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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

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Aesopus machte die meisten seiner Fabeln bey
wirklichen Vorfällen. Seine Nachfolger haben sich
dergleichen Vorfälle meistens erdichtet, oder auch
wohl an ganz und gar keinen Vorsall, sondern bloß
an diese oder jene allgemeine Wahrheit, bey Verfer-
tigung der ihrigen, gedacht. Diese begnügten sich
folglich, die allgemeine Wahrheit, durch die erdich-
tete Geschichte ihrer Fabel, erläutert zu haben; wenn
jener noch über dieses, die Aehnlichkeit seiner erdich-
teten Geschichte mit dem gegenwärtigen wirklichen
Vorfalle faßlich machen, und zeugen mußte, daß
aus beyden, so wohl aus der erdichteten Geschichte
als dem wirklichen Vorfalle, sich eben dieselbe Wahr-
heit bereits ergebe, oder gewiß ergeben werde.

Und hieraus entspringt die Eintheilung in ein-
fache
und zusammengesetzte Fabeln.

Einfach ist die Fabel, wenn ich aus der erdich-
teten Begebenheit derselben, bloß irgend eine allge-
meine Wahrheit folgern lasse. --

"Man machte
"der Löwin den Vorwurf, daß sie nur ein Jun-
"ges zur Welt brächte. Ja, sprach sie, nur
"eines; aber einen Löwen *."

-- Die Wahrheit,

welche
* Fabul. Aesop. 216. Edit. Hauptmannianae.

Aeſopus machte die meiſten ſeiner Fabeln bey
wirklichen Vorfällen. Seine Nachfolger haben ſich
dergleichen Vorfälle meiſtens erdichtet, oder auch
wohl an ganz und gar keinen Vorſall, ſondern bloß
an dieſe oder jene allgemeine Wahrheit, bey Verfer-
tigung der ihrigen, gedacht. Dieſe begnügten ſich
folglich, die allgemeine Wahrheit, durch die erdich-
tete Geſchichte ihrer Fabel, erläutert zu haben; wenn
jener noch über dieſes, die Aehnlichkeit ſeiner erdich-
teten Geſchichte mit dem gegenwärtigen wirklichen
Vorfalle faßlich machen, und zeugen mußte, daß
aus beyden, ſo wohl aus der erdichteten Geſchichte
als dem wirklichen Vorfalle, ſich eben dieſelbe Wahr-
heit bereits ergebe, oder gewiß ergeben werde.

Und hieraus entſpringt die Eintheilung in ein-
fache
und zuſammengeſetzte Fabeln.

Einfach iſt die Fabel, wenn ich aus der erdich-
teten Begebenheit derſelben, bloß irgend eine allge-
meine Wahrheit folgern laſſe. —

„Man machte
„der Löwin den Vorwurf, daß ſie nur ein Jun-
„ges zur Welt brächte. Ja, ſprach ſie, nur
„eines; aber einen Löwen *.“

— Die Wahrheit,

welche
* Fabul. Aeſop. 216. Edit. Hauptmannianæ.
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[114/0134] Aeſopus machte die meiſten ſeiner Fabeln bey wirklichen Vorfällen. Seine Nachfolger haben ſich dergleichen Vorfälle meiſtens erdichtet, oder auch wohl an ganz und gar keinen Vorſall, ſondern bloß an dieſe oder jene allgemeine Wahrheit, bey Verfer- tigung der ihrigen, gedacht. Dieſe begnügten ſich folglich, die allgemeine Wahrheit, durch die erdich- tete Geſchichte ihrer Fabel, erläutert zu haben; wenn jener noch über dieſes, die Aehnlichkeit ſeiner erdich- teten Geſchichte mit dem gegenwärtigen wirklichen Vorfalle faßlich machen, und zeugen mußte, daß aus beyden, ſo wohl aus der erdichteten Geſchichte als dem wirklichen Vorfalle, ſich eben dieſelbe Wahr- heit bereits ergebe, oder gewiß ergeben werde. Und hieraus entſpringt die Eintheilung in ein- fache und zuſammengeſetzte Fabeln. Einfach iſt die Fabel, wenn ich aus der erdich- teten Begebenheit derſelben, bloß irgend eine allge- meine Wahrheit folgern laſſe. — „Man machte „der Löwin den Vorwurf, daß ſie nur ein Jun- „ges zur Welt brächte. Ja, ſprach ſie, nur „eines; aber einen Löwen *.“ — Die Wahrheit, welche * Fabul. Aeſop. 216. Edit. Hauptmannianæ.

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/134>, abgerufen am 21.11.2024.