wären das für Helden? Ampullae & sesqui- pedalia verba, Sentenzen und Blasen und ellenlange Worte: das macht ihnen den wahren Ton der Tragödie.
"Wir haben es an nichts fehlen lassen, sagt Diderot, (*) (man merke, daß er vornehmlich von seinen Landsleuten spricht,) "das Drama "aus dem Grunde zu verderben. Wir haben "von den Alten die volle prächtige Versification "beybehalten, die sich doch nur für Sprachen "von sehr abgemessenen Quantitäten, und sehr "merklichen Accenten, nur für weitläufige Büh- "nen, nur für eine in Noten gesetzte und mit "Instrumenten begleitete Deklamation so wohl "schickt: ihre Einfalt aber in der Verwickelung "und dem Gespräche, und die Wahrheit ihrer "Gemählde haben wir fahren lassen."
Diderot hätte noch einen Grund hinzufügen können, warum wir uns den Ausdruck der alten Tragödien nicht durchgängig zum Muster neh- men dürfen. Alle Personen sprechen und unter- halten sich da auf einem freyen, öffentlichen Platze, in Gegenwart einer neugierigen Menge Volks. Sie müssen also fast immer mit Zurück- haltung, und Rücksicht auf ihre Würde, sprechen; sie können sich ihrer Gedanken und Empfindun- gen nicht in den ersten den besten Worten entla-
den;
(*) Zweyte Unterredung hinter dem natürlichen Sohne. S. d. Uebers. 247.
wären das für Helden? Ampullæ & ſesqui- pedalia verba, Sentenzen und Blaſen und ellenlange Worte: das macht ihnen den wahren Ton der Tragödie.
„Wir haben es an nichts fehlen laſſen, ſagt Diderot, (*) (man merke, daß er vornehmlich von ſeinen Landsleuten ſpricht,) „das Drama „aus dem Grunde zu verderben. Wir haben „von den Alten die volle prächtige Verſification „beybehalten, die ſich doch nur für Sprachen „von ſehr abgemeſſenen Quantitäten, und ſehr „merklichen Accenten, nur für weitläufige Büh- „nen, nur für eine in Noten geſetzte und mit „Inſtrumenten begleitete Deklamation ſo wohl „ſchickt: ihre Einfalt aber in der Verwickelung „und dem Geſpräche, und die Wahrheit ihrer „Gemählde haben wir fahren laſſen.„
Diderot hätte noch einen Grund hinzufügen können, warum wir uns den Ausdruck der alten Tragödien nicht durchgängig zum Muſter neh- men dürfen. Alle Perſonen ſprechen und unter- halten ſich da auf einem freyen, öffentlichen Platze, in Gegenwart einer neugierigen Menge Volks. Sie müſſen alſo faſt immer mit Zurück- haltung, und Rückſicht auf ihre Würde, ſprechen; ſie können ſich ihrer Gedanken und Empfindun- gen nicht in den erſten den beſten Worten entla-
den;
(*) Zweyte Unterredung hinter dem natürlichen Sohne. S. d. Ueberſ. 247.
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wären das für Helden? Ampullæ & ſesqui-
pedalia verba, Sentenzen und Blaſen und
ellenlange Worte: das macht ihnen den wahren
Ton der Tragödie.
„Wir haben es an nichts fehlen laſſen, ſagt
Diderot, (*) (man merke, daß er vornehmlich
von ſeinen Landsleuten ſpricht,) „das Drama
„aus dem Grunde zu verderben. Wir haben
„von den Alten die volle prächtige Verſification
„beybehalten, die ſich doch nur für Sprachen
„von ſehr abgemeſſenen Quantitäten, und ſehr
„merklichen Accenten, nur für weitläufige Büh-
„nen, nur für eine in Noten geſetzte und mit
„Inſtrumenten begleitete Deklamation ſo wohl
„ſchickt: ihre Einfalt aber in der Verwickelung
„und dem Geſpräche, und die Wahrheit ihrer
„Gemählde haben wir fahren laſſen.„
Diderot hätte noch einen Grund hinzufügen
können, warum wir uns den Ausdruck der alten
Tragödien nicht durchgängig zum Muſter neh-
men dürfen. Alle Perſonen ſprechen und unter-
halten ſich da auf einem freyen, öffentlichen
Platze, in Gegenwart einer neugierigen Menge
Volks. Sie müſſen alſo faſt immer mit Zurück-
haltung, und Rückſicht auf ihre Würde, ſprechen;
ſie können ſich ihrer Gedanken und Empfindun-
gen nicht in den erſten den beſten Worten entla-
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(*) Zweyte Unterredung hinter dem natürlichen
Sohne. S. d. Ueberſ. 247.
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/56>, abgerufen am 21.11.2024.
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