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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.

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Geschichte des dritten Bischof Alberts, eilftes Jahr, von 1208 bis 1209.
1208Anno 1322 bey der Belehnung des Rügischen Fürsten Witzlaw, der schriftlich beym
Pontanus libr. 7. p. 432. bekennet, er habe von ihm seine Länder, nach gethanem
Eide, durch das Lehnsrecht, welches Fahnelehn genant wird, in Besitz überkommen.
Daß Albert die Kunst zu herrschen verstanden, zeigen seine Geschichte überflüßig; in
welchen nichts ansehnlicher herauskomt, als dieser Aufzug, worüber ein jeder urtheilen
kan, als er wil. Den meisten möchte es scheinen, als habe er den Namen der Drey-
einigkeit zum Deckmantel seiner Affecten und dazu die drey Fahnen als Vorstellungszei-
chen gebrauchet, bey Belehnung eines Schlosses, wozu auch eine Fahne genug gewe-
sen. Es ist unser Werk nicht, über Bischöfe zu urtheilen, da sie öfters von vielen, viel
und manchmal auch ohne Grund gerichtet werden. Ein gewisser Geistlicher zu Paris
sprach vor etlichen Jahren (das ist Anno 1222 geschrieben,) ein entsetzlich Wort gegen
die Bischöfe, und sagte: Alles kan ich glauben; aber kaum kan ich glauben, daß je-
mals ein deutscher Bischof in Himmel kommen kan. Warum hat er wol die Bischöfe
in Deutschland härter beurtheilt, als die in Frankreich, Engeland, der Lombar-
dey
oder Toscana? Weil fast alle Bischöfe in Deutschland ein doppelt Schwerdt
haben, das geistliche nemlich und das weltliche, und weil sie Blutgerichte halten und
Kriege führen, so müssen sie wol mehr für der Soldaten Lehnung, als das Heil der ih-
nen anvertrauten Seelen bekümmert seyn. Das sage ich nicht, sondern Cäsarius von
Heisterbach memorabil. libr. 2. c. 28, damit man sehen möge, daß Albert in Wer-
bung der Soldaten, in Vermehrung seiner Clienten, in Führung der Kriege, in Aus-
breitung seiner Länder und Religion nichts gethan habe, so wider die Gewohnheit da-
maliger Zeiten streite. Jch sähe lieber, unser Verfasser hätte nicht damit hinterm Ber-
ge gehalten, mit welchen Ceremonien der Bischof Liefland vom Reich erhalten, durch
eine Fahne oder mehrere; durchs Scepter oder durchs Schwerdt. Nun hält uns das
tiefe Stilschweigen hievon in dem Argwohn, daß von dieser kaiserlichen Belehnung un-
ter den Bedienten des Bischofs mehr Aufhebens gemacht worden, als wahr ist.
§. 5.

Nachdem nun der Friede zu Ende ging, den man mit den Unganniern
geschlossen hatte, berief Bertold, Bruder der Ritterschaft in Wenden, Rus-
sinen
mit seinen Letten zu sich, und zog mit andern Letten von Antine
und mit seinen Wenden nach Ungannien. Sie trafen da Leute in ihren
Dörfern an, die noch nicht nach dem Schlosse geflüchtet waren; von denen sie
viele todt schlugen auf allen Dörfern, zu denen sie kommen konten. Da sie nun
viele nieder- und etliche zu Gefangenen gemacht, bekamen sie grosse Beute, führ-
ten die Weiber und Mädgen mit sich weg, und liessen die Dörfer gleichsam leer ste-
hen. Nach grossem Morden, Sengen und Brennen, kehrten sie wieder in ihr Eigen-
thum. Wie die Liven von Thoreida dieses hörten, welche ihre treulosen An-
schläge, die sie mit den Esthen pflegten, allezeit heimlich gehalten, wurden sie
unwillig, daß Bertold von Wenden mit den Letten den Krieg gegen die
Esthen von neuem anfing, und gaben dem Bischof ein, Boten um Friede nach
Ungannien abzufertigen. Der Bischof schickte auch den Priester Alobrand
nach Odempe, sowol den Frieden zu erneuern, als die Güter der Kaufleute
wieder zu fordern. Als die Esthen in ganz Ungannien erfuhren, daß des Bi-
schofs Gesandten angekommen, erschienen sie an beliebigem Orte. Hierauf that
Alobrand seinen Mund auf, und lehrte ihnen den Glauben an Christum. Die
Esthen, so dieses hörten, ranten mit Schwerdtern und Lanzen auf ihn zu, ihn
umzubringen. Einige aber der Landesältesten nahmen sich seiner an, und sprachen:
Wenn wir diesen Gesandten des Bischofs tödten, wer wird uns nachher glauben,
oder einen Gesandten schicken? Doch sie wolten die Worte des Heils nicht hören,
und schickten Alobranden an den Bischof zurück, gaben auch Männer mit, Friede
mit ihnen zu schliessen. Also ward Friede gemacht mit den Liven und Letten des
Bischofs auf der einen Seite der Goiwe: Bertold aber von Wenden und
Rußin mit seinen Letten wolten den Frieden nicht annehmen, und machten sich
zum Streit fertig.

