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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.

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Geschichte des dritten Bischof Alberts, siebenzehntes Jahr,
1214und wir meinten ihren Händen nicht zu entrinnen. Einige von ihnen brachten
drey grosse Feuer herbey aus truckenem Holze, so sie mit Fett von Thieren ange-
brant, und auf das Gerüste etliche hohe Bäume gelegt hatten. Das erste Feuer,
so über alle andere wegbrante, ward auf die See getrieben und kam an uns; denn
der starke Südwind wehete es mit heftigem Blasen auf uns los. Die Esthen
auf ihren Raubschiffen fuhren um das Feuer herum, unterhielten es, und liessen
es gerade mitten auf unsere Kauffartheyflotte zu gehen. Die Schiffe waren nemlich
alle an einander gebunden, damit wir uns gegen die Feinde desto besser wehren
wolten; desto mehr aber besorgten wir, dem Feuer nicht entgehen zu können. Und
da schon diese Glut, die höher als unsere Schiffe war, mit ihren Flammen
über uns schlug, riefen wir den Bischof aus seiner Kajüte, in der er Tag und
Nacht betete. Er kam auch und sahe, daß wir keine Hülfe und Rath wusten, als
bey GOtt. Also hob er seine Augen und beyde Hände gen Himmel und betete,
von gegenwärtigem Feuer erlöset zu werden. Und wir sahens alle, und siehe! so-
gleich wandte sich der Südwind nach Osten, und der Ostwind drehete die Flag-
ge c), so auf dem Segel war, auf die andere Seite, hielt das Feuer von uns ab,
und trieb es ganz gelinde bey den Schiffen vorbey, hinter uns auf die See. Wir
lobten auch alle den HErrn, der so augenscheinlich uns von der gegenwärtigen
Feuersbrunst errettete. Hierauf trieben sie das andere und dritte Feuer auf uns,
gegen welches wir uns lange wehrten und mit Wassergiessen viel zu thun hatten;
bis es der Wind endlich auch von uns abtrieb. Jnzwischen ruderten einige Esthen
um uns herum, und verwundeten mit ihren Lanzen und Pfeilen viele unserer Leu-
te; andere ruderten wieder selbigen Weg um uns herum, und warfen Steine aus
ihren Patherellen auf uns. Wir hatten auch Angst sowol wegen des versperten
Hafens, als andern Kriegsungemachs. Demnach sprach Albert unser Stu-
cuante
d): Wenn ihr geduldig folgen wolt, so wird uns der HErr
aus gegenwärtigen Gefährlichkeiten heraus helfen.
Weil, sagte er,
unsere Schiffe nicht geladen, sondern leer sind, und eine mäßige Tiefe vor sie zu-
reichet: so können wir auf einem andern Wege auskommen, wenn ihr starken und
gewapneten Männer in die Boote tretet, die Anker aufziehet, sie (hinaus) nach
der Tiefe bringet, und mitten durch die Feinde wieder zu uns komt; die übrigen
mögen Taue an die Anker anbinden, die Fahrzeuge buxiren und nachkommen, bis
wir auf die hohe See gelangen. Wir gehorchten alle, und zogen an, bis wir nach
überstandenen Schwierigkeiten in die grosse und geraume See stachen. Die aber
auf den Booten die Anker lichteten, Ritter sowol als Knechte, stunden einen sehr
grausamen Anfal aus, denn sie wurden durch ihre Lanzen und Pfeile, wie auch
durch ihr Steinwerfen, hart verwundet. Endlich ergriffen sie ein krummes Eisen,
oder einen eisernen Haken, so sie auf eins der Kaperschiffe warfen und es damit
an sich ziehen wolten. Sie trafen auch eines, und dachten es her zu ziehen. Al-
lein die Esthen ruderten brav zu und entkamen ihnen, denn sie hatten andere
