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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

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sehr an Erfindern und selbstdenkenden Köpfen? Diese
Frage wird am besten durch eine andre Frage be-
antwortet: Warum werden wir nicht besser erzo-
gen? Gott giebt uns die Seele; aber das Genie
müssen wir durch die Erziehung bekommen. Ein
Knabe, dessen gesammte Seelenkräfte man, so viel
als möglich, beständig in einerley Verhältnissen aus-
bildet und erweitert; den man angewöhnet, alles,
was er täglich zu seinem kleinen Wissen hinzulernt,
mit dem, was er gestern bereits wußte, in der Ge-
schwindigkeit zu vergleichen, und Acht zu haben, ob
er durch diese Vergleichung nicht von selbst auf
Dinge kömmt, die ihm noch nicht gesagt worden;
den man beständig aus einer Scienz in die andere
hinüber sehen läßt; den man lehret sich eben so leicht
von dem Besondern zu dem Allgemeinen zu erheben,
als von dem Allgemeinen zu dem Besondern sich
wieder herab zu lassen: Der Knabe wird ein Genie
werden, oder man kann nichts in der Welt werden.

Unter den Uebungen nun, die diesem allgemeinen
Plane zu Folge angestellet werden müßten, glaube
ich, würde die Erfindung aesopischer Fabeln eine
von denen seyn, die dem Alter eines Schülers am

aller

ſehr an Erfindern und ſelbſtdenkenden Köpfen? Dieſe
Frage wird am beſten durch eine andre Frage be-
antwortet: Warum werden wir nicht beſſer erzo-
gen? Gott giebt uns die Seele; aber das Genie
müſſen wir durch die Erziehung bekommen. Ein
Knabe, deſſen geſammte Seelenkräfte man, ſo viel
als möglich, beſtändig in einerley Verhältniſſen aus-
bildet und erweitert; den man angewöhnet, alles,
was er täglich zu ſeinem kleinen Wiſſen hinzulernt,
mit dem, was er geſtern bereits wußte, in der Ge-
ſchwindigkeit zu vergleichen, und Acht zu haben, ob
er durch dieſe Vergleichung nicht von ſelbſt auf
Dinge kömmt, die ihm noch nicht geſagt worden;
den man beſtändig aus einer Scienz in die andere
hinüber ſehen läßt; den man lehret ſich eben ſo leicht
von dem Beſondern zu dem Allgemeinen zu erheben,
als von dem Allgemeinen zu dem Beſondern ſich
wieder herab zu laſſen: Der Knabe wird ein Genie
werden, oder man kann nichts in der Welt werden.

Unter den Uebungen nun, die dieſem allgemeinen
Plane zu Folge angeſtellet werden müßten, glaube
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von denen ſeyn, die dem Alter eines Schülers am

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[234/0254] ſehr an Erfindern und ſelbſtdenkenden Köpfen? Dieſe Frage wird am beſten durch eine andre Frage be- antwortet: Warum werden wir nicht beſſer erzo- gen? Gott giebt uns die Seele; aber das Genie müſſen wir durch die Erziehung bekommen. Ein Knabe, deſſen geſammte Seelenkräfte man, ſo viel als möglich, beſtändig in einerley Verhältniſſen aus- bildet und erweitert; den man angewöhnet, alles, was er täglich zu ſeinem kleinen Wiſſen hinzulernt, mit dem, was er geſtern bereits wußte, in der Ge- ſchwindigkeit zu vergleichen, und Acht zu haben, ob er durch dieſe Vergleichung nicht von ſelbſt auf Dinge kömmt, die ihm noch nicht geſagt worden; den man beſtändig aus einer Scienz in die andere hinüber ſehen läßt; den man lehret ſich eben ſo leicht von dem Beſondern zu dem Allgemeinen zu erheben, als von dem Allgemeinen zu dem Beſondern ſich wieder herab zu laſſen: Der Knabe wird ein Genie werden, oder man kann nichts in der Welt werden. Unter den Uebungen nun, die dieſem allgemeinen Plane zu Folge angeſtellet werden müßten, glaube ich, würde die Erfindung aeſopiſcher Fabeln eine von denen ſeyn, die dem Alter eines Schülers am aller

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/254>, abgerufen am 22.11.2024.