Des
Geſchichte des dritten Biſchof Alberts, eilftes Jahr, von 1208 bis 1209.
1208Anno 1322 bey der Belehnung des Ruͤgiſchen Fuͤrſten Witzlaw, der ſchriftlich beym
Pontanus libr. 7. p. 432. bekennet, er habe von ihm ſeine Laͤnder, nach gethanem
Eide, durch das Lehnsrecht, welches Fahnelehn genant wird, in Beſitz uͤberkommen.
Daß Albert die Kunſt zu herrſchen verſtanden, zeigen ſeine Geſchichte uͤberfluͤßig; in
welchen nichts anſehnlicher herauskomt, als dieſer Aufzug, woruͤber ein jeder urtheilen
kan, als er wil. Den meiſten moͤchte es ſcheinen, als habe er den Namen der Drey-
einigkeit zum Deckmantel ſeiner Affecten und dazu die drey Fahnen als Vorſtellungszei-
chen gebrauchet, bey Belehnung eines Schloſſes, wozu auch eine Fahne genug gewe-
ſen. Es iſt unſer Werk nicht, uͤber Biſchoͤfe zu urtheilen, da ſie oͤfters von vielen, viel
und manchmal auch ohne Grund gerichtet werden. Ein gewiſſer Geiſtlicher zu Paris
ſprach vor etlichen Jahren (das iſt Anno 1222 geſchrieben,) ein entſetzlich Wort gegen
die Biſchoͤfe, und ſagte: Alles kan ich glauben; aber kaum kan ich glauben, daß je-
mals ein deutſcher Biſchof in Himmel kommen kan. Warum hat er wol die Biſchoͤfe
in Deutſchland haͤrter beurtheilt, als die in Frankreich, Engeland, der Lombar-
dey
oder Toſcana? Weil faſt alle Biſchoͤfe in Deutſchland ein doppelt Schwerdt
haben, das geiſtliche nemlich und das weltliche, und weil ſie Blutgerichte halten und
Kriege fuͤhren, ſo muͤſſen ſie wol mehr fuͤr der Soldaten Lehnung, als das Heil der ih-
nen anvertrauten Seelen bekuͤmmert ſeyn. Das ſage ich nicht, ſondern Caͤſarius von
Heiſterbach memorabil. libr. 2. c. 28, damit man ſehen moͤge, daß Albert in Wer-
bung der Soldaten, in Vermehrung ſeiner Clienten, in Fuͤhrung der Kriege, in Aus-
breitung ſeiner Laͤnder und Religion nichts gethan habe, ſo wider die Gewohnheit da-
maliger Zeiten ſtreite. Jch ſaͤhe lieber, unſer Verfaſſer haͤtte nicht damit hinterm Ber-
ge gehalten, mit welchen Ceremonien der Biſchof Liefland vom Reich erhalten, durch
eine Fahne oder mehrere; durchs Scepter oder durchs Schwerdt. Nun haͤlt uns das
tiefe Stilſchweigen hievon in dem Argwohn, daß von dieſer kaiſerlichen Belehnung un-
ter den Bedienten des Biſchofs mehr Aufhebens gemacht worden, als wahr iſt.
§. 5.

