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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.

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Geschichte des dritten Bischof Alberts, vier und zwanzigstes Jahr,
§. 6.
1221

Nach diesem gingen eben diese Saccalaner nach Gerwen, und griffen
daselbst einen Dänen, Hebbe, der ihr Advocat war; den führten sie mit den
andern Dänen in ihr Schloß, und quälten ihn und die andern mit einer grausa-
men Marter zu Tode. Sie zerfleischten ihnen die Gedärme, rissen des Hebbe
Herze lebendig aus dem Leibe heraus, brateten es am Feuer, theilten es unter
sich, frassens auf, um gegen die Christen stark zu werden, und warfen ihre Lei-
ber den Hunden und Vögeln des Himmels zu zerreissen vor.

§. 7.

Nach Volziehung einer so abscheulichen, verfluchten und treulosen That, sand-
ten die Schloßältesten von Viliende denselben Tag nach Odempe, und riethen
den Einwohnern, es eben so wie sie, zu machen. Sie überschickten auch denen in
Tharbat die blutigen Schwerdter, womit sie die Deutschen ermordet, nebst
ihren Pferden und Kleidern zum Zeichen. Diese nahmen das Wort mit Freuden
auf, überfielen die Brüder von der Ritterschaft, bunden sie, und schlugen ihren
gewesenen Advocaten, Johannes, und alle deren Knechte todt. Sie erschlugen
auch viel Kaufleute, die übrigen aber machten sich aus dem Staube und versteckten
sich, welche sie nachher doch in die Eisen legten. Sie raubten auch den Ordens-
brüdern und andern Deutschen und Kaufleuten alle ihr Vermögen, theilten es
unter sich, und liessen die Leiber der Getödteten auf den Feldern unbeerdiget lie-
gen, deren Seelen in Christo in Friede ruhen müssen. Zu der Zeit befand sich
eben in Tharbat bey den Ordensbrüdern ihr Mitbruder, der Priester Hard-
wich,
den sie auf den besten Mastochsen setzten, weil er selbst eben so dicke war.
Sie führten ihn zum Schlosse heraus, und erkundigten sich durchs Loos um den
Willen ihrer Götter, wen sie von beyden, den Priester oder den Ochsen
zum Opfer erwählen solten. Das Loos fiel auf den Ochsen, und er
ward den Augenblick geopfert. Den Priester aber erhielten sie nach dem Willen
ihrer Götzen am Leben, ausser daß er eine grosse Wunde bekam, die nachher ihm
wieder zugeheilet worden. Alsdenn breitete sich die Nachricht durch ganz Esth-
land
und Oesel aus, daß sie auf die Dänen und Deutschen losschlagen sol-
ten. Sie verbanneten also den Christlichen Namen aus allen ihren Grenzen.

§. 8.

Sie riefen aber die Russen, sowol von Nogardien als von Plescekowe,
zu Hülfe, machten Friede mit ihnen, und verlegten einige derselben nach Thar-
bat;
etliche nach Viliende, andere in andere Schlösser, damit sie gegen die
Deutschen, Lateiner und alle Christen streiten solten, theilten Pferde und
Geld mit ihnen, und alles Vermögen der Ordensbrüder und Kaufleute, und al-
les was sie geraubet hatten; bevestigten auch ihre Schlösser ungemein stark. Sie
baueten in allen Schlössern Patherellen, lehrten sich die Steinschleuderkunst unter
einander selbst, theilten auch die vielen von den Brüdern geraubten Steinschleude-
rer unter sich. Sie nahmen ausserdem ihre Weiber wieder an, die sie zur Zeit ih-
res Christenthums verstossen; die Leiber ihrer Verstorbenen, die sie auf dem
Kirchhof verscharret, gruben sie auf, und verbranten sie nach der alten heidni-
schen
Manier b), wuschen sich, ihre Häuser und Schlösser mit Wasser ab, fegten
sie mit Besemen und bemüheten sich auf die Art das Sacrament der heiligen Taufe
von ihren Grenzen gänzlich wieder auszutilgen.

b) Siehe, was wir beym Jahr 1207 not. g) gesaget. Die Sagä (fabelhaften Erzählun-
gen) der mitternächtigen Völker ermangeln des nöthigen Lichts aus der Zeitrechnung,
weil sie das, was niemals *) geschehen, zu keiner Zeit bringen konten; doch unterscheiden
*) Quia quae nunquam contigere, sol vielleicht heissen, quae vnquam, was sich nur irgend zugetragen,
konten sie die Zeit noch nicht bestimmen.
Geſchichte des dritten Biſchof Alberts, vier und zwanzigſtes Jahr,
§. 6.
1221

Nach dieſem gingen eben dieſe Saccalaner nach Gerwen, und griffen
daſelbſt einen Daͤnen, Hebbe, der ihr Advocat war; den fuͤhrten ſie mit den
andern Daͤnen in ihr Schloß, und quaͤlten ihn und die andern mit einer grauſa-
men Marter zu Tode. Sie zerfleiſchten ihnen die Gedaͤrme, riſſen des Hebbe
Herze lebendig aus dem Leibe heraus, brateten es am Feuer, theilten es unter
ſich, fraſſens auf, um gegen die Chriſten ſtark zu werden, und warfen ihre Lei-
ber den Hunden und Voͤgeln des Himmels zu zerreiſſen vor.

