"unerwarteten Ausgange einer Sache: Weil aber "dergleichen wunderbare Handlungen in dem ge- "meinen Leben der Menschen etwas ungewohntes "und seltenes sind; da hingegen die meisten gewöhn- "lichen Handlungen gar nichts ungemeines oder "merkwürdiges an sich haben; so sah man sich ge- "müssiget, damit die Erzehlung als der Körper "der Fabel, nicht verächtlich würde, derselben "durch die Veränderung und Verwandlung der "Personen, einen angenehmen Schein des Wun- "derbaren mitzutheilen. Da nun die Menschen, "bey aller ihrer Verschiedenheit, dennoch überhaupt "berrachtet in einer wesentlichen Gleichheit und Ver- "wandtschaft stehen, so besann man sich, Wesen "von einer höhern Natur, die man wirklich zu seyn "glaubte, als Götter und Genios, oder solche die "man durch die Freyheit der Dichter zu Wesen er- "schuf, als die Tugenden, die Kräfte der Seele, "das Glück, die Gelegenheit etc. in die Erzehlung "einzuführen; vornehmlich aber nahm man sich die "Freyheit heraus, die Thiere, die Pflanzen, und "noch geringere Wesen, nehmlich die leblosen Ge-
"schöpfe,
„unerwarteten Ausgange einer Sache: Weil aber „dergleichen wunderbare Handlungen in dem ge- „meinen Leben der Menſchen etwas ungewohntes „und ſeltenes ſind; da hingegen die meiſten gewöhn- „lichen Handlungen gar nichts ungemeines oder „merkwürdiges an ſich haben; ſo ſah man ſich ge- „müſſiget, damit die Erzehlung als der Körper „der Fabel, nicht verächtlich würde, derſelben „durch die Veränderung und Verwandlung der „Perſonen, einen angenehmen Schein des Wun- „derbaren mitzutheilen. Da nun die Menſchen, „bey aller ihrer Verſchiedenheit, dennoch überhaupt „berrachtet in einer weſentlichen Gleichheit und Ver- „wandtſchaft ſtehen, ſo beſann man ſich, Weſen „von einer höhern Natur, die man wirklich zu ſeyn „glaubte, als Götter und Genios, oder ſolche die „man durch die Freyheit der Dichter zu Weſen er- „ſchuf, als die Tugenden, die Kräfte der Seele, „das Glück, die Gelegenheit ꝛc. in die Erzehlung „einzuführen; vornehmlich aber nahm man ſich die „Freyheit heraus, die Thiere, die Pflanzen, und „noch geringere Weſen, nehmlich die lebloſen Ge-
„ſchöpfe,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><cit><quote><pbfacs="#f0196"n="176"/>„unerwarteten Ausgange einer Sache: Weil aber<lb/>„dergleichen wunderbare Handlungen in dem ge-<lb/>„meinen Leben der Menſchen etwas ungewohntes<lb/>„und ſeltenes ſind; da hingegen die meiſten gewöhn-<lb/>„lichen Handlungen gar nichts ungemeines oder<lb/>„merkwürdiges an ſich haben; ſo ſah man ſich ge-<lb/>„müſſiget, damit die Erzehlung als der Körper<lb/>„der Fabel, nicht verächtlich würde, derſelben<lb/>„durch die Veränderung und Verwandlung der<lb/>„Perſonen, einen angenehmen Schein des Wun-<lb/>„derbaren mitzutheilen. Da nun die Menſchen,<lb/>„bey aller ihrer Verſchiedenheit, dennoch überhaupt<lb/>„berrachtet in einer weſentlichen Gleichheit und Ver-<lb/>„wandtſchaft ſtehen, ſo beſann man ſich, Weſen<lb/>„von einer höhern Natur, die man wirklich zu ſeyn<lb/>„glaubte, als Götter und Genios, oder ſolche die<lb/>„man durch die Freyheit der Dichter zu Weſen er-<lb/>„ſchuf, als die Tugenden, die Kräfte der Seele,<lb/>„das Glück, die Gelegenheit ꝛc. in die Erzehlung<lb/>„einzuführen; vornehmlich aber nahm man ſich die<lb/>„Freyheit heraus, die Thiere, die Pflanzen, und<lb/>„noch geringere Weſen, nehmlich die lebloſen Ge-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">„ſchöpfe,</fw><lb/></quote></cit></div></div></body></text></TEI>
[176/0196]
„unerwarteten Ausgange einer Sache: Weil aber
„dergleichen wunderbare Handlungen in dem ge-
„meinen Leben der Menſchen etwas ungewohntes
„und ſeltenes ſind; da hingegen die meiſten gewöhn-
„lichen Handlungen gar nichts ungemeines oder
„merkwürdiges an ſich haben; ſo ſah man ſich ge-
„müſſiget, damit die Erzehlung als der Körper
„der Fabel, nicht verächtlich würde, derſelben
„durch die Veränderung und Verwandlung der
„Perſonen, einen angenehmen Schein des Wun-
„derbaren mitzutheilen. Da nun die Menſchen,
„bey aller ihrer Verſchiedenheit, dennoch überhaupt
„berrachtet in einer weſentlichen Gleichheit und Ver-
„wandtſchaft ſtehen, ſo beſann man ſich, Weſen
„von einer höhern Natur, die man wirklich zu ſeyn
„glaubte, als Götter und Genios, oder ſolche die
„man durch die Freyheit der Dichter zu Weſen er-
„ſchuf, als die Tugenden, die Kräfte der Seele,
„das Glück, die Gelegenheit ꝛc. in die Erzehlung
„einzuführen; vornehmlich aber nahm man ſich die
„Freyheit heraus, die Thiere, die Pflanzen, und
„noch geringere Weſen, nehmlich die lebloſen Ge-
„ſchöpfe,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/196>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.