Nachdem nun der Friede zu Ende ging, den man mit den Unganniern
geſchloſſen hatte, berief Bertold, Bruder der Ritterſchaft in Wenden, Ruſ-
ſinen
mit ſeinen Letten zu ſich, und zog mit andern Letten von Antine
und mit ſeinen Wenden nach Ungannien. Sie trafen da Leute in ihren
Doͤrfern an, die noch nicht nach dem Schloſſe gefluͤchtet waren; von denen ſie
viele todt ſchlugen auf allen Doͤrfern, zu denen ſie kommen konten. Da ſie nun
viele nieder- und etliche zu Gefangenen gemacht, bekamen ſie groſſe Beute, fuͤhr-
ten die Weiber und Maͤdgen mit ſich weg, und lieſſen die Doͤrfer gleichſam leer ſte-
hen. Nach groſſem Morden, Sengen und Brennen, kehrten ſie wieder in ihr Eigen-
thum. Wie die Liven von Thoreida dieſes hoͤrten, welche ihre treuloſen An-
ſchlaͤge, die ſie mit den Eſthen pflegten, allezeit heimlich gehalten, wurden ſie
unwillig, daß Bertold von Wenden mit den Letten den Krieg gegen die
Eſthen von neuem anfing, und gaben dem Biſchof ein, Boten um Friede nach
Ungannien abzufertigen. Der Biſchof ſchickte auch den Prieſter Alobrand
nach Odempe, ſowol den Frieden zu erneuern, als die Guͤter der Kaufleute
wieder zu fordern. Als die Eſthen in ganz Ungannien erfuhren, daß des Bi-
ſchofs Geſandten angekommen, erſchienen ſie an beliebigem Orte. Hierauf that
Alobrand ſeinen Mund auf, und lehrte ihnen den Glauben an Chriſtum. Die
Eſthen, ſo dieſes hoͤrten, ranten mit Schwerdtern und Lanzen auf ihn zu, ihn
umzubringen. Einige aber der Landesaͤlteſten nahmen ſich ſeiner an, und ſprachen:
Wenn wir dieſen Geſandten des Biſchofs toͤdten, wer wird uns nachher glauben,
oder einen Geſandten ſchicken? Doch ſie wolten die Worte des Heils nicht hoͤren,
und ſchickten Alobranden an den Biſchof zuruͤck, gaben auch Maͤnner mit, Friede
mit ihnen zu ſchlieſſen. Alſo ward Friede gemacht mit den Liven und Letten des
Biſchofs auf der einen Seite der Goiwe: Bertold aber von Wenden und
Rußin mit ſeinen Letten wolten den Frieden nicht annehmen, und machten ſich
zum Streit fertig.

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[76/0108] Geſchichte des dritten Biſchof Alberts, eilftes Jahr, von 1208 bis 1209. i⁾ Anno 1322 bey der Belehnung des Ruͤgiſchen Fuͤrſten Witzlaw, der ſchriftlich beym Pontanus libr. 7. p. 432. bekennet, er habe von ihm ſeine Laͤnder, nach gethanem Eide, durch das Lehnsrecht, welches Fahnelehn genant wird, in Beſitz uͤberkommen. Daß Albert die Kunſt zu herrſchen verſtanden, zeigen ſeine Geſchichte uͤberfluͤßig; in welchen nichts anſehnlicher herauskomt, als dieſer Aufzug, woruͤber ein jeder urtheilen kan, als er wil. Den meiſten moͤchte es ſcheinen, als habe er den Namen der Drey- einigkeit zum Deckmantel ſeiner Affecten und dazu die drey Fahnen als Vorſtellungszei- chen gebrauchet, bey Belehnung eines Schloſſes, wozu auch eine Fahne genug gewe- ſen. Es iſt unſer Werk nicht, uͤber Biſchoͤfe zu urtheilen, da ſie oͤfters von vielen, viel und manchmal auch ohne Grund gerichtet werden. Ein gewiſſer Geiſtlicher zu Paris ſprach vor etlichen Jahren (das iſt Anno 1222 geſchrieben,) ein entſetzlich Wort gegen die Biſchoͤfe, und ſagte: Alles kan ich glauben; aber kaum kan ich glauben, daß je- mals ein deutſcher Biſchof in Himmel kommen