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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

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der zusammengesetzten Fabel wird ein Besonderes
gegen das andre gehalten; zwischen zwey oder mehr
Besondern, die unter eben demselben Allgemeinen be-
griffen sind, ist die Aehnlichkeit unwidersprechlich,
und die Allegorie kann folglich Statt finden. Nur
muß man nicht sagen, daß die Allegorie zwischen
der Fabel und dem moralischen Satze sich befinde.
Sie befindet sich zwischen der Fabel und dem wirk-
lichen Falle, der zu der Fabel Gelegenheit gegeben hat,
in so fern sich aus beyden ebendieselbe Wahrheit er-
giebt. -- Die bekannte Fabel vom Pferde, daß sich
von dem Manne den Zaum anlegen ließ, und ihn
auf seinen Rücken nahm, damit er ihm nur in seiner
Nache, die es an dem Hirsche nehmen wollte, be-
hülflich wäre: diese Fabel sage ich, ist so fern nicht
allegorisch, als ich mit dem Phädrus * bloß die all-
gemeine Wahrheit daraus ziehe:

Impune potius laedi, quam dedi alteri.

Bey der Gelegenheit nur, bey welcher sie ihr Er-
finder Stesichorus erzehlte, ward sie es. Er er-
zehlte sie nehmlich, als die Himerenser den Pha-

laris
* Liber IV. fab. 3.

der zuſammengeſetzten Fabel wird ein Beſonderes
gegen das andre gehalten; zwiſchen zwey oder mehr
Beſondern, die unter eben demſelben Allgemeinen be-
griffen ſind, iſt die Aehnlichkeit unwiderſprechlich,
und die Allegorie kann folglich Statt finden. Nur
muß man nicht ſagen, daß die Allegorie zwiſchen
der Fabel und dem moraliſchen Satze ſich befinde.
Sie befindet ſich zwiſchen der Fabel und dem wirk-
lichen Falle, der zu der Fabel Gelegenheit gegeben hat,
in ſo fern ſich aus beyden ebendieſelbe Wahrheit er-
giebt. — Die bekannte Fabel vom Pferde, daß ſich
von dem Manne den Zaum anlegen ließ, und ihn
auf ſeinen Rücken nahm, damit er ihm nur in ſeiner
Nache, die es an dem Hirſche nehmen wollte, be-
hülflich wäre: dieſe Fabel ſage ich, iſt ſo fern nicht
allegoriſch, als ich mit dem Phädrus * bloß die all-
gemeine Wahrheit daraus ziehe:

Impune potius lædi, quam dedi alteri.

Bey der Gelegenheit nur, bey welcher ſie ihr Er-
finder Steſichorus erzehlte, ward ſie es. Er er-
zehlte ſie nehmlich, als die Himerenſer den Pha-

laris
* Liber IV. fab. 3.
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[125/0145] der zuſammengeſetzten Fabel wird ein Beſonderes gegen das andre gehalten; zwiſchen zwey oder mehr Beſondern, die unter eben demſelben Allgemeinen be- griffen ſind, iſt die Aehnlichkeit unwiderſprechlich, und die Allegorie kann folglich Statt finden. Nur muß man nicht ſagen, daß die Allegorie zwiſchen der Fabel und dem moraliſchen Satze ſich befinde. Sie befindet ſich zwiſchen der Fabel und dem wirk- lichen Falle, der zu der Fabel Gelegenheit gegeben hat, in ſo fern ſich aus beyden ebendieſelbe Wahrheit er- giebt. — Die bekannte Fabel vom Pferde, daß ſich von dem Manne den Zaum anlegen ließ, und ihn auf ſeinen Rücken nahm, damit er ihm nur in ſeiner Nache, die es an dem Hirſche nehmen wollte, be- hülflich wäre: dieſe Fabel ſage ich, iſt ſo fern nicht allegoriſch, als ich mit dem Phädrus * bloß die all- gemeine Wahrheit daraus ziehe: Impune potius lædi, quam dedi alteri. Bey der Gelegenheit nur, bey welcher ſie ihr Er- finder Steſichorus erzehlte, ward ſie es. Er er- zehlte ſie nehmlich, als die Himerenſer den Pha- laris * Liber IV. fab. 3.

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/145>, abgerufen am 24.11.2024.