Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

würde gewiß freiwillig Allem entsagen, was
diesen und sie zugleich verletzt. Wer es gefühlt
hat, wie wahre Liebe das Männerherz reinigt
und veredelt, dem muß es wehe thun, daß
Mädchen selbst sich um den Nimbus bringen,
den Sittenreinheit um sie hervorzaubert, und
der sie unserm Herzen gerade so theuer macht."

Indem fiel sein Auge auf die neben ihm
sitzende Jenny, die sich hinter der dampfenden
Samovare verbarg und vor Bewegung kaum
den Thee zu bereiten vermochte. Er fühlte den
bittern Tadel, den er unwillkürlich auch gegen
die Geliebte ausgesprochen hatte; er wollte ein-
lenken, aber er vermochte es nicht, denn es war
seine innerste Ueberzeugung gewesen, die er aus-
gesprochen hatte. So viel Glück ihm der heutige
Abend im Theater gewährt, so weh that es ihm
doch, daß ein so schlüpferiges, sittenloses Stück,
so leichtfertige Gesänge, zum Boten seiner Liebe
bei Jenny geworden waren. Das war der Un-

würde gewiß freiwillig Allem entſagen, was
dieſen und ſie zugleich verletzt. Wer es gefühlt
hat, wie wahre Liebe das Männerherz reinigt
und veredelt, dem muß es wehe thun, daß
Mädchen ſelbſt ſich um den Nimbus bringen,
den Sittenreinheit um ſie hervorzaubert, und
der ſie unſerm Herzen gerade ſo theuer macht.“

Indem fiel ſein Auge auf die neben ihm
ſitzende Jenny, die ſich hinter der dampfenden
Samovare verbarg und vor Bewegung kaum
den Thee zu bereiten vermochte. Er fühlte den
bittern Tadel, den er unwillkürlich auch gegen
die Geliebte ausgeſprochen hatte; er wollte ein-
lenken, aber er vermochte es nicht, denn es war
ſeine innerſte Ueberzeugung geweſen, die er aus-
geſprochen hatte. So viel Glück ihm der heutige
Abend im Theater gewährt, ſo weh that es ihm
doch, daß ein ſo ſchlüpferiges, ſittenloſes Stück,
ſo leichtfertige Geſänge, zum Boten ſeiner Liebe
bei Jenny geworden waren. Das war der Un-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0110" n="98"/>
würde gewiß freiwillig Allem ent&#x017F;agen, was<lb/>
die&#x017F;en und &#x017F;ie zugleich verletzt. Wer es gefühlt<lb/>
hat, wie wahre Liebe das Männerherz reinigt<lb/>
und veredelt, dem muß es wehe thun, daß<lb/>
Mädchen &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ich um den Nimbus bringen,<lb/>
den Sittenreinheit um &#x017F;ie hervorzaubert, und<lb/>
der &#x017F;ie un&#x017F;erm Herzen gerade &#x017F;o theuer macht.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Indem fiel &#x017F;ein Auge auf die neben ihm<lb/>
&#x017F;itzende Jenny, die &#x017F;ich hinter der dampfenden<lb/>
Samovare verbarg und vor Bewegung kaum<lb/>
den Thee zu bereiten vermochte. Er fühlte den<lb/>
bittern Tadel, den er unwillkürlich auch gegen<lb/>
die Geliebte ausge&#x017F;prochen hatte; er wollte ein-<lb/>
lenken, aber er vermochte es nicht, denn es war<lb/>
&#x017F;eine inner&#x017F;te Ueberzeugung gewe&#x017F;en, die er aus-<lb/>
ge&#x017F;prochen hatte. So viel Glück ihm der heutige<lb/>
Abend im Theater gewährt, &#x017F;o weh that es ihm<lb/>
doch, daß ein &#x017F;o &#x017F;chlüpferiges, &#x017F;ittenlo&#x017F;es Stück,<lb/>
&#x017F;o leichtfertige Ge&#x017F;änge, zum Boten &#x017F;einer Liebe<lb/>
bei Jenny geworden waren. Das war der Un-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0110] würde gewiß freiwillig Allem entſagen, was dieſen und ſie zugleich verletzt. Wer es gefühlt hat, wie wahre Liebe das Männerherz reinigt und veredelt, dem muß es wehe thun, daß Mädchen ſelbſt ſich um den Nimbus bringen, den Sittenreinheit um ſie hervorzaubert, und der ſie unſerm Herzen gerade ſo theuer macht.“ Indem fiel ſein Auge auf die neben ihm ſitzende Jenny, die ſich hinter der dampfenden Samovare verbarg und vor Bewegung kaum den Thee zu bereiten vermochte. Er fühlte den bittern Tadel, den er unwillkürlich auch gegen die Geliebte ausgeſprochen hatte; er wollte ein- lenken, aber er vermochte es nicht, denn es war ſeine innerſte Ueberzeugung geweſen, die er aus- geſprochen hatte. So viel Glück ihm der heutige Abend im Theater gewährt, ſo weh that es ihm doch, daß ein ſo ſchlüpferiges, ſittenloſes Stück, ſo leichtfertige Geſänge, zum Boten ſeiner Liebe bei Jenny geworden waren. Das war der Un-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/110
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/110>, abgerufen am 21.11.2024.