmte: &#x017F;o i&#x017F;t auch blos der Begriff<lb/>
des Charakters, den wir mit den Namen Re-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gulus,</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_29_2" prev="#seg2pn_29_1" place="foot" n="(*)">zu machen, in &#x017F;einer Republik einführen<lb/>
wollte, (&#x03BC;&#x03B7;&#x03C4;&#x03B5; &#x03BB;&#x03BF;&#x03B3;&#x1FF3;, &#x03BC;&#x03B7;&#x03C4;&#x03B5; &#x03B5;&#x1F30;&#x03F0;&#x03BF;&#x03BD;&#x03B9;, &#x03BC;&#x03B7;&#x03C4;&#x03B5;<lb/>
&#x03D1;&#x03C5;&#x03BC;&#x1FF3;, &#x03BC;&#x03B7;&#x03C4;&#x03B5; &#x1F00;&#x03BD;&#x03B5;&#x03C5; &#x03D1;&#x03C5;&#x03BC;&#x03BF;&#x03C5;, &#x03BC;&#x03B7;&#x03B4;&#x03B1;&#x03BC;&#x03C9;&#x03C2; &#x03BC;&#x03B7;-<lb/>
&#x03B4;&#x03B5;&#x03BD;&#x03B1; &#x03C4;&#x03C9;&#x03BD; &#x03C0;&#x03BF;&#x03BB;&#x03B9;&#x03C4;&#x03C9;&#x03BD; &#x03F0;&#x03C9;&#x03BC;&#x1FF3;&#x03B1;&#x03B4;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BD;) i&#x017F;t in der<lb/>
wirklichen Republik niemals darüber gehal-<lb/>
ten worden. Jch will nicht anführen, daß<lb/>
in den Stücken des Menander noch &#x017F;o man-<lb/>
cher Cyni&#x017F;che Philo&#x017F;oph, noch &#x017F;o manche<lb/>
Buhlerinn mit Namen genennt ward: man<lb/>
könnte antworten, daß die&#x017F;er Ab&#x017F;chaum von<lb/>
Men&#x017F;chen nicht zu den Bürgern gehört.<lb/>
Aber Kte&#x017F;ippus, der Sohn des Chabrias,<lb/>
war doch gewiß Athenien&#x017F;i&#x017F;cher Bürger, &#x017F;o<lb/>
gut wie einer: und man &#x017F;ehe, was Menan-<lb/>
der von ihm &#x017F;agte. (<hi rendition="#aq">Menandri Fr. p. 137.<lb/>
Edit. Cl.</hi>)</note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[310/0316] Jch will nur noch die Anwendung auf die wahren Namen der Tragödie machen. So wie der Ariſtophaniſche Sokrates nicht den einzeln Mann dieſes Namens vorſtellte, noch vorſtellen ſollte; ſo wie dieſes perſonifirte Jdeal einer ei- teln und gefährlichen Schulweisheit nur darum den Namen Sokrates bekam, weil Sokrates als ein ſolcher Täuſcher und Verführer zum Theil bekannt war, zum Theil noch bekannter werden ſollte; ſo wie blos der Begriff von Stand und Charakter, den man mit dem Na- men Sokrates verband und noch näher verbin- den ſollte, den Dichter in der Wahl des Na- mens beſtimmte: ſo iſt auch blos der Begriff des Charakters, den wir mit den Namen Re- gulus, (*) (*) zu machen, in ſeiner Republik einführen wollte, (μητε λογῳ, μητε εἰϰονι, μητε ϑυμῳ, μητε ἀνευ ϑυμου, μηδαμως μη- δενα των πολιτων ϰωμῳαδειν) iſt in der wirklichen Republik niemals darüber gehal- ten worden. Jch will nicht anführen, daß in den Stücken des Menander noch ſo man- cher Cyniſche Philoſoph, noch ſo manche Buhlerinn mit Namen genennt ward: man könnte antworten, daß dieſer Abſchaum von Menſchen nicht zu den Bürgern gehört. Aber Kteſippus, der Sohn des Chabrias, war doch gewiß Athenienſiſcher Bürger, ſo gut wie einer: und man ſehe, was Menan- der von ihm ſagte. (Menandri Fr. p. 137. Edit. Cl.)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/316
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/316>, abgerufen am 22.11.2024.