Raubschiffe, die sich zu ihnen schlugen. Und da nun eben auf diese Stunde das
Gebet des Bischofs an die heilige Jungfrau einfiel: Zeige, daß du eine Mut-
ter seyst; Zeige, daß du eine Mutter seyst:
so zeigte sie auch in der That,
sie sey Mutter. Denn dieses entkommene Raubschif, so groß und mit vielem Volk
besetzt war, fuhr mit heftigem Krachen über ein anders, daß es mit starkem Knall
mitten entzwey ging und sich vol Wasser schöpfte. Die Mannschaft fiel ins Meer,
sank unter, und alle andere wurden zu Schande. Da sie nun sahen, daß wir die
tiefe See schon erreichet, so versamleten sich alle am Strande. Es waren ihrer
aber viele tausend, die sowol zu Pferde, als zu Fusse, sich aus ganz Esthland auf
fast zweyhundert Raubschiffen aufgemacht hatten. Sie liessen also ihren Zorn ge-
gen einander unter sich aus, mit grossem Geschrey und auch wol mit Prügeln, weil
sie mit einer zweywöchentlichen Arbeit nichts ausgerichtet, überdem viele der ihrigen
im Wasser ersoffen, und noch mehrere durch unsere Steinschleuderer kaput gegangen
waren. Sie zogen also ihre Segel auf, wurden aber auf dem Meer zerstreuet, und

jeglicher

Geſchichte des dritten Biſchof Alberts, ſiebenzehntes Jahr,
1214und wir meinten ihren Haͤnden nicht zu entrinnen. Einige von ihnen brachten
drey groſſe Feuer herbey aus truckenem Holze, ſo ſie mit Fett von Thieren ange-
brant, und auf das Geruͤſte etliche hohe Baͤume gelegt hatten. Das erſte Feuer,
ſo uͤber alle andere wegbrante, ward auf die See getrieben und kam an uns; denn
der ſtarke Suͤdwind wehete es mit heftigem Blaſen auf uns los. Die Eſthen
auf ihren Raubſchiffen fuhren um das Feuer herum, unterhielten es, und lieſſen
es gerade mitten auf unſere Kauffartheyflotte zu gehen. Die Schiffe waren nemlich
alle an einander gebunden, damit wir uns gegen die Feinde deſto beſſer wehren
wolten; deſto mehr aber beſorgten wir, dem Feuer nicht entgehen zu koͤnnen. Und
da ſchon dieſe Glut, die hoͤher als unſere Schiffe war, mit ihren Flammen
uͤber uns ſchlug, riefen wir den Biſchof aus ſeiner Kajuͤte, in der er Tag und
Nacht betete. Er kam auch und ſahe, daß wir keine Huͤlfe und Rath wuſten, als
bey GOtt. Alſo hob er ſeine Augen und beyde Haͤnde gen Himmel und betete,
von gegenwaͤrtigem Feuer erloͤſet zu werden. Und wir ſahens alle, und ſiehe! ſo-
gleich wandte ſich der Suͤdwind nach Oſten, und der Oſtwind drehete die Flag-
ge c), ſo auf dem Segel war, auf die andere Seite, hielt das Feuer von uns ab,
und trieb es ganz gelinde bey den Schiffen vorbey, hinter uns auf die See. Wir
lobten auch alle den HErrn, der ſo augenſcheinlich uns von der gegenwaͤrtigen
Feuersbrunſt errettete. Hierauf trieben ſie das andere und dritte Feuer auf uns,
gegen welches wir uns lange wehrten und mit Waſſergieſſen viel zu thun hatten;
bis es der Wind endlich auch von uns abtrieb. Jnzwiſchen ruderten einige Eſthen
um uns herum, und verwundeten mit ihren Lanzen und Pfeilen viele unſerer Leu-
te; andere ruderten wieder ſelbigen Weg um uns herum, und warfen Steine aus
ihren Patherellen auf uns. Wir hatten auch Angſt ſowol wegen des verſperten
Hafens, als andern Kriegsungemachs. Demnach ſprach Albert unſer Stu-
cuante
d): Wenn ihr geduldig folgen wolt, ſo wird uns der HErr
aus gegenwaͤrtigen Gefaͤhrlichkeiten heraus helfen.
