fer und der Wolf*: lauter Fabeln, die nach der gemeinen Eintheilung unter die sittlichen und ver- mischten, nach der verbesserten aber unter die ver- nünftigen gehören.
Und nun? Werde ich es bey dieser Eintheilung unsers Weltweisen können bewenden lassen? Ich weis nicht. Wider ihre logicalische Richtigkeit habe ich nichts zu erinnern; sie erschöpft alles, was sie erschöpfen soll. Aber man kann ein guter Dia- lektiker seyn, ohne ein Mann von Geschmack zu seyn; und das letzte war Wolf, leider, wohl nicht. Wie, wenn es auch ihm hier so gegangen wäre, als er es von dem Aphthonius vermuthet, daß er zwar richtig gedacht, aber sich nicht so vollkommen gut aus- gedruckt hätte, als es besonders die Kunstrichter wohl verlangen dürften? Er redet von Fabeln, in wel- chen den Subjecten Leidenschaften und Handlungen, überhaupt Prädicate, beygelegt werden, deren sie nicht fähig sind, die ihnen nicht zukommen. Die- ses nicht zu kommen, kann einen übeln Verstand machen. Der Dichter, kann man daraus schlies-
sen,
*Fab. Aesop. 71.
N 4
fer und der Wolf*: lauter Fabeln, die nach der gemeinen Eintheilung unter die ſittlichen und ver- miſchten, nach der verbeſſerten aber unter die ver- nünftigen gehören.
Und nun? Werde ich es bey dieſer Eintheilung unſers Weltweiſen können bewenden laſſen? Ich weis nicht. Wider ihre logicaliſche Richtigkeit habe ich nichts zu erinnern; ſie erſchöpft alles, was ſie erſchöpfen ſoll. Aber man kann ein guter Dia- lektiker ſeyn, ohne ein Mann von Geſchmack zu ſeyn; und das letzte war Wolf, leider, wohl nicht. Wie, wenn es auch ihm hier ſo gegangen wäre, als er es von dem Aphthonius vermuthet, daß er zwar richtig gedacht, aber ſich nicht ſo vollkommen gut aus- gedruckt hätte, als es beſonders die Kunſtrichter wohl verlangen dürften? Er redet von Fabeln, in wel- chen den Subjecten Leidenſchaften und Handlungen, überhaupt Prädicate, beygelegt werden, deren ſie nicht fähig ſind, die ihnen nicht zukommen. Die- ſes nicht zu kommen, kann einen übeln Verſtand machen. Der Dichter, kann man daraus ſchlieſ-
ſen,
*Fab. Aeſop. 71.
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fer und der Wolf *: lauter Fabeln, die nach der
gemeinen Eintheilung unter die ſittlichen und ver-
miſchten, nach der verbeſſerten aber unter die ver-
nünftigen gehören.
Und nun? Werde ich es bey dieſer Eintheilung
unſers Weltweiſen können bewenden laſſen? Ich
weis nicht. Wider ihre logicaliſche Richtigkeit habe
ich nichts zu erinnern; ſie erſchöpft alles, was ſie
erſchöpfen ſoll. Aber man kann ein guter Dia-
lektiker ſeyn, ohne ein Mann von Geſchmack zu
ſeyn; und das letzte war Wolf, leider, wohl nicht.
Wie, wenn es auch ihm hier ſo gegangen wäre, als
er es von dem Aphthonius vermuthet, daß er zwar
richtig gedacht, aber ſich nicht ſo vollkommen gut aus-
gedruckt hätte, als es beſonders die Kunſtrichter wohl
verlangen dürften? Er redet von Fabeln, in wel-
chen den Subjecten Leidenſchaften und Handlungen,
überhaupt Prädicate, beygelegt werden, deren ſie
nicht fähig ſind, die ihnen nicht zukommen. Die-
ſes nicht zu kommen, kann einen übeln Verſtand
machen. Der Dichter, kann man daraus ſchlieſ-
ſen,
* Fab. Aeſop. 71.
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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/219>, abgerufen am 16.02.2025.
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