Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Leutwein, Lorenz Friedrich: Einladungsschrift bey dem feyerlichen Redeakt welcher den 19ten April in allhiesigem Gymnasio von dreyen Zöglingen welche Akademien beziehen wollen gehalten werden soll. Schwäbisch Hall, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

sie wollen, wenn sie zu lange in der Schule bleiben, kein Handwerk mehr ler-
nen ich brauche die Kinder zu Hause - Ausflüchte, Einwendungen, die
äußerst unerheblich und ungegründet sind. Sind dann diese Jünglinge, von
denen hier die Rede ist, schon so vollkommen, daß sie keines weitern Unter-
richts bedürfen? Wissen sie das, was sie erlernt haben, auch gründlich?
Ist nichts mehr zuzusetzen, weder an Beweisen, noch Erklärungen? Ist es
nicht bey diesem unreifen Alter, wo die Beurtheilungskraft noch gar nicht er-
wacht ist, nicht bloses Gedächtnißwerk? Wie soll wohl eine solche Kenntniß
Einfluß auf das Herz und Leben haben, je reifer das Alter, desto fähiger die
wichtigste Angelegenheit des Menschen, Religions-Unterricht gehörig und mit
Ueberzeugung zu fassen - Sie sind zu alt zum Handwerk, spricht man.
Also ist es besser unwissend zur Erlernung eines Handwerks zu kommen, wird
nicht derjenige Jüngling, der seine Schuljahre geendet hat, mit glücklicherm
Erfolge, und geschärfterem Verstande sein Metier erlernen, als ein solcher
dessen Verstand noch nicht aufgehellt ist? Dazu fodert auch die Aufklärung,
welche überall herrscht, auch von denen niedern Ständen mehr, als ehedem
erfodert wurde, und ein angesehener Bürger erscheint in einem sehr mißli-
chen Lichte, wenn er mit seiner Zeit nicht fortrückt, und bey der Unwissen-
heit seiner Großeltern verbleibt, die Professionen selbst werden nicht mehr
maschinenmäßig getrieben, sondern erfodern einen denkenden, sich an die
Lage der Dinge anschmiegenden Geist, wie kann aber dieser erhalten werden,
wenn der Jüngling nicht gehörig ausgebildet worden. Ist es einmahl wahr,
daß Eltern denen Kindern seinen bessern Reichthum, als einen ausgebildeten
Verstand hinterlassen können, und einen gebildeten Geist, so ist kein Zweifel,
daß man Kinder nicht zu lange in der Schule lassen kann, wo ihr Verstand
so wohl, als ihr Herz gebildet wird.

Eben so nachtheilig ist das zu frühzeitige Eilen auf die Akademien, bey
denen, welche sich denen Wissenschaften widmen wollen. Es ist zwar wahre Freu-
de für den Vater seinen Sohn bald in einem Amte zu sehen, wohl gar die
Wonne zu haben Enkel zu erblicken: allein kann diß wohl ein wahres Glück

seyn,
B

sie wollen, wenn sie zu lange in der Schule bleiben, kein Handwerk mehr ler-
nen ich brauche die Kinder zu Hause – Ausflüchte, Einwendungen, die
äußerst unerheblich und ungegründet sind. Sind dann diese Jünglinge, von
denen hier die Rede ist, schon so vollkommen, daß sie keines weitern Unter-
richts bedürfen? Wissen sie das, was sie erlernt haben, auch gründlich?
Ist nichts mehr zuzusetzen, weder an Beweisen, noch Erklärungen? Ist es
nicht bey diesem unreifen Alter, wo die Beurtheilungskraft noch gar nicht er-
wacht ist, nicht bloses Gedächtnißwerk? Wie soll wohl eine solche Kenntniß
Einfluß auf das Herz und Leben haben, je reifer das Alter, desto fähiger die
wichtigste Angelegenheit des Menschen, Religions-Unterricht gehörig und mit
Ueberzeugung zu fassen – Sie sind zu alt zum Handwerk, spricht man.
Also ist es besser unwissend zur Erlernung eines Handwerks zu kommen, wird
nicht derjenige Jüngling, der seine Schuljahre geendet hat, mit glücklicherm
Erfolge, und geschärfterem Verstande sein Metier erlernen, als ein solcher
dessen Verstand noch nicht aufgehellt ist? Dazu fodert auch die Aufklärung,
welche überall herrscht, auch von denen niedern Ständen mehr, als ehedem
erfodert wurde, und ein angesehener Bürger erscheint in einem sehr mißli-
chen Lichte, wenn er mit seiner Zeit nicht fortrückt, und bey der Unwissen-
heit seiner Großeltern verbleibt, die Professionen selbst werden nicht mehr
maschinenmäßig getrieben, sondern erfodern einen denkenden, sich an die
Lage der Dinge anschmiegenden Geist, wie kann aber dieser erhalten werden,
wenn der Jüngling nicht gehörig ausgebildet worden. Ist es einmahl wahr,
daß Eltern denen Kindern seinen bessern Reichthum, als einen ausgebildeten
Verstand hinterlassen können, und einen gebildeten Geist, so ist kein Zweifel,
daß man Kinder nicht zu lange in der Schule lassen kann, wo ihr Verstand
so wohl, als ihr Herz gebildet wird.