§. 7.

Nach Volziehung einer ſo abſcheulichen, verfluchten und treuloſen That, ſand-
ten die Schloßaͤlteſten von Viliende denſelben Tag nach Odempe, und riethen
den Einwohnern, es eben ſo wie ſie, zu machen. Sie uͤberſchickten auch denen in
Tharbat die blutigen Schwerdter, womit ſie die Deutſchen ermordet, nebſt
ihren Pferden und Kleidern zum Zeichen. Dieſe nahmen das Wort mit Freuden
auf, uͤberfielen die Bruͤder von der Ritterſchaft, bunden ſie, und ſchlugen ihren
geweſenen Advocaten, Johannes, und alle deren Knechte todt. Sie erſchlugen
auch viel Kaufleute, die uͤbrigen aber machten ſich aus dem Staube und verſteckten
ſich, welche ſie nachher doch in die Eiſen legten. Sie raubten auch den Ordens-
bruͤdern und andern Deutſchen und Kaufleuten alle ihr Vermoͤgen, theilten es
unter ſich, und lieſſen die Leiber der Getoͤdteten auf den Feldern unbeerdiget lie-
gen, deren Seelen in Chriſto in Friede ruhen muͤſſen. Zu der Zeit befand ſich
eben in Tharbat bey den Ordensbruͤdern ihr Mitbruder, der Prieſter Hard-
wich,
den ſie auf den beſten Maſtochſen ſetzten, weil er ſelbſt eben ſo dicke war.
Sie fuͤhrten ihn zum Schloſſe heraus, und erkundigten ſich durchs Loos um den
Willen ihrer Goͤtter, wen ſie von beyden, den Prieſter oder den Ochſen
zum Opfer erwaͤhlen ſolten. Das Loos fiel auf den Ochſen, und er
ward den Augenblick geopfert. Den Prieſter aber erhielten ſie nach dem Willen
ihrer Goͤtzen am Leben, auſſer daß er eine groſſe Wunde bekam, die nachher ihm
wieder zugeheilet worden. Alsdenn breitete ſich die Nachricht durch ganz Eſth-
land
und Oeſel aus, daß ſie auf die Daͤnen und Deutſchen losſchlagen ſol-
ten. Sie verbanneten alſo den Chriſtlichen Namen aus allen ihren Grenzen.

§. 8.

Sie riefen aber die Ruſſen, ſowol von Nogardien als von Pleſcekowe,
zu Huͤlfe, machten Friede mit ihnen, und verlegten einige derſelben nach Thar-
bat;
etliche nach Viliende, andere in andere Schloͤſſer, damit ſie gegen die
Deutſchen, Lateiner und alle Chriſten ſtreiten ſolten, theilten Pferde und
Geld mit ihnen, und alles Vermoͤgen der Ordensbruͤder und Kaufleute, und al-
les was ſie geraubet hatten; beveſtigten auch ihre Schloͤſſer ungemein ſtark. Sie
baueten in allen Schloͤſſern Patherellen, lehrten ſich die Steinſchleuderkunſt unter
einander ſelbſt, theilten auch die vielen von den Bruͤdern geraubten Steinſchleude-
rer unter ſich. Sie nahmen auſſerdem ihre Weiber wieder an, die ſie zur Zeit ih-
res Chriſtenthums verſtoſſen; die Leiber ihrer Verſtorbenen, die ſie auf dem
Kirchhof verſcharret, gruben ſie auf, und verbranten ſie nach der alten heidni-
ſchen
Manier b), wuſchen ſich, ihre Haͤuſer und Schloͤſſer mit Waſſer ab, fegten
ſie mit Beſemen und bemuͤheten ſich auf die Art das Sacrament der heiligen Taufe
von ihren Grenzen gaͤnzlich wieder auszutilgen.

