Mädchen, das wir lieben!" rief plötzlich Rein- hard, der bis dahin schweigend zugehört hatte, als ob er aus tiefen Gedanken zu sich käme. "Wenn ein Mädchen wüßte, wie schwer und heftig der Kampf ist, den der Mann zu käm- pfen hat, ehe er willig seine Freiheit, sein Füh- len und Denken, sein Leben selbst, einer fremden Gewalt unterwirft! Nur einem Wesen, das man gleich einer Gottheit anbetet, kann man so unterthan werden, als die Liebe es uns dem Weibe macht. Wer aber ertrüge den Gedan- ken, daß die Gottheit unsers Herzens unwür- digen Festen beiwohnt? Wer wollte es ruhig ansehen, daß ihr schönes Himmelsauge von un- reinem Anblick berührt würde? Ich könnte mein Leben daran setzen, um der Geliebten solche Profanation zu ersparen, und ein Mäd- chen, das wahrhaft liebt, das die Liebe, die an- betende Liebe eines Mannes zu begreifen ver- mag, das in sich auch den Geliebten achtet,
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Mädchen, das wir lieben!“ rief plötzlich Rein- hard, der bis dahin ſchweigend zugehört hatte, als ob er aus tiefen Gedanken zu ſich käme. „Wenn ein Mädchen wüßte, wie ſchwer und heftig der Kampf iſt, den der Mann zu käm- pfen hat, ehe er willig ſeine Freiheit, ſein Füh- len und Denken, ſein Leben ſelbſt, einer fremden Gewalt unterwirft! Nur einem Weſen, das man gleich einer Gottheit anbetet, kann man ſo unterthan werden, als die Liebe es uns dem Weibe macht. Wer aber ertrüge den Gedan- ken, daß die Gottheit unſers Herzens unwür- digen Feſten beiwohnt? Wer wollte es ruhig anſehen, daß ihr ſchönes Himmelsauge von un- reinem Anblick berührt würde? Ich könnte mein Leben daran ſetzen, um der Geliebten ſolche Profanation zu erſparen, und ein Mäd- chen, das wahrhaft liebt, das die Liebe, die an- betende Liebe eines Mannes zu begreifen ver- mag, das in ſich auch den Geliebten achtet,
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Mädchen, das wir lieben!“ rief plötzlich Rein-
hard, der bis dahin ſchweigend zugehört hatte,
als ob er aus tiefen Gedanken zu ſich käme.
„Wenn ein Mädchen wüßte, wie ſchwer und
heftig der Kampf iſt, den der Mann zu käm-
pfen hat, ehe er willig ſeine Freiheit, ſein Füh-
len und Denken, ſein Leben ſelbſt, einer fremden
Gewalt unterwirft! Nur einem Weſen, das
man gleich einer Gottheit anbetet, kann man
ſo unterthan werden, als die Liebe es uns dem
Weibe macht. Wer aber ertrüge den Gedan-
ken, daß die Gottheit unſers Herzens unwür-
digen Feſten beiwohnt? Wer wollte es ruhig
anſehen, daß ihr ſchönes Himmelsauge von un-
reinem Anblick berührt würde? Ich könnte
mein Leben daran ſetzen, um der Geliebten
ſolche Profanation zu erſparen, und ein Mäd-
chen, das wahrhaft liebt, das die Liebe, die an-
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mag, das in ſich auch den Geliebten achtet,
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/109>, abgerufen am 21.11.2024.
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