[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769]. Die Königinn. Nein; -- aber doch hat er die Gesetze übertreten. -- Ich muß mich schämen, ihn länger zu schützen. -- Ich darf es nicht einmal wagen, ihn zu sehen. Rutland. Ihn nicht zu sehen, Königinn? nicht zu sehen? -- Bey dem Mitleid, das seinen Thron in Deiner Seele aufgeschlagen, beschwöre ich Dich, -- Du mußt ihn sehen! Schämen? wes- sen? daß Du mit einem Unglücklichen Erbarmen hast? -- Gott hat Erbarmen: und Erbarmen sollte Könige schimpfen? -- Nein, Königinn; sey auch hier Dir selbst gleich. Ja, Du wirst es; Du wirst ihn sehen, wenigstens einmal sehen -- Die Königinn. Ihn, der meinen ausdrück- lichen Befehl so geringschätzen können? Ihn, der sich so eigenmächtig vor meine Augen drengen darf? Warum blieb er nicht, wo ich ihm zu bleiben be- fahl? Rutland. Rechne ihm dieses zu keinem Ver- brechen! Gieb die Schuld der Gefahr, in der er sich sahe. Er hörte, was hier vorgieng; wie sehr man ihn zu verkleinern, ihn Dir verdächtig zu machen suche. Er kam also, zwar ohne Erlaub- niß, aber in der besten Abstcht; in der Absicht, sich zu rechtfertigen, und Dich nicht hintergehen zu lassen. Die Königinn. Gut; so will ich ihn denn sehen, und will ihn gleich sehen. -- O, meine Rut- land, wie sehr wünsche ich es, ihn noch immer eben F 3
Die Königinn. Nein; — aber doch hat er die Geſetze übertreten. — Ich muß mich ſchämen, ihn länger zu ſchützen. — Ich darf es nicht einmal wagen, ihn zu ſehen. Rutland. Ihn nicht zu ſehen, Königinn? nicht zu ſehen? — Bey dem Mitleid, das ſeinen Thron in Deiner Seele aufgeſchlagen, beſchwöre ich Dich, — Du mußt ihn ſehen! Schämen? weſ- ſen? daß Du mit einem Unglücklichen Erbarmen haſt? — Gott hat Erbarmen: und Erbarmen ſollte Könige ſchimpfen? — Nein, Königinn; ſey auch hier Dir ſelbſt gleich. Ja, Du wirſt es; Du wirſt ihn ſehen, wenigſtens einmal ſehen — Die Königinn. Ihn, der meinen ausdrück- lichen Befehl ſo geringſchätzen können? Ihn, der ſich ſo eigenmächtig vor meine Augen drengen darf? Warum blieb er nicht, wo ich ihm zu bleiben be- fahl? Rutland. Rechne ihm dieſes zu keinem Ver- brechen! Gieb die Schuld der Gefahr, in der er ſich ſahe. Er hörte, was hier vorgieng; wie ſehr man ihn zu verkleinern, ihn Dir verdächtig zu machen ſuche. Er kam alſo, zwar ohne Erlaub- niß, aber in der beſten Abſtcht; in der Abſicht, ſich zu rechtfertigen, und Dich nicht hintergehen zu laſſen. Die Königinn. Gut; ſo will ich ihn denn ſehen, und will ihn gleich ſehen. — O, meine Rut- land, wie ſehr wünſche ich es, ihn noch immer eben F 3
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Die Königinn. Nein; — aber doch hat er
die Geſetze übertreten. — Ich muß mich ſchämen,
ihn länger zu ſchützen. — Ich darf es nicht einmal
wagen, ihn zu ſehen.
Rutland. Ihn nicht zu ſehen, Königinn?
nicht zu ſehen? — Bey dem Mitleid, das ſeinen
Thron in Deiner Seele aufgeſchlagen, beſchwöre
ich Dich, — Du mußt ihn ſehen! Schämen? weſ-
ſen? daß Du mit einem Unglücklichen Erbarmen
haſt? — Gott hat Erbarmen: und Erbarmen ſollte
Könige ſchimpfen? — Nein, Königinn; ſey auch
hier Dir ſelbſt gleich. Ja, Du wirſt es; Du
wirſt ihn ſehen, wenigſtens einmal ſehen —
Die Königinn. Ihn, der meinen ausdrück-
lichen Befehl ſo geringſchätzen können? Ihn, der
ſich ſo eigenmächtig vor meine Augen drengen darf?
Warum blieb er nicht, wo ich ihm zu bleiben be-
fahl?
Rutland. Rechne ihm dieſes zu keinem Ver-
brechen! Gieb die Schuld der Gefahr, in der er
ſich ſahe. Er hörte, was hier vorgieng; wie ſehr
man ihn zu verkleinern, ihn Dir verdächtig zu
machen ſuche. Er kam alſo, zwar ohne Erlaub-
niß, aber in der beſten Abſtcht; in der Abſicht, ſich
zu rechtfertigen, und Dich nicht hintergehen zu
laſſen.
Die Königinn. Gut; ſo will ich ihn denn
ſehen, und will ihn gleich ſehen. — O, meine Rut-
land, wie ſehr wünſche ich es, ihn noch immer
eben
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