Weil, ſagte er,
unſere Schiffe nicht geladen, ſondern leer ſind, und eine maͤßige Tiefe vor ſie zu-
reichet: ſo koͤnnen wir auf einem andern Wege auskommen, wenn ihr ſtarken und
gewapneten Maͤnner in die Boote tretet, die Anker aufziehet, ſie (hinaus) nach
der Tiefe bringet, und mitten durch die Feinde wieder zu uns komt; die uͤbrigen
moͤgen Taue an die Anker anbinden, die Fahrzeuge buxiren und nachkommen, bis
wir auf die hohe See gelangen. Wir gehorchten alle, und zogen an, bis wir nach
uͤberſtandenen Schwierigkeiten in die groſſe und geraume See ſtachen. Die aber
auf den Booten die Anker lichteten, Ritter ſowol als Knechte, ſtunden einen ſehr
grauſamen Anfal aus, denn ſie wurden durch ihre Lanzen und Pfeile, wie auch
durch ihr Steinwerfen, hart verwundet. Endlich ergriffen ſie ein krummes Eiſen,
oder einen eiſernen Haken, ſo ſie auf eins der Kaperſchiffe warfen und es damit
an ſich ziehen wolten. Sie trafen auch eines, und dachten es her zu ziehen. Al-
lein die Eſthen ruderten brav zu und entkamen ihnen, denn ſie hatten andere
Raubſchiffe, die ſich zu ihnen ſchlugen. Und da nun eben auf dieſe Stunde das
Gebet des Biſchofs an die heilige Jungfrau einfiel: Zeige, daß du eine Mut-
ter ſeyſt; Zeige, daß du eine Mutter ſeyſt:
ſo zeigte ſie auch in der That,
ſie ſey Mutter. Denn dieſes entkommene Raubſchif, ſo groß und mit vielem Volk
beſetzt war, fuhr mit heftigem Krachen uͤber ein anders, daß es mit ſtarkem Knall
mitten entzwey ging und ſich vol Waſſer ſchoͤpfte. Die Mannſchaft fiel ins Meer,
ſank unter, und alle andere wurden zu Schande. Da ſie nun ſahen, daß wir die
tiefe See ſchon erreichet, ſo verſamleten ſich alle am Strande. Es waren ihrer
aber viele tauſend, die ſowol zu Pferde, als zu Fuſſe, ſich aus ganz Eſthland auf
faſt zweyhundert Raubſchiffen aufgemacht hatten. Sie lieſſen alſo ihren Zorn ge-
gen einander unter ſich aus, mit groſſem Geſchrey und auch wol mit Pruͤgeln, weil
ſie mit einer zweywoͤchentlichen Arbeit nichts ausgerichtet, uͤberdem viele der ihrigen
im Waſſer erſoffen, und noch mehrere durch unſere Steinſchleuderer kaput gegangen
waren. Sie zogen alſo ihre Segel auf, wurden aber auf dem Meer zerſtreuet, und

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[116/0148] Geſchichte des dritten Biſchof Alberts, ſiebenzehntes Jahr, und wir meinten ihren Haͤnden nicht zu entrinnen. Einige von ihnen brachten drey groſſe Feuer herbey aus truckenem Holze, ſo ſie mit Fett von Thieren ange- brant, und auf das Geruͤſte etliche hohe Baͤume gelegt hatten. Das erſte Feuer, ſo uͤber alle andere wegbrante, ward auf die See getrieben und kam an uns; denn der ſtarke Suͤdwind wehete es mit heftigem Blaſen auf uns los. Die Eſthen auf ihren Raubſchiffen fuhren um das Feuer herum, unterhielten es, und lieſſen es gerade mitten auf unſere Kauffartheyflotte zu gehen. Die Schiffe waren nemlich alle an einander gebunden, damit wir uns gegen die Feinde deſto beſſer wehren wolten; deſto mehr aber beſorgten wir, dem Feuer nicht entgehen zu koͤnnen. Und da ſchon dieſe Glut, die hoͤher als unſere Schiffe war, mit ihren Flammen uͤber uns ſchlug, riefen wir den Biſchof aus ſeiner Kajuͤte, in der er Tag und Nacht betete. Er kam auch und ſahe, daß wir keine Huͤlfe und Rath wuſten, als bey GOtt. Alſo hob er ſeine Augen und beyde Haͤnde gen Himmel und betete, von