kan. Warum hat er wol die Biſchoͤfe in Deutſchland haͤrter beurtheilt, als die in Frankreich, Engeland, der Lombar- dey oder Toſcana? Weil faſt alle Biſchoͤfe in Deutſchland ein doppelt Schwerdt haben, das geiſtliche nemlich und das weltliche, und weil ſie Blutgerichte halten und Kriege fuͤhren, ſo muͤſſen ſie wol mehr fuͤr der Soldaten Lehnung, als das Heil der ih- nen anvertrauten Seelen bekuͤmmert ſeyn. Das ſage ich nicht, ſondern Caͤſarius von Heiſterbach memorabil. libr. 2. c. 28, damit man ſehen moͤge, daß Albert in Wer- bung der Soldaten, in Vermehrung ſeiner Clienten, in Fuͤhrung der Kriege, in Aus- breitung ſeiner Laͤnder und Religion nichts gethan habe, ſo wider die Gewohnheit da- maliger Zeiten ſtreite. Jch ſaͤhe lieber, unſer Verfaſſer haͤtte nicht damit hinterm Ber- ge gehalten, mit welchen Ceremonien der Biſchof Liefland vom Reich erhalten, durch eine Fahne oder mehrere; durchs Scepter oder durchs Schwerdt. Nun haͤlt uns das tiefe Stilſchweigen hievon in dem Argwohn, daß von dieſer kaiſerlichen Belehnung un- ter den Bedienten des Biſchofs mehr Aufhebens gemacht worden, als wahr iſt. §. 5. Nachdem nun der Friede zu Ende ging, den man mit den Unganniern geſchloſſen hatte, berief Bertold, Bruder der Ritterſchaft in Wenden, Ruſ- ſinen mit ſeinen Letten zu ſich, und zog mit andern Letten von Antine und mit ſeinen Wenden nach Ungannien. Sie trafen da Leute in ihren Doͤrfern an, die noch nicht nach dem Schloſſe gefluͤchtet waren; von denen ſie viele todt ſchlugen auf allen Doͤrfern, zu denen ſie kommen konten. Da ſie nun viele nieder- und etliche zu Gefangenen gemacht, bekamen ſie groſſe Beute, fuͤhr- ten die Weiber und Maͤdgen mit ſich weg, und lieſſen die Doͤrfer gleichſam leer ſte- hen. Nach groſſem Morden, Sengen und Brennen, kehrten ſie wieder in ihr Eigen- thum. Wie die Liven von Thoreida dieſes hoͤrten, welche ihre treuloſen An- ſchlaͤge, die ſie mit den Eſthen pflegten, allezeit heimlich gehalten, wurden ſie unwillig, daß Bertold von Wenden mit den Letten den Krieg gegen die Eſthen von neuem anfing, und gaben dem Biſchof ein, Boten um Friede nach Ungannien abzufertigen. Der Biſchof ſchickte auch den Prieſter Alobrand nach Odempe, ſowol den Frieden zu erneuern, als die Guͤter der Kaufleute wieder zu fordern. Als die Eſthen in ganz Ungannien erfuhren, daß des Bi- ſchofs Geſandten angekommen, erſchienen ſie an beliebigem Orte. Hierauf that Alobrand ſeinen Mund auf, und lehrte ihnen den Glauben an Chriſtum. Die Eſthen, ſo dieſes hoͤrten, ranten mit Schwerdtern und Lanzen auf ihn zu, ihn umzubringen. Einige aber der Landesaͤlteſten nahmen ſich ſeiner an, und ſprachen: Wenn wir dieſen Geſandten des Biſchofs toͤdten, wer wird uns nachher glauben, oder einen Geſandten ſchicken? Doch ſie wolten die Worte des Heils nicht hoͤren, und ſchickten Alobranden an den Biſchof zuruͤck, gaben auch Maͤnner mit, Friede mit ihnen zu ſchlieſſen. Alſo ward Friede gemacht mit den Liven und Letten des Biſchofs auf der einen Seite der Goiwe: Bertold aber von Wenden und Rußin mit ſeinen Letten wolten den Frieden nicht annehmen, und machten ſich zum Streit fertig. Des

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/108>, abgerufen am 21.11.2024.