Eben so nachtheilig ist das zu frühzeitige Eilen auf die Akademien, bey
denen, welche sich denen Wissenschaften widmen wollen. Es ist zwar wahre Freu-
de für den Vater seinen Sohn bald in einem Amte zu sehen, wohl gar die
Wonne zu haben Enkel zu erblicken: allein kann diß wohl ein wahres Glück

seyn,
B
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0009" n="9"/>
sie wollen, wenn sie zu lange in der Schule bleiben, kein Handwerk mehr
 ler-<lb/>
nen ich brauche die Kinder zu Hause &#x2013; Ausflüchte, Einwendungen, die<lb/>
äußerst
 unerheblich und ungegründet sind. Sind dann diese Jünglinge, von<lb/>
denen hier die Rede ist, schon
 so vollkommen, daß sie keines weitern Unter-<lb/>
richts bedürfen? Wissen sie das, was sie erlernt
 haben, auch gründlich?<lb/>
Ist nichts mehr zuzusetzen, weder an Beweisen, noch Erklärungen? Ist
 es<lb/>
nicht bey diesem unreifen Alter, wo die Beurtheilungskraft noch gar nicht er-<lb/>
wacht
 ist, nicht bloses Gedächtnißwerk? Wie soll wohl eine solche Kenntniß<lb/>
Einfluß auf das Herz und
 Leben haben, je reifer das Alter, desto fähiger die<lb/>
wichtigste Angelegenheit des Menschen,
 Religions-Unterricht gehörig und mit<lb/>
Ueberzeugung zu fassen &#x2013; Sie sind zu alt zum
 Handwerk, spricht man.<lb/>
Also ist es besser unwissend zur Erlernung eines Handwerks zu kommen,
 wird<lb/>
nicht derjenige Jüngling, der seine Schuljahre geendet hat, mit glücklicherm<lb/>
Erfolge,
 und geschärfterem Verstande sein Metier erlernen, als ein solcher<lb/>
dessen Verstand noch nicht
 aufgehellt ist? Dazu fodert auch die Aufklärung,<lb/>
welche überall herrscht, auch von denen
 niedern Ständen mehr, als ehedem<lb/>
erfodert wurde, und ein angesehener Bürger erscheint in einem
 sehr mißli-<lb/>
chen Lichte, wenn er mit seiner Zeit nicht fortrückt, und bey der Unwissen-<lb/>
heit
     seiner Großeltern verbleibt, die Professionen selbst werden nicht mehr<lb/>
maschinenmäßig getrieben,
 sondern erfodern einen denkenden, sich an die<lb/>
Lage der Dinge anschmiegenden Geist, wie kann
 aber dieser erhalten werden,<lb/>
wenn der Jüngling nicht gehörig ausgebildet worden. Ist es einmahl
 wahr,<lb/>
daß Eltern denen Kindern seinen bessern Reichthum, als einen ausgebildeten<lb/>
Verstand
 hinterlassen können, und einen gebildeten Geist, so ist kein Zweifel,<lb/>
daß man Kinder nicht zu
 lange in der Schule lassen kann, wo ihr Verstand<lb/>
so wohl, als ihr Herz gebildet wird.</p>
        <p>Eben so nachtheilig ist das zu frühzeitige Eilen auf die Akademien, bey<lb/>
denen,
 welche sich denen Wissenschaften widmen wollen. Es ist zwar wahre Freu-<lb/>
de für den Vater seinen
 Sohn bald in einem Amte zu sehen, wohl gar die<lb/>
Wonne zu haben Enkel zu erblicken: allein kann
 diß wohl ein wahres Glück<lb/>
<fw type="sig" place="bottom">B</fw>
