[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].
neres Gefühl spricht, dessen er nicht mächtig ist. Sie ist, sagte er, die Göttinn ihres Geschlechts, so weit über alle andere Frauen erhaben, daß das, was wir in diesen am meisten bewundern, Schön- heit und Reitz, in ihr nur die Schatten sind, ein größeres Licht dagegen abzusetzen. Jede weibliche Vollkommenheit verliert sich in ihr, wie der schwache Schimmer eines Sternes in dem alles überströmen- den Glanze des Sonnenlichts. Nichts übersteigt ihre Güte; die Huld selbst beherrschet, in ihrer Person, diese glückliche Insel; ihre Gesetze sind aus dem ewigen Gesetzbuche des Himmels gezogen, und werden dort von Engeln wieder aufgezeichnet. -- O, unterbrach er sich dann mit einem Seufzer, der sein ganzes getreues Herz ausdrückte, o, daß sie nicht unsterblich seyn kann! Ich wünsche ihn nicht zu erleben, den schrecklichen Augenblick, wenn die Gottheit diesen Abglanz von sich zurückruft, und mit eins sich Nacht und Verwirrung über Britan- nien verbreiten. Die Königinn. Sagte er das, Rutland? Rutland. Das, und weit mehr. Immer so neu, als wahr in Deinem Lobe, dessen unver- siegene Quelle von den lautersten Gesinnungen gegen Dich überströmte -- Die Königinn. O, Rutland, wie gern glaube ich dem Zeugnisse, das du ihm giebst! Rutland. Und kannst ihn noch für einen Ver- räther halten? Die
neres Gefühl ſpricht, deſſen er nicht mächtig iſt. Sie iſt, ſagte er, die Göttinn ihres Geſchlechts, ſo weit über alle andere Frauen erhaben, daß das, was wir in dieſen am meiſten bewundern, Schön- heit und Reitz, in ihr nur die Schatten ſind, ein größeres Licht dagegen abzuſetzen. Jede weibliche Vollkommenheit verliert ſich in ihr, wie der ſchwache Schimmer eines Sternes in dem alles überſtrömen- den Glanze des Sonnenlichts. Nichts überſteigt ihre Güte; die Huld ſelbſt beherrſchet, in ihrer Perſon, dieſe glückliche Inſel; ihre Geſetze ſind aus dem ewigen Geſetzbuche des Himmels gezogen, und werden dort von Engeln wieder aufgezeichnet. — O, unterbrach er ſich dann mit einem Seufzer, der ſein ganzes getreues Herz ausdrückte, o, daß ſie nicht unſterblich ſeyn kann! Ich wünſche ihn nicht zu erleben, den ſchrecklichen Augenblick, wenn die Gottheit dieſen Abglanz von ſich zurückruft, und mit eins ſich Nacht und Verwirrung über Britan- nien verbreiten. Die Königinn. Sagte er das, Rutland? Rutland. Das, und weit mehr. Immer ſo neu, als wahr in Deinem Lobe, deſſen unver- ſiegene Quelle von den lauterſten Geſinnungen gegen Dich überſtrömte — Die Königinn. O, Rutland, wie gern glaube ich dem Zeugniſſe, das du ihm giebſt! Rutland. Und kannſt ihn noch für einen Ver- räther halten? Die
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp> <p><pb facs="#f0050" n="44"/> neres Gefühl ſpricht, deſſen er nicht mächtig iſt.<lb/> Sie iſt, ſagte er, die Göttinn ihres Geſchlechts,<lb/> ſo weit über alle andere Frauen erhaben, daß das,<lb/> was wir in dieſen am meiſten bewundern, Schön-<lb/> heit und Reitz, in ihr nur die Schatten ſind, ein<lb/> größeres Licht dagegen abzuſetzen. Jede weibliche<lb/> Vollkommenheit verliert ſich in ihr, wie der ſchwache<lb/> Schimmer eines Sternes in dem alles überſtrömen-<lb/> den Glanze des Sonnenlichts. Nichts überſteigt<lb/> ihre Güte; die Huld ſelbſt beherrſchet, in ihrer<lb/> Perſon, dieſe glückliche Inſel; ihre Geſetze ſind aus<lb/> dem ewigen Geſetzbuche des Himmels gezogen, und<lb/> werden dort von Engeln wieder aufgezeichnet. —<lb/> O, unterbrach er ſich dann mit einem Seufzer,<lb/> der ſein ganzes getreues Herz ausdrückte, o, daß<lb/> ſie nicht unſterblich ſeyn kann! Ich wünſche ihn<lb/> nicht zu erleben, den ſchrecklichen Augenblick, wenn<lb/> die Gottheit dieſen Abglanz von ſich zurückruft, und<lb/> mit eins ſich Nacht und Verwirrung über Britan-<lb/> nien verbreiten.</p> </sp><lb/> <sp> <speaker><hi rendition="#g">Die Königinn</hi>.</speaker> <p>Sagte er das, Rutland?</p> </sp><lb/> <sp> <speaker><hi rendition="#g">Rutland</hi>.</speaker> <p>Das, und weit mehr. Immer<lb/> ſo neu, als wahr in Deinem Lobe, deſſen unver-<lb/> ſiegene Quelle von den lauterſten Geſinnungen<lb/> gegen Dich überſtrömte —</p> </sp><lb/> <sp> <speaker><hi rendition="#g">Die Königinn</hi>.</speaker> <p>O, Rutland, wie gern<lb/> glaube ich dem Zeugniſſe, das du ihm giebſt!</p> </sp><lb/> <sp> <speaker><hi rendition="#g">Rutland</hi>.</speaker> <p>Und kannſt ihn noch für einen Ver-<lb/> räther halten?</p> </sp><lb/> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#g">Die</hi> </fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [44/0050]
neres Gefühl ſpricht, deſſen er nicht mächtig iſt.
Sie iſt, ſagte er, die Göttinn ihres Geſchlechts,
ſo weit über alle andere Frauen erhaben, daß das,
was wir in dieſen am meiſten bewundern, Schön-
heit und Reitz, in ihr nur die Schatten ſind, ein
größeres Licht dagegen abzuſetzen. Jede weibliche
Vollkommenheit verliert ſich in ihr, wie der ſchwache
Schimmer eines Sternes in dem alles überſtrömen-
den Glanze des Sonnenlichts. Nichts überſteigt
ihre Güte; die Huld ſelbſt beherrſchet, in ihrer
Perſon, dieſe glückliche Inſel; ihre Geſetze ſind aus
dem ewigen Geſetzbuche des Himmels gezogen, und
werden dort von Engeln wieder aufgezeichnet. —
O, unterbrach er ſich dann mit einem Seufzer,
der ſein ganzes getreues Herz ausdrückte, o, daß
ſie nicht unſterblich ſeyn kann! Ich wünſche ihn
nicht zu erleben, den ſchrecklichen Augenblick, wenn
die Gottheit dieſen Abglanz von ſich zurückruft, und
mit eins ſich Nacht und Verwirrung über Britan-
nien verbreiten.
Die Königinn. Sagte er das, Rutland?
Rutland. Das, und weit mehr. Immer
ſo neu, als wahr in Deinem Lobe, deſſen unver-
ſiegene Quelle von den lauterſten Geſinnungen
gegen Dich überſtrömte —
Die Königinn. O, Rutland, wie gern
glaube ich dem Zeugniſſe, das du ihm giebſt!
Rutland. Und kannſt ihn noch für einen Ver-
räther halten?
Die
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |