leuchtet sogleich in die Augen; und die Fabel ist einfach, wenn ich es bey dem Ausdrucke dieses allgemeinen Satzes bewenden lasse.
Zusammengesetzt hingegen ist die Fabel, wenn die Wahrheit, die sie uns auschauend zu erkennen giebt, auf einen wirklich geschehenen, oder doch, als wirklich geschehen, angenommenen Fall, weiter angewendet wird. -- "Ich mache, sprach ein "höhnischer Reimer zu dem Dichter, in einem "Jahre sieben Trauerspiele; aber du? In sieben "Jahren eines! Recht; nur eines! versetzte der "Dichter; aber eine Athalie!" -- Man mache die- ses zur Anwendung der vorigen Fabel, und die Fa- bel wird zusammengesetzt. Denn sie bestehet nun- mehr gleichsam aus zwey Fabeln, aus zwey ein- zeln Fällen, in welchen beyden ich die Wahrheit eben desselben Lehrsatzes bestätiget finde.
Diese Eintheilung aber -- kaum brauche ich es zu erinnern -- beruhet nicht auf einer wesentlichen Verschiedenheit der Fabeln selbst; sondern bloß auf
der
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welche in dieſer Fabel liegt,
ὁτι το καλον ȣ̍κ ἐν πληϑει, ἀλλ’ ἀρετῃ,
leuchtet ſogleich in die Augen; und die Fabel iſt einfach, wenn ich es bey dem Ausdrucke dieſes allgemeinen Satzes bewenden laſſe.
Zuſammengeſetzt hingegen iſt die Fabel, wenn die Wahrheit, die ſie uns auſchauend zu erkennen giebt, auf einen wirklich geſchehenen, oder doch, als wirklich geſchehen, angenommenen Fall, weiter angewendet wird. — „Ich mache, ſprach ein „höhniſcher Reimer zu dem Dichter, in einem „Jahre ſieben Trauerſpiele; aber du? In ſieben „Jahren eines! Recht; nur eines! verſetzte der „Dichter; aber eine Athalie!„ — Man mache die- ſes zur Anwendung der vorigen Fabel, und die Fa- bel wird zuſammengeſetzt. Denn ſie beſtehet nun- mehr gleichſam aus zwey Fabeln, aus zwey ein- zeln Fällen, in welchen beyden ich die Wahrheit eben deſſelben Lehrſatzes beſtätiget finde.
Dieſe Eintheilung aber — kaum brauche ich es zu erinnern — beruhet nicht auf einer weſentlichen Verſchiedenheit der Fabeln ſelbſt; ſondern bloß auf
der
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[115/0135]
welche in dieſer Fabel liegt,
ὁτι το καλον ȣ̍κ ἐν
πληϑει, ἀλλ’ ἀρετῃ, leuchtet ſogleich in die Augen;
und die Fabel iſt einfach, wenn ich es bey dem
Ausdrucke dieſes allgemeinen Satzes bewenden
laſſe.
Zuſammengeſetzt hingegen iſt die Fabel, wenn
die Wahrheit, die ſie uns auſchauend zu erkennen
giebt, auf einen wirklich geſchehenen, oder doch,
als wirklich geſchehen, angenommenen Fall, weiter
angewendet wird. — „Ich mache, ſprach ein
„höhniſcher Reimer zu dem Dichter, in einem
„Jahre ſieben Trauerſpiele; aber du? In ſieben
„Jahren eines! Recht; nur eines! verſetzte der
„Dichter; aber eine Athalie!„ — Man mache die-
ſes zur Anwendung der vorigen Fabel, und die Fa-
bel wird zuſammengeſetzt. Denn ſie beſtehet nun-
mehr gleichſam aus zwey Fabeln, aus zwey ein-
zeln Fällen, in welchen beyden ich die Wahrheit
eben deſſelben Lehrſatzes beſtätiget finde.
Dieſe Eintheilung aber — kaum brauche ich es
zu erinnern — beruhet nicht auf einer weſentlichen
Verſchiedenheit der Fabeln ſelbſt; ſondern bloß auf
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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/135>, abgerufen am 16.02.2025.
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