glaube aber, daß es dem reinen Sinn eines unverdorbenen Mädchens eigen ist, an einem schönen Bilde nur die Schönheit, und nicht gleich die Flecken und Fehler zu sehen, die es entstellen. Darum haben mein Mann und ich nie Bedenken getragen, unserer Tochter manches Buch in ihre Hände zu geben, sie an manchen Dingen Theil nehmen zu lassen, die man ih- rem Alter sonst vorenthält."
"Gewiß ist das häusliche Beispiel und die innere Seelenbildung die Hauptsache bei weib- licher Erziehung", sagte Hughes. "Sonst müßte ja in Frankreich, wo man die Mädchen bis zu ihrer Verheirathung in klösterlicher Einsamkeit hält, die Sitten besser sein, als bei uns in England und hier in Deutschland, wo man der Jugend viel größere Freiheit verstattet; und gerade hier beweist doch die Erfahrung, daß die französische Zurückgezogenheit keine lobenswer- then Resultate gibt."
glaube aber, daß es dem reinen Sinn eines unverdorbenen Mädchens eigen iſt, an einem ſchönen Bilde nur die Schönheit, und nicht gleich die Flecken und Fehler zu ſehen, die es entſtellen. Darum haben mein Mann und ich nie Bedenken getragen, unſerer Tochter manches Buch in ihre Hände zu geben, ſie an manchen Dingen Theil nehmen zu laſſen, die man ih- rem Alter ſonſt vorenthält.“
„Gewiß iſt das häusliche Beiſpiel und die innere Seelenbildung die Hauptſache bei weib- licher Erziehung“, ſagte Hughes. „Sonſt müßte ja in Frankreich, wo man die Mädchen bis zu ihrer Verheirathung in klöſterlicher Einſamkeit hält, die Sitten beſſer ſein, als bei uns in England und hier in Deutſchland, wo man der Jugend viel größere Freiheit verſtattet; und gerade hier beweiſt doch die Erfahrung, daß die franzöſiſche Zurückgezogenheit keine lobenswer- then Reſultate gibt.“
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glaube aber, daß es dem reinen Sinn eines
unverdorbenen Mädchens eigen iſt, an einem
ſchönen Bilde nur die Schönheit, und nicht
gleich die Flecken und Fehler zu ſehen, die es
entſtellen. Darum haben mein Mann und ich
nie Bedenken getragen, unſerer Tochter manches
Buch in ihre Hände zu geben, ſie an manchen
Dingen Theil nehmen zu laſſen, die man ih-
rem Alter ſonſt vorenthält.“
„Gewiß iſt das häusliche Beiſpiel und die
innere Seelenbildung die Hauptſache bei weib-
licher Erziehung“, ſagte Hughes. „Sonſt müßte
ja in Frankreich, wo man die Mädchen bis zu
ihrer Verheirathung in klöſterlicher Einſamkeit
hält, die Sitten beſſer ſein, als bei uns in
England und hier in Deutſchland, wo man der
Jugend viel größere Freiheit verſtattet; und
gerade hier beweiſt doch die Erfahrung, daß die
franzöſiſche Zurückgezogenheit keine lobenswer-
then Reſultate gibt.“
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/106>, abgerufen am 24.11.2024.
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