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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

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Zeugniß des Quintilians, und würde sich wegen
jener sehr schlecht auf ihn berufen haben, weil man
jenen Ausspruch nirgend bey ihm findet.

Ich komme auf die Sache selbst zurück. Der
allgemeine Beyfall, den la Fontaine mit seiner
muntern Art zu erzehlen erhielt, machte, daß man
nach und nach die aesopische Fabel von einer ganz
andern Seite betrachtete, als sie die Alten betrach-
tet hatten. Bey den Alten gehörte die Fabel zu dem
Gebiethe der Philosophie, und aus diesem hohlten
sie die Lehrer der Redekunst in das ihrige herüber.
Aristoteles hat nicht in seiner Dichtkunst, sondern
in seiner Rhetorik davon gehandelt; und was Aph-
thonius
und Theon davon sagen, das sagen sie
gleichfalls in Vorübungen der Rhetorik. Auch
bey den Neuern muß man das, was man von der
aesopischen Fabel wissen will, durchaus in Rheto-
riken suchen; bis auf die Zeiten des la Fontaine.
Ihm gelang es die Fabel zu einem anmuthigen poe-
tischen Spielwerke zu machen; er bezauberte; er
bekam eine Menge Nachahmer, die den Namen
eines Dichters nicht wohlfeiler erhalten zu können

glaubten,

Zeugniß des Quintilians, und würde ſich wegen
jener ſehr ſchlecht auf ihn berufen haben, weil man
jenen Ausſpruch nirgend bey ihm findet.

Ich komme auf die Sache ſelbſt zurück. Der
allgemeine Beyfall, den la Fontaine mit ſeiner
muntern Art zu erzehlen erhielt, machte, daß man
nach und nach die aeſopiſche Fabel von einer ganz
andern Seite betrachtete, als ſie die Alten betrach-
tet hatten. Bey den Alten gehörte die Fabel zu dem
Gebiethe der Philoſophie, und aus dieſem hohlten
ſie die Lehrer der Redekunſt in das ihrige herüber.
Ariſtoteles hat nicht in ſeiner Dichtkunſt, ſondern
in ſeiner Rhetorik davon gehandelt; und was Aph-
thonius
und Theon davon ſagen, das ſagen ſie
gleichfalls in Vorübungen der Rhetorik. Auch
bey den Neuern muß man das, was man von der
aeſopiſchen Fabel wiſſen will, durchaus in Rheto-
riken ſuchen; bis auf die Zeiten des la Fontaine.
Ihm gelang es die Fabel zu einem anmuthigen poe-
tiſchen Spielwerke zu machen; er bezauberte; er
bekam eine Menge Nachahmer, die den Namen
eines Dichters nicht wohlfeiler erhalten zu können

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[222/0242] Zeugniß des Quintilians, und würde ſich wegen jener ſehr ſchlecht auf ihn berufen haben, weil man jenen Ausſpruch nirgend bey ihm findet. Ich komme auf die Sache ſelbſt zurück. Der allgemeine Beyfall, den la Fontaine mit ſeiner muntern Art zu erzehlen erhielt, machte, daß man nach und nach die aeſopiſche Fabel von einer ganz andern Seite betrachtete, als ſie die Alten betrach- tet hatten. Bey den Alten gehörte die Fabel zu dem Gebiethe der Philoſophie, und aus dieſem hohlten ſie die Lehrer der Redekunſt in das ihrige herüber. Ariſtoteles hat nicht in ſeiner Dichtkunſt, ſondern in ſeiner Rhetorik davon gehandelt; und was Aph- thonius und Theon davon ſagen, das ſagen ſie gleichfalls in Vorübungen der Rhetorik. Auch bey den Neuern muß man das, was man von der aeſopiſchen Fabel wiſſen will, durchaus in Rheto- riken ſuchen; bis auf die Zeiten des la Fontaine. Ihm gelang es die Fabel zu einem anmuthigen poe- tiſchen Spielwerke zu machen; er bezauberte; er bekam eine Menge Nachahmer, die den Namen eines Dichters nicht wohlfeiler erhalten zu können glaubten,

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/242>, abgerufen am 21.11.2024.