Lewald, Fanny: Für und wider die Frauen. Berlin, 1870.Vor etwa fünfzehn oder sechszehn Jahren, als ich meinen Roman "Wandlungen" veröffentlicht hatte, ließen die Journale der Dichtung, die einen politischen Hintergrund hatte, wie denn im wahren Sinne des Wortes jede Lebensäußerung eines Volkes diesen Hintergrund hat und auf ihm beruht, mehr oder weniger Gerechtigkeit widerfahren, je nach ihrem Parteistandpunkte; aber man gab es mir doch von der und jener Seite zu bedenken, und ernstlich zu bedenken, "daß Politik nicht die Sache der Frau sei und daß eine Frau von Politik nichts verstehen könne". Natürlich habe ich nichts darauf erwidert, denn die Kritik, und namentlich die, die sich nicht nennt, ist stets unfehlbar. Aber ich habe mir doch in aller der mir zustehenden Bescheidenheit gesagt: Zugegeben, daß meine politische Einsicht nicht so groß ist, als die der königlichen Frauen, die das Regieren freilich auch nicht auf besonderen Universitäten erlernt hatten, so groß wie die Einsicht des Droschkenkutschers, des Stiefelputzers, des kleinen Bierwirthes oder des Schuhflickers, deren Tage in der immer gleichen Arbeit und deren Abende in dem Bierhause hingehen, bis sie eines schönen Morgens ihre Beschäftigung für drei Stunden liegen lassen, um an die Wahlurne zu treten, so groß ist meine Einsicht ganz gewiß. Und wenn ich dann die langen Register all der kleinen Beamten, kleinen Kaufleute und kleinen Gutsbesitzer, der Kreisschreiber, Kreisrichter und geistig niedergehaltenen Schullehrer und Dorfgeistlichen gelesen habe, Vor etwa fünfzehn oder sechszehn Jahren, als ich meinen Roman »Wandlungen« veröffentlicht hatte, ließen die Journale der Dichtung, die einen politischen Hintergrund hatte, wie denn im wahren Sinne des Wortes jede Lebensäußerung eines Volkes diesen Hintergrund hat und auf ihm beruht, mehr oder weniger Gerechtigkeit widerfahren, je nach ihrem Parteistandpunkte; aber man gab es mir doch von der und jener Seite zu bedenken, und ernstlich zu bedenken, »daß Politik nicht die Sache der Frau sei und daß eine Frau von Politik nichts verstehen könne«. Natürlich habe ich nichts darauf erwidert, denn die Kritik, und namentlich die, die sich nicht nennt, ist stets unfehlbar. Aber ich habe mir doch in aller der mir zustehenden Bescheidenheit gesagt: Zugegeben, daß meine politische Einsicht nicht so groß ist, als die der königlichen Frauen, die das Regieren freilich auch nicht auf besonderen Universitäten erlernt hatten, so groß wie die Einsicht des Droschkenkutschers, des Stiefelputzers, des kleinen Bierwirthes oder des Schuhflickers, deren Tage in der immer gleichen Arbeit und deren Abende in dem Bierhause hingehen, bis sie eines schönen Morgens ihre Beschäftigung für drei Stunden liegen lassen, um an die Wahlurne zu treten, so groß ist meine Einsicht ganz gewiß. Und wenn ich dann die langen Register all der kleinen Beamten, kleinen Kaufleute und kleinen Gutsbesitzer, der Kreisschreiber, Kreisrichter und geistig niedergehaltenen Schullehrer und Dorfgeistlichen gelesen habe, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0148" n="138"/> Vor etwa fünfzehn oder sechszehn Jahren, als ich meinen Roman »Wandlungen« veröffentlicht hatte, ließen die Journale der Dichtung, die einen politischen Hintergrund hatte, wie denn im wahren Sinne des Wortes jede Lebensäußerung eines Volkes diesen Hintergrund hat und auf ihm beruht, mehr oder weniger Gerechtigkeit widerfahren, je nach ihrem Parteistandpunkte; aber man gab es mir doch von der und jener Seite zu bedenken, und ernstlich zu bedenken, »daß Politik nicht die Sache der Frau sei und daß eine Frau von Politik nichts verstehen könne«. Natürlich habe ich nichts darauf erwidert, denn die Kritik, und namentlich die, die sich nicht nennt, ist stets unfehlbar. Aber ich habe mir doch in aller der mir zustehenden Bescheidenheit gesagt: Zugegeben, daß meine politische Einsicht nicht so groß ist, als die der königlichen Frauen, die das Regieren freilich auch nicht auf besonderen Universitäten erlernt hatten, so groß wie die Einsicht des Droschkenkutschers, des Stiefelputzers, des kleinen Bierwirthes oder des Schuhflickers, deren Tage in der immer gleichen Arbeit und deren Abende in dem Bierhause hingehen, bis sie eines schönen Morgens ihre Beschäftigung für drei Stunden liegen lassen, um an die Wahlurne zu treten, <hi rendition="#g">so groß</hi> ist meine Einsicht ganz gewiß. Und wenn ich dann die langen Register all der kleinen Beamten, kleinen Kaufleute und kleinen Gutsbesitzer, der Kreisschreiber, Kreisrichter und geistig niedergehaltenen Schullehrer und Dorfgeistlichen gelesen habe, </p> </div> </body> </text> </TEI> [138/0148]
Vor etwa fünfzehn oder sechszehn Jahren, als ich meinen Roman »Wandlungen« veröffentlicht hatte, ließen die Journale der Dichtung, die einen politischen Hintergrund hatte, wie denn im wahren Sinne des Wortes jede Lebensäußerung eines Volkes diesen Hintergrund hat und auf ihm beruht, mehr oder weniger Gerechtigkeit widerfahren, je nach ihrem Parteistandpunkte; aber man gab es mir doch von der und jener Seite zu bedenken, und ernstlich zu bedenken, »daß Politik nicht die Sache der Frau sei und daß eine Frau von Politik nichts verstehen könne«. Natürlich habe ich nichts darauf erwidert, denn die Kritik, und namentlich die, die sich nicht nennt, ist stets unfehlbar. Aber ich habe mir doch in aller der mir zustehenden Bescheidenheit gesagt: Zugegeben, daß meine politische Einsicht nicht so groß ist, als die der königlichen Frauen, die das Regieren freilich auch nicht auf besonderen Universitäten erlernt hatten, so groß wie die Einsicht des Droschkenkutschers, des Stiefelputzers, des kleinen Bierwirthes oder des Schuhflickers, deren Tage in der immer gleichen Arbeit und deren Abende in dem Bierhause hingehen, bis sie eines schönen Morgens ihre Beschäftigung für drei Stunden liegen lassen, um an die Wahlurne zu treten, so groß ist meine Einsicht ganz gewiß. Und wenn ich dann die langen Register all der kleinen Beamten, kleinen Kaufleute und kleinen Gutsbesitzer, der Kreisschreiber, Kreisrichter und geistig niedergehaltenen Schullehrer und Dorfgeistlichen gelesen habe,
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