gegenwaͤrtigem Feuer erloͤſet zu werden. Und wir ſahens alle, und ſiehe! ſo- gleich wandte ſich der Suͤdwind nach Oſten, und der Oſtwind drehete die Flag- ge c⁾ , ſo auf dem Segel war, auf die andere Seite, hielt das Feuer von uns ab, und trieb es ganz gelinde bey den Schiffen vorbey, hinter uns auf die See. Wir lobten auch alle den HErrn, der ſo augenſcheinlich uns von der gegenwaͤrtigen Feuersbrunſt errettete. Hierauf trieben ſie das andere und dritte Feuer auf uns, gegen welches wir uns lange wehrten und mit Waſſergieſſen viel zu thun hatten; bis es der Wind endlich auch von uns abtrieb. Jnzwiſchen ruderten einige Eſthen um uns herum, und verwundeten mit ihren Lanzen und Pfeilen viele unſerer Leu- te; andere ruderten wieder ſelbigen Weg um uns herum, und warfen Steine aus ihren Patherellen auf uns. Wir hatten auch Angſt ſowol wegen des verſperten Hafens, als andern Kriegsungemachs. Demnach ſprach Albert unſer Stu- cuante d⁾ : Wenn ihr geduldig folgen wolt, ſo wird uns der HErr aus gegenwaͤrtigen Gefaͤhrlichkeiten heraus helfen. Weil, ſagte er, unſere Schiffe nicht geladen, ſondern leer ſind, und eine maͤßige Tiefe vor ſie zu- reichet: ſo koͤnnen wir auf einem andern Wege auskommen, wenn ihr ſtarken und gewapneten Maͤnner in die Boote tretet, die Anker aufziehet, ſie (hinaus) nach der Tiefe bringet, und mitten durch die Feinde wieder zu uns komt; die uͤbrigen moͤgen Taue an die Anker anbinden, die Fahrzeuge buxiren und nachkommen, bis wir auf die hohe See gelangen. Wir gehorchten alle, und zogen an, bis wir nach uͤberſtandenen Schwierigkeiten in die groſſe und geraume See ſtachen. Die aber auf den Booten die Anker lichteten, Ritter ſowol als Knechte, ſtunden einen ſehr grauſamen Anfal aus, denn ſie wurden durch ihre Lanzen und Pfeile, wie auch durch ihr Steinwerfen, hart verwundet. Endlich ergriffen ſie ein krummes Eiſen, oder einen eiſernen Haken, ſo ſie auf eins der Kaperſchiffe warfen und es damit an ſich ziehen wolten. Sie trafen auch eines, und dachten es her zu ziehen. Al- lein die Eſthen ruderten brav zu und entkamen ihnen, denn ſie hatten andere Raubſchiffe, die ſich zu ihnen ſchlugen. Und da nun eben auf dieſe Stunde das Gebet des Biſchofs an die heilige Jungfrau einfiel: Zeige, daß du eine Mut- ter ſeyſt; Zeige, daß du eine Mutter ſeyſt: ſo zeigte ſie auch in der That, ſie ſey Mutter. Denn dieſes entkommene Raubſchif, ſo groß und mit vielem Volk beſetzt war, fuhr mit heftigem Krachen uͤber ein anders, daß es mit ſtarkem Knall mitten entzwey ging und ſich vol Waſſer ſchoͤpfte. Die Mannſchaft fiel ins Meer, ſank unter, und alle andere wurden zu Schande. Da ſie nun ſahen, daß wir die tiefe See ſchon erreichet, ſo verſamleten ſich alle am Strande. Es waren ihrer aber viele tauſend, die ſowol zu Pferde, als zu Fuſſe, ſich aus ganz Eſthland auf faſt zweyhundert Raubſchiffen aufgemacht hatten. Sie lieſſen alſo ihren Zorn ge- gen einander unter ſich aus, mit groſſem Geſchrey und auch wol mit Pruͤgeln, weil ſie mit einer zweywoͤchentlichen Arbeit nichts ausgerichtet, uͤberdem viele der ihrigen im Waſſer erſoffen, und noch mehrere durch unſere Steinſchleuderer kaput gegangen waren. Sie zogen alſo ihre Segel auf, wurden aber auf dem Meer zerſtreuet, und jeglicher 1214

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/148>, abgerufen am 24.11.2024.