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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

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mißfielen, weil Jenny ein Wohlgefallen daran
fand, das Reinhard nicht billigen konnte.

"Und wie soll man das Leben denn neh-
men?" fuhr der unerschöpfliche Erlau fort.
"Gott hat uns evident für die Freude geschaf-
fen; Gott will, daß wir uns amüsiren sollen,
und daß Ihr mich neulich und heute wieder in
meinem besten Vergnügen stört, ist eine wahre
Todsünde. Was habt Ihr denn von dem ewi-
gen Moralisiren? Madame Meier und die
Frau Pfarrerin hören so andächtig zu, daß
ihnen der Thee eiskalt werden wird, und Fräu-
lein Jenny sieht seit der abgeschmackten Unter-
haltung so traurig aus, und ist so zerstreut,
daß ich noch gar keinen Thee bekommen habe,
den schweren Aerger zu ertränken, den Ihr mir
verursacht." -- "Liebes Fräulein", sprach er
gegen Jenny gewandt, "nur eine doppelte Por-
tion Zucker, als Aequivalent für den bittern
Verdruß, den Ihr Bruder mir gemacht hat!"

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mißfielen, weil Jenny ein Wohlgefallen daran
fand, das Reinhard nicht billigen konnte.

„Und wie ſoll man das Leben denn neh-
men?“ fuhr der unerſchöpfliche Erlau fort.
„Gott hat uns evident für die Freude geſchaf-
fen; Gott will, daß wir uns amüſiren ſollen,
und daß Ihr mich neulich und heute wieder in
meinem beſten Vergnügen ſtört, iſt eine wahre
Todſünde. Was habt Ihr denn von dem ewi-
gen Moraliſiren? Madame Meier und die
Frau Pfarrerin hören ſo andächtig zu, daß
ihnen der Thee eiskalt werden wird, und Fräu-
lein Jenny ſieht ſeit der abgeſchmackten Unter-
haltung ſo traurig aus, und iſt ſo zerſtreut,
daß ich noch gar keinen Thee bekommen habe,
den ſchweren Aerger zu ertränken, den Ihr mir
verurſacht.“ — „Liebes Fräulein“, ſprach er
gegen Jenny gewandt, „nur eine doppelte Por-
tion Zucker, als Aequivalent für den bittern
Verdruß, den Ihr Bruder mir gemacht hat!“

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[105/0117] mißfielen, weil Jenny ein Wohlgefallen daran fand, das Reinhard nicht billigen konnte. „Und wie ſoll man das Leben denn neh- men?“ fuhr der unerſchöpfliche Erlau fort. „Gott hat uns evident für die Freude geſchaf- fen; Gott will, daß wir uns amüſiren ſollen, und daß Ihr mich neulich und heute wieder in meinem beſten Vergnügen ſtört, iſt eine wahre Todſünde. Was habt Ihr denn von dem ewi- gen Moraliſiren? Madame Meier und die Frau Pfarrerin hören ſo andächtig zu, daß ihnen der Thee eiskalt werden wird, und Fräu- lein Jenny ſieht ſeit der abgeſchmackten Unter- haltung ſo traurig aus, und iſt ſo zerſtreut, daß ich noch gar keinen Thee bekommen habe, den ſchweren Aerger zu ertränken, den Ihr mir verurſacht.“ — „Liebes Fräulein“, ſprach er gegen Jenny gewandt, „nur eine doppelte Por- tion Zucker, als Aequivalent für den bittern Verdruß, den Ihr Bruder mir gemacht hat!“ 5**

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/117>, abgerufen am 24.11.2024.