b) Siehe, was wir beym Jahr 1207 not. g) geſaget. Die Sagaͤ (fabelhaften Erzaͤhlun-
gen) der mitternaͤchtigen Voͤlker ermangeln des noͤthigen Lichts aus der Zeitrechnung,
weil ſie das, was niemals *) geſchehen, zu keiner Zeit bringen konten; doch unterſcheiden
*) Quia quæ nunquam contigere, ſol vielleicht heiſſen, quæ vnquam, was ſich nur irgend zugetragen,
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[182/0214] Geſchichte des dritten Biſchof Alberts, vier und zwanzigſtes Jahr, §. 6. Nach dieſem gingen eben dieſe Saccalaner nach Gerwen, und griffen daſelbſt einen Daͤnen, Hebbe, der ihr Advocat war; den fuͤhrten ſie mit den andern Daͤnen in ihr Schloß, und quaͤlten ihn und die andern mit einer grauſa- men Marter zu Tode. Sie zerfleiſchten ihnen die Gedaͤrme, riſſen des Hebbe Herze lebendig aus dem Leibe heraus, brateten es am Feuer, theilten es unter ſich, fraſſens auf, um gegen die Chriſten ſtark zu werden, und warfen ihre Lei- ber den Hunden und Voͤgeln des Himmels zu zerreiſſen vor. §. 7. Nach Volziehung einer ſo abſcheulichen, verfluchten und treuloſen That, ſand- ten die Schloßaͤlteſten von Viliende denſelben Tag nach Odempe, und riethen den Einwohnern, es eben ſo wie ſie, zu machen. Sie uͤberſchickten auch denen in Tharbat die blutigen Schwerdter, womit ſie die Deutſchen ermordet, nebſt ihren Pferden und Kleidern zum Zeichen. Dieſe nahmen das Wort mit Freuden auf, uͤberfielen die Bruͤder von der Ritterſchaft, bunden ſie, und ſchlugen ihren geweſenen Advocaten, Johannes, und alle deren Knechte todt. Sie erſchlugen auch viel Kaufleute, die uͤbrigen aber machten ſich aus dem Staube und verſteckten ſich, welche ſie nachher doch in die Eiſen legten. Sie raubten auch den Ordens- bruͤdern und andern Deutſchen und Kaufleuten alle ihr Vermoͤgen, theilten es unter ſich, und lieſſen die Leiber der Getoͤdteten auf den Feldern unbeerdiget lie- gen, deren Seelen in Chriſto in Friede ruhen muͤſſen. Zu der Zeit befand ſich eben in Tharbat bey den Ordensbruͤdern ihr Mitbruder, der Prieſter Hard- wich, den ſie auf den beſten Maſtochſen ſetzten, weil er ſelbſt eben ſo dicke war. Sie fuͤhrten ihn zum Schloſſe heraus, und erkundigten ſich durchs Loos um den Willen ihrer Goͤtter, wen ſie von beyden, den Prieſter oder den Ochſen zum Opfer erwaͤhlen ſolten. Das Loos fiel auf den Ochſen, und er ward den Augenblick geopfert. Den Prieſter aber erhielten ſie nach dem Willen ihrer Goͤtzen am Leben, auſſer daß er eine groſſe Wunde bekam, die nachher ihm wieder zugeheilet worden. Alsdenn breitete ſich die Nachricht durch ganz Eſth- land und Oeſel aus, daß ſie auf die Daͤnen und Deutſchen losſchlagen ſol- ten. Sie verbanneten alſo den Chriſtlichen Namen aus allen ihren Grenzen. §. 8. Sie riefen aber die Ruſſen, ſowol von Nogardien als von Pleſcekowe, zu Huͤlfe, machten Friede mit ihnen, und verlegten einige derſelben nach Thar- bat; etliche nach Viliende, andere in andere Schloͤſſer, damit ſie gegen die Deutſchen, Lateiner und alle Chriſten ſtreiten ſolten, theilten Pferde und Geld mit ihnen, und alles Vermoͤgen der Ordensbruͤder und Kaufleute, und al- les was ſie geraubet hatten; beveſtigten auch ihre Schloͤſſer ungemein ſtark. Sie baueten in allen Schloͤſſern Patherellen, lehrten ſich die Steinſchleuderkunſt unter einander ſelbſt, theilten auch die vielen von den Bruͤdern geraubten Steinſchleude- rer unter ſich. Sie nahmen auſſerdem ihre Weiber wieder an, die ſie zur Zeit ih- res Chriſtenthums verſtoſſen; die Leiber ihrer Verſtorbenen, die ſie auf dem Kirchhof verſcharret, gruben ſie auf, und verbranten ſie nach der alten heidni- ſchen Manier b⁾ , wuſchen ſich, ihre Haͤuſer und Schloͤſſer mit Waſſer ab, fegten ſie mit Beſemen und bemuͤheten ſich auf die Art das Sacrament der heiligen Taufe von ihren Grenzen gaͤnzlich wieder auszutilgen. b⁾ Siehe, was wir beym Jahr 1207 not. g) geſaget. Die Sagaͤ (fabelhaften Erzaͤhlun- gen) der mitternaͤchtigen Voͤlker ermangeln des noͤthigen Lichts aus der Zeitrechnung, weil ſie das, was niemals *) geſchehen, zu keiner Zeit bringen konten; doch unterſcheiden ſie *) Quia quæ nunquam contigere, ſol vielleicht heiſſen, quæ vnquam, was ſich nur irgend zugetragen, konten ſie die Zeit noch nicht beſtimmen.

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/214>, abgerufen am 23.11.2024.