 <fw type="catch" place="bottom">seyn,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0009] sie wollen, wenn sie zu lange in der Schule bleiben, kein Handwerk mehr ler- nen ich brauche die Kinder zu Hause – Ausflüchte, Einwendungen, die äußerst unerheblich und ungegründet sind. Sind dann diese Jünglinge, von denen hier die Rede ist, schon so vollkommen, daß sie keines weitern Unter- richts bedürfen? Wissen sie das, was sie erlernt haben, auch gründlich? Ist nichts mehr zuzusetzen, weder an Beweisen, noch Erklärungen? Ist es nicht bey diesem unreifen Alter, wo die Beurtheilungskraft noch gar nicht er- wacht ist, nicht bloses Gedächtnißwerk? Wie soll wohl eine solche Kenntniß Einfluß auf das Herz und Leben haben, je reifer das Alter, desto fähiger die wichtigste Angelegenheit des Menschen, Religions-Unterricht gehörig und mit Ueberzeugung zu fassen – Sie sind zu alt zum Handwerk, spricht man. Also ist es besser unwissend zur Erlernung eines Handwerks zu kommen, wird nicht derjenige Jüngling, der seine Schuljahre geendet hat, mit glücklicherm Erfolge, und geschärfterem Verstande sein Metier erlernen, als ein solcher dessen Verstand noch nicht aufgehellt ist? Dazu fodert auch die Aufklärung, welche überall herrscht, auch von denen niedern Ständen mehr, als ehedem erfodert wurde, und ein angesehener Bürger erscheint in einem sehr mißli- chen Lichte, wenn er mit seiner Zeit nicht fortrückt, und bey der Unwissen- heit seiner Großeltern verbleibt, die Professionen selbst werden nicht mehr maschinenmäßig getrieben, sondern erfodern einen denkenden, sich an die Lage der Dinge anschmiegenden Geist, wie kann aber dieser erhalten werden, wenn der Jüngling nicht gehörig ausgebildet worden. Ist es einmahl wahr, daß Eltern denen Kindern seinen bessern Reichthum, als einen ausgebildeten Verstand hinterlassen können, und einen gebildeten Geist, so ist kein Zweifel, daß man Kinder nicht zu lange in der Schule lassen kann, wo ihr Verstand so wohl, als ihr Herz gebildet wird. Eben so nachtheilig ist das zu frühzeitige Eilen auf die Akademien, bey denen, welche sich denen Wissenschaften widmen wollen. Es ist zwar wahre Freu- de für den Vater seinen Sohn bald in einem Amte zu sehen, wohl gar die Wonne zu haben Enkel zu erblicken: allein kann diß wohl ein wahres Glück seyn, B

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Jurgita Baranauskaite, Thomas Gloning, Heike Müller, Justus-Liebig-Universität: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien, Konversion nach XML (2013-05-13T10:48:31Z)
Justus-Liebig-Universität Gießen: Bereitstellung der Bilddigitalisate durch Prof. Dr. Thomas Gloning (2013-06-10T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s wiedergegeben.
  • Ligaturen wurden bei der Transkription nicht erfasst.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/leutwein_einladungsschrift_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/leutwein_einladungsschrift_1797/9
Zitationshilfe: Leutwein, Lorenz Friedrich: Einladungsschrift bey dem feyerlichen Redeakt welcher den 19ten April in allhiesigem Gymnasio von dreyen Zöglingen welche Akademien beziehen wollen gehalten werden soll. Schwäbisch Hall, 1797, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leutwein_einladungsschrift_1797/9>, abgerufen am 21.11.2024.