Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite


V.
Von einem besondern Nutzen der Fabeln in
den Schulen.

Ich will hier nicht von dem moralischen Nutzen der
Fabeln reden; er gehöret in die allgemeine prakti-
sche Philosophie: und würde ich mehr davon sagen
können, als Wolf gesagt hat? Noch weniger will
ich von dem geringern Nutzen itzt sprechen, den die
alten Rhetores in ihren Vorübungen von den Fabeln
zogen; indem sie ihren Schülern aufgaben, bald eine
Fabel durch alle casus obliquos zu verändern, bald
sie zu erweitern, bald sie kürzer zusammenzuziehen etc.
Diese Uebung kann nicht anders als zum Nachtheil
der Fabel selbst vorgenommen werden; und da jede
kleine Geschichte eben so geschickt dazu ist, so weis
ich nicht warum man eben die Fabel dazu mißbrau-
chen muß, die sich, als Fabel, ganz gewiß nur auf
eine einzige Art gut erzehlen läßt.

Der Nutzen, den ich itzt mehr berühren als um-
ständlich erörten will, würde man den hevristi-
schen
Nutzen der Fabeln nennen können. -- War-
um fehlt es in allen Wissenschaften und Künsten so

sehr
P 5


V.
Von einem beſondern Nutzen der Fabeln in
den Schulen.

Ich will hier nicht von dem moraliſchen Nutzen der
Fabeln reden; er gehöret in die allgemeine prakti-
ſche Philoſophie: und würde ich mehr davon ſagen
können, als Wolf geſagt hat? Noch weniger will
ich von dem geringern Nutzen itzt ſprechen, den die
alten Rhetores in ihren Vorübungen von den Fabeln
zogen; indem ſie ihren Schülern aufgaben, bald eine
Fabel durch alle caſus obliquos zu verändern, bald
ſie zu erweitern, bald ſie kürzer zuſammenzuziehen ꝛc.
Dieſe Uebung kann nicht anders als zum Nachtheil
der Fabel ſelbſt vorgenommen werden; und da jede
kleine Geſchichte eben ſo geſchickt dazu iſt, ſo weis
ich nicht warum man eben die Fabel dazu mißbrau-
chen muß, die ſich, als Fabel, ganz gewiß nur auf
eine einzige Art gut erzehlen läßt.

Der Nutzen, den ich itzt mehr berühren als um-
ſtändlich erörten will, würde man den hevriſti-
ſchen
Nutzen der Fabeln nennen können. — War-
um fehlt es in allen Wiſſenſchaften und Künſten ſo

ſehr
P 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0253" n="[233]"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#aq">V.</hi><lb/>
Von einem be&#x017F;ondern Nutzen der Fabeln in<lb/>
den Schulen.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">I</hi>ch will hier nicht von dem morali&#x017F;chen Nutzen der<lb/>
Fabeln reden; er gehöret in die allgemeine prakti-<lb/>
&#x017F;che Philo&#x017F;ophie: und würde ich mehr davon &#x017F;agen<lb/>
können, als <hi rendition="#fr">Wolf</hi> ge&#x017F;agt hat? Noch weniger will<lb/>
ich von dem geringern Nutzen itzt &#x017F;prechen, den die<lb/>
alten Rhetores in ihren Vorübungen von den Fabeln<lb/>
zogen; indem &#x017F;ie ihren Schülern aufgaben, bald eine<lb/>
Fabel durch alle <hi rendition="#aq">ca&#x017F;us obliquos</hi> zu verändern, bald<lb/>
&#x017F;ie zu erweitern, bald &#x017F;ie kürzer zu&#x017F;ammenzuziehen &#xA75B;c.<lb/>
Die&#x017F;e Uebung kann nicht anders als zum Nachtheil<lb/>
der Fabel &#x017F;elb&#x017F;t vorgenommen werden; und da jede<lb/>
kleine Ge&#x017F;chichte eben &#x017F;o ge&#x017F;chickt dazu i&#x017F;t, &#x017F;o weis<lb/>
ich nicht warum man eben die Fabel dazu mißbrau-<lb/>
chen muß, die &#x017F;ich, als Fabel, ganz gewiß nur auf<lb/>
eine einzige Art <hi rendition="#fr">gut</hi> erzehlen läßt.</p><lb/>
          <p>Der Nutzen, den ich itzt mehr berühren als um-<lb/>
&#x017F;tändlich erörten will, würde man den <hi rendition="#fr">hevri&#x017F;ti-<lb/>
&#x017F;chen</hi> Nutzen der Fabeln nennen können. &#x2014; War-<lb/>
um fehlt es in allen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften und Kün&#x017F;ten &#x017F;o<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P 5</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ehr</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[233]/0253] V. Von einem beſondern Nutzen der Fabeln in den Schulen. Ich will hier nicht von dem moraliſchen Nutzen der Fabeln reden; er gehöret in die allgemeine prakti- ſche Philoſophie: und würde ich mehr davon ſagen können, als Wolf geſagt hat? Noch weniger will ich von dem geringern Nutzen itzt ſprechen, den die alten Rhetores in ihren Vorübungen von den Fabeln zogen; indem ſie ihren Schülern aufgaben, bald eine Fabel durch alle caſus obliquos zu verändern, bald ſie zu erweitern, bald ſie kürzer zuſammenzuziehen ꝛc. Dieſe Uebung kann nicht anders als zum Nachtheil der Fabel ſelbſt vorgenommen werden; und da jede kleine Geſchichte eben ſo geſchickt dazu iſt, ſo weis ich nicht warum man eben die Fabel dazu mißbrau- chen muß, die ſich, als Fabel, ganz gewiß nur auf eine einzige Art gut erzehlen läßt. Der Nutzen, den ich itzt mehr berühren als um- ſtändlich erörten will, würde man den hevriſti- ſchen Nutzen der Fabeln nennen können. — War- um fehlt es in allen Wiſſenſchaften und Künſten ſo ſehr P 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/253
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. [233]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/253>, abgerufen am 22.11.2024.