Essex kömmt von seiner Expedition wider die Spanier zurück, und will der Königinn in Lon- don Bericht davon abstatten. Wie er anlangt, hört er, daß sie sich zwey Meilen von der Stadt auf dem Landgute einer ihrer Hofdamen, Na- mens Blanca, befinde. Diese Blanca ist die Geliebte des Grafen, und auf diesem Landgute hat er, noch bey Lebszeiten ihres Vaters, viele heimliche Zusammenkünfte mit ihr gehabt. So- gleich begiebt er sich dahin, und bedient sich des Schlüssels, den er noch von der Gartenthüre bewahret, durch die er ehedem zu ihr gekommen. Es ist natürlich, daß er sich seiner Geliebten eher zeigen will, als der Königinn. Als er durch den Garten nach ihren Zimmern schleichet, wird er, an dem schattichten Ufer eines durch den- selben geleiteten Armes der Temse, ein Frauen- zimmer gewahr, (es ist ein schwüler Sommer- abend,) das mit den bloßen Füßen in dem Was- ser sitzt, und sich abkühlet. Er bleibt voller Verwunderung über ihre Schönheit stehen, ob sie schon das Gesicht mit einer halben Maske bedeckt hat, um nicht erkannt zu werden. (Diese Schönheit, wie billig, wird weitläuftig beschrie- ben, und besonders werden über die allerliebsten weissen Füße in dem klaren Wasser, sehr spitzfin- dige Dinge gesagt. Nicht genug, daß der ent- zückte Graf zwey krystallene Säulen in einem fließenden Krystalle stehen sieht; er weiß vor Er-
stau-
Eſſex kömmt von ſeiner Expedition wider die Spanier zurück, und will der Königinn in Lon- don Bericht davon abſtatten. Wie er anlangt, hört er, daß ſie ſich zwey Meilen von der Stadt auf dem Landgute einer ihrer Hofdamen, Na- mens Blanca, befinde. Dieſe Blanca iſt die Geliebte des Grafen, und auf dieſem Landgute hat er, noch bey Lebszeiten ihres Vaters, viele heimliche Zuſammenkünfte mit ihr gehabt. So- gleich begiebt er ſich dahin, und bedient ſich des Schlüſſels, den er noch von der Gartenthüre bewahret, durch die er ehedem zu ihr gekommen. Es iſt natürlich, daß er ſich ſeiner Geliebten eher zeigen will, als der Königinn. Als er durch den Garten nach ihren Zimmern ſchleichet, wird er, an dem ſchattichten Ufer eines durch den- ſelben geleiteten Armes der Temſe, ein Frauen- zimmer gewahr, (es iſt ein ſchwüler Sommer- abend,) das mit den bloßen Füßen in dem Waſ- ſer ſitzt, und ſich abkühlet. Er bleibt voller Verwunderung über ihre Schönheit ſtehen, ob ſie ſchon das Geſicht mit einer halben Maſke bedeckt hat, um nicht erkannt zu werden. (Dieſe Schönheit, wie billig, wird weitläuftig beſchrie- ben, und beſonders werden über die allerliebſten weiſſen Füße in dem klaren Waſſer, ſehr ſpitzfin- dige Dinge geſagt. Nicht genug, daß der ent- zückte Graf zwey kryſtallene Säulen in einem fließenden Kryſtalle ſtehen ſieht; er weiß vor Er-
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[58/0064]
Eſſex kömmt von ſeiner Expedition wider die
Spanier zurück, und will der Königinn in Lon-
don Bericht davon abſtatten. Wie er anlangt,
hört er, daß ſie ſich zwey Meilen von der Stadt
auf dem Landgute einer ihrer Hofdamen, Na-
mens Blanca, befinde. Dieſe Blanca iſt die
Geliebte des Grafen, und auf dieſem Landgute
hat er, noch bey Lebszeiten ihres Vaters, viele
heimliche Zuſammenkünfte mit ihr gehabt. So-
gleich begiebt er ſich dahin, und bedient ſich des
Schlüſſels, den er noch von der Gartenthüre
bewahret, durch die er ehedem zu ihr gekommen.
Es iſt natürlich, daß er ſich ſeiner Geliebten
eher zeigen will, als der Königinn. Als er
durch den Garten nach ihren Zimmern ſchleichet,
wird er, an dem ſchattichten Ufer eines durch den-
ſelben geleiteten Armes der Temſe, ein Frauen-
zimmer gewahr, (es iſt ein ſchwüler Sommer-
abend,) das mit den bloßen Füßen in dem Waſ-
ſer ſitzt, und ſich abkühlet. Er bleibt voller
Verwunderung über ihre Schönheit ſtehen, ob
ſie ſchon das Geſicht mit einer halben Maſke
bedeckt hat, um nicht erkannt zu werden. (Dieſe
Schönheit, wie billig, wird weitläuftig beſchrie-
ben, und beſonders werden über die allerliebſten
weiſſen Füße in dem klaren Waſſer, ſehr ſpitzfin-
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/64>, abgerufen am 